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      EIN KLUGER HERRSCHER KANN UND DARF SEIN WORT NICHT HALTEN

      NICCOLÒ MACHIAVELLI (1469–1527)

       IM KONTEXT

      IDEENLEHRE

       Realismus

      SCHWERPUNKT

       Staatskunst

      FRÜHER

      4. Jh. v. Chr. Chanakya rät Herrschern, alles zu tun, um das Wohlergehen des Staates zu sichern.

      3. Jh. v. Chr. Han Feizi glaubt, Menschen würden persönlichen Gewinn anstreben und Strafen meiden. Daher sind strenge Gesetze nötig.

      51 v. Chr. Der römische Politiker Cicero spricht sich in De re publica für eine Republik aus.

      SPÄTER

      1651 Thomas Hobbes beschreibt im Leviathan das Leben im Naturzustand als »scheußlich, tierisch und kurz«.

      1816–1830 Carl von Clausewitz diskutiert in Vom Kriege die politischen Aspekte der Kriegsführung.

      Niccolò Machiavelli ist möglicherweise der bekannteste (und am häufigsten missverstandene) politische Theoretiker. »Machiavellistisch« wird oft mit »skrupellos« gleichgesetzt – mit diesem Adjektiv wird ein manipulativer und im Eigeninteresse handelnder Politiker bezeichnet, der glaubt, dass der Zweck die Mittel heiligt. Doch damit ist nicht die innovative politische Philosophie umschrieben, die Machiavelli in seiner Abhandlung Der Fürst darlegt.

      Machiavelli lebte in politisch turbulenten Zeiten zu Beginn der Renaissance, an einem Wendepunkt der europäischen Geschichte: Die mittelalterliche Vorstellung einer christlichen, durch göttliche Vorsehung bestimmten Welt wandelte sich zu der Idee, dass die Menschen ihr Schicksal selbst bestimmen können. Der Humanismus der Renaissance schmälerte die Macht der Kirche, während reiche italienische Stadtstaaten wie Machiavellis Geburtsstadt Florenz sich als Republiken hervortaten. Allerdings fielen diese immer wieder in die Hände reicher und mächtiger Familien wie der Medici. Machiavelli hatte als Diplomat der florentinischen Republik selbst Erfahrungen in der Politik gemacht, zudem beeinflusste ihn das Studium der klassischen römischen Gesellschaft und Politik. Daraus entwickelte sich ein unkonventioneller Zugang zur politischen Theorie.

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       Ein realistischer Ansatz

      Machiavelli sah die Gesellschaft weniger, wie sie sein sollte. Er wollte die Politik nicht als Zweig der Ethik betrachten, sondern unter rein praktischen und realistischen Gesichtspunkten.

      Anders als frühere politische Denker sah er den Zweck des Staates nicht darin, die Moral seiner Bürger zu stärken, sondern darin, für ihr Wohlergehen und ihre Sicherheit zu sorgen. Daher ersetzte er Richtig und Falsch durch Begriffe wie »Nützlichkeit«, »Notwendigkeit« und »Erfolg«. Er stellte den Nutzen über die Moral und sah als Qualitäten eines erfolgreichen Führers Effektivität und Umsicht an, weniger dessen Ideologie oder moralische Rechtschaffenheit.

      Im Zentrum der politischen Philosophie Machiavellis steht die Vorstellung der Renaissance, die menschliche Gesellschaft müsse sich mit menschlichen Begriffen messen lassen – losgelöst von den religiösen Idealen der Kirche. Er ging bei seiner Analyse daher von der menschlichen Natur aus und betrachtete das menschliche Verhalten im Lauf der Geschichte. So gelangte er zu der Schlussfolgerung, dass die meisten Menschen von Natur aus selbstsüchtig, kurzsichtig, wankelmütig und leicht zu hintergehen sind. Seine Sicht der Dinge war realistisch, wenngleich zynisch. Machiavelli glaubte, dass man sich einige der menschlichen Schwächen zunutze machen könnte. Voraussetzung ist die richtige Führung.

