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Das erleichterte es den beiden Bandkollegen, sich entweder nach der Schule oder im Laufe der Zeit auch mitten am Tag zu treffen und gemeinsam zu schwänzen, um Platten zu hören und Kaffee zu trinken oder aber zu Paul nach Hause zu fahren, um Gitarre zu spielen und sich daran zu versuchen, eigene Songs zu schreiben. Als Energiequelle dienten Spiegeleier, Toast und Tee (den sie gelegentlich, wenn sie keine Zigaretten schnorren konnten, in Jims Pfeife rauchten). Dann saßen sie nebeneinander auf dem Sofa im Wohnzimmer neben dem Plattenspieler und quälten ihre Gitarren, bis sich aus einem Melodiefetzen eine Akkordfolge herausschälte. Als Nächstes kam der Text, der meistens an einen Song von Buddy Holly oder Elvis angelehnt war, der sie gerade inspiriert hatte. Wenn ihnen eine Idee gekommen war, die es wert schien, festgehalten zu werden, klappte Paul ein liniertes Schulheft auf, überschrieb die Seite mit Ein neuer Originalsong von Lennon-McCartney und hielt dann in seiner sauberen Schülerhandschrift alle Ideen fest. Die ersten Songs waren allenfalls rudimentär zu nennen: „Too Bad About Sorrows“, „In Spite Of All The Danger“ und eine ziemlich unerhörte Teenie-Liebesballade mit dem Titel „Just Fun“. „Like Dreamers Do“ entwickelte sich, als Paul am Klavier saß und spielte. Der Song hatte eine ähnlich aufsteigende Akkordfolge wie „Stairway To Paradise“. Die knackige Rocknummer „One After 909“ zeichnete sich durch einen stampfenden Rhythmus und einen cleveren Text aus, der einen klagenden Blues mit einer verrückten Geschichte aus falsch gelesenen Anweisungen verband.

      „Wir sahen uns schon so ziemlich als das nächste große Songwriterteam“48, sagte Paul viele Jahre später. „Und lustigerweise wurden wir das dann auch.“ Dennoch, damals versuchten sie lediglich, ihre Energie zu kanalisieren und ihren eigenen Weg zu finden, um sich auszudrücken. Einmal machten sie sich sogar daran, ein Theaterstück zu schreiben, und skizzierten eine modernistische Fabel über eine Jesusgestalt namens Pilchard, der möglicherweise der Messias ist, vielleicht aber auch nicht. Seine Jünger finden es nie heraus, weil er den Raum im Obergeschoss, in dem er lebt, niemals verlässt. Die genaue Handlung lässt sich nicht mehr rekonstruieren, aber schon allein Pauls Beschreibungen erinnern stark an Samuel Becketts Warten auf Godot. Lennon und McCartney sollten jedenfalls niemals in den Ruf eines großen Dramatikers gelangen.

      Musik war alles, was sie interessierte, alles andere nahmen sie kaum wahr. Die Quarrymen hatten einmal als Hobby angefangen – „als Spaß“, um mit Rod Davis zu sprechen –, und die Auswahl der Bandbesetzung hatte mehr mit Freundschaft als mit Musikbegeisterung zu tun gehabt, von der Beherrschung eines Instruments ganz zu schweigen. Aber nun, da John von Paul inspiriert und dessen Einfluss immer stärker wurde, entwickelten sich die Quarrymen zu einer ganz anderen Band. Der Sound ging weg vom Skiffle und näherte sich mehr dem klassischen amerikanischen Rock ’n’ Roll. Deshalb wurde es unumgänglich, dass sich irgendjemand eine elektrische Bassgitarre anschaffte. Eric Griffiths war dafür der offensichtliche Kandidat, denn nun, da John und Paul beide vorn standen und Gitarre spielten, war er als dritter Gitarrist überflüssig. Griffiths wollte das jedoch nicht, also war er raus. Nicht, dass man ihm das irgendwann mitgeteilt hätte; man verlegte einfach eine Probe und erzählte Griffiths nichts davon. Andere Mitglieder verließen die Band aus persönlichen Gründen. Der Teekistenbassist, Len Garry, fing sich eine beinahe tödliche Hirnhautentzündung ein und lag monatelang im Krankenhaus. Nigel Walley, der manchmal mitgespielt, manchmal auch als Manager fungiert hatte, landete ebenfalls in der Klinik und verpasste so den Anschluss. Banjospieler und Gitarrist Rod Davis stieg aus eigenem Antrieb aus, angeblich, um sich mehr auf die Schule zu konzentrieren, wobei es wohl eine größere Rolle spielte, dass er Rock ’n’ Roll und vor allem Elvis Presley ätzend fand („Ich hielt den Kerl für einen totalen Idioten“49, erklärt er). Als der Abschied von Waschbrettspieler Pete Shotton anstand, schlug John seinem alten Freund schlicht das besagte Instrument über den Kopf. Das führte zu einem plötzlichen hysterischen Lachanfall. Shotton nahm es philosophisch: „Für mich war dieses Leben nichts“50, sagte er dem Beatles-Biografen Hunter Davies 1967. „Ich stand nicht gern oben auf der Bühne, das war mir zu ­peinlich.“