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      Ein effektiver Herrscher kann die menschlichen Schwächen seines Volkes wirkungsvoll nutzen. Dazu muss er wie ein Schäferhund sein, der eine Herde Schafe hütet.

       Die menschliche Natur ausnutzen

      Laut Machiavelli zeigt sich der Egoismus der Menschen beispielsweise in ihrem Selbsterhaltungstrieb; auf Bedrohung reagieren sie mit Mut, harter Arbeit und Kooperation. Er unterscheidet jedoch zwischen einer ursprünglichen, grundlegenden menschlichen Natur ohne Tugenden und einer sozial erworbenen Natur, die das tugendhafte Verhalten zum Wohl der Gesellschaft hervorbringt. Daher können auch negative menschliche Züge dem Gemeinwohl nützen, beispielsweise die Tendenz zur Nachahmung (statt unabhängig zu denken). Dieser Wesenszug, so Machiavelli, veranlasst Menschen, dem Beispiel eines Führers zu folgen und gemeinsam zu handeln. Hinzu kommt, dass sich Menschen aufgrund ihrer Gutgläubigkeit und ihres Wankelmuts durch einen geschickten Führer leicht zu gutem Verhalten bewegen lassen. Egoismus etwa, der sich als persönliches Gewinnstreben und Ehrgeiz äußert, kann eine mächtige Antriebskraft sein, wenn er in die richtigen Bahnen gelenkt wird. Solche Eigenschaften sind besonders nützlich für einen Herrscher.

      Als die beiden Schlüsselelemente, um die unerwünschte, ursprüngliche menschliche Natur in eine gute soziale Natur zu verwandeln, gelten soziale Organisation und das, was Machiavelli »besonnene Herrschaft« nennt. Damit meint er eine Herrschaft, die den Staat erfolgreich macht.

       Ratschlag für neue Herrscher

      Machiavelli hat seine berühmte Abhandlung Der Fürst im Stil einer praktischen Anleitung für Staatsführer geschrieben, wie sie im Mittelalter und in der Renaissance als »Fürstenspiegel« bekannt waren. Sie ist einem Angehörigen der mächtigen Medici-Familie gewidmet und wendet sich an den neuen Herrscher mit Ratschlägen, wie sich die menschliche Natur zum Wohl des Staates nutzen lässt. Spätere Interpretationen weisen darauf hin, dass Machiavelli mit dem Genre recht geschickt umging, indem er einem breiteren Publikum Geheimnisse verriet, die der herrschenden Klasse bereits bekannt waren. In seinem Werk erläuterte er zunächst die im Wesentlichen egoistische, aber beeinflussbare Natur des Menschen. Dann beschäftigt er sich mit den Qualitäten, die einen besonnenen Herrscher ausmachen.

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      Sandro Botticellis Anbetung der Heiligen drei Könige von 1475 enthält Darstellungen der mächtigen Medici-Familie, die Florenz regierte, als Machiavelli Der Fürst schrieb.

      »Es wird einem Fürsten nie an legitimen Gründen mangeln, um die Nicht einhaltung seiner Versprechen zu rechtfertigen.«

       Niccolò Machiavelli

       Führungsqualitäten

      Machiavelli verwendete in diesem Zusammenhang das Wort virtù. Allerdings meinte er damit etwas ganz anderes als die Vorstellung von Tugend, wie sie in der Kirche vorherrschte. Machiavelli war Christ, insofern plädierte er für ein Handeln gemäß christlichen Werten im Alltag, aber wenn es um den Herrscher geht, glaubte er, sei die Moral dem Zweck und der Sicherheit des Staates nachgeordnet. Insofern verweisen seine Ideen zurück auf den römischen Begriff von Tugend, wie ihn der Militärführer verkörperte, motiviert von Ehrgeiz und dem Streben nach Ruhm. Diese Eigenschaften sind jedoch nahezu das Gegenteil der christlichen Tugend Bescheidenheit.

      Machiavelli verfolgte die Analogie zwischen militärischen und politischen Führern weiter und wies auf Aspekte der virtù wie Kühnheit,

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