      Musik zu machen, das bedeutete für John und Paul, sich über das peinliche Gefühl hinwegzusetzen: Es war eine Art, Gefühle auszudrücken, die man in einem Gespräch nie äußern konnte. Schon bald war die Verbindung, die sich über das Gitarrenspiegelbild zwischen ihnen entwickelt hatte, so stark, dass der eine wusste, was der andere dachte, ohne dass ein Wort fiel. Ende des Winters waren sie so mit den Gedanken und Gefühlen des jeweils anderen verbunden, dass sie, wie ein Freund berichtete, oft gegenseitig ihre Sätze vervollständigten.

      Musik war auch das verbindende Element in der Freundschaft, die Paul zu einem anderen Schüler des Liverpool Institute pflegte, der aus Speke kam und etwas jünger war als er. Er hieß George Harrison und war Sohn eines Busfahrers. Sie waren sich bereits einige Jahre zuvor begegnet, als die McCartneys noch in unmittelbarer Nähe des Hauses der Harrisons in Upton Green wohnten. Damals war Paul allerdings nur einer von den vielen Jungs gewesen, die draußen Verstecken spielten oder in den Bombenkratern und verlassenen Grundstücken der Gegend herumrannten und so taten, als seien sie Cowboys oder Piraten. Offiziell lernten sich Paul und George im Bus der Linie 86 kennen, die sie aus den südlichen Vororten ins Stadtzentrum zur Schule brachte, und obwohl sich George – der sein Haar höher aufgetürmt hatte und der engere Hosen trug, als Paul sich je getraut hätte – als richtiger Teddyboy präsentierte, war er ein echter Rock ’n’ Roll-Fan, der dieselben obskuren Rhythm & Blues-Songs mochte wie Paul und John. Und er hatte auch eine Gitarre. Vor allem aber konnte er dieses Instrument so flüssig und geschickt spielen, wie Paul es bei keinem seiner eher etwas unbeholfenen Kumpels je zuvor gesehen hatte. George war in der Jahrgangsstufe unter Paul, und daher hatten sie keinen gemeinsamen Unterricht. Aber sie trafen sich auf dem Schulhof (George war regelmäßig in der Raucherecke anzutreffen, einem versteckten, betonierten Platz hinter einem Nebengebäude, wo die ungezogenen Jungs sich unentdeckt von den Lehrern eine Zigarette anstecken konnten) und im Bus, und dort unterhielten sie sich und tauschten sich im Fachjargon echter Fans über Akkorde und Soli aus.

      Paul wusste, dass George eine perfekte Ergänzung für die Quarrymen sein würde, vor allem, seit ihm selbst beim „Guitar Boogie“ diese peinliche Panne passiert war, aber da George mit seinen vierzehn Jahren sogar noch jünger war als Paul, zögerte John. Es ging einfach nicht, dass ein siebzehnjähriger Kunststudent mit so einem Bubi in einer Band spielte. Aber Paul war von George überzeugt und ging davon aus, dass John dessen Qualitäten auch erkennen werde, wenn er dem Jungen erst einmal zugehört habe. Also plante Paul sorgsam ein Treffen, das dann scheinbar spontan im oberen Sitzbereich eines Doppeldeckerbusses stattfand; er stellte George vor, und der hatte schnell seine Gitarre hervorgezogen und zeigte sein Können – wie Paul versprochen hatte, beherrschte er eine notengetreue Version von Bill Justis’ Cowboy-Instrumentalrocker „Raunchy“. John war überwältigt, aber immer noch nicht überzeugt. Dennoch ließ Paul nicht locker, und ein paar Wochen später richtete er es so ein, dass George dazustieß, als die Quarrymen bei einer Party im Morgue auftauchten, einem inoffiziellen Club, der in einem ehemaligen Leichenschauhaus untergebracht war und von einem Liverpooler Musiker namens Rory Storm betrieben wurde.

      „Es war eine fürchterliche Absteige“51, erinnert sich Colin Hanton. „Das Gebäude sollte abgerissen werden, und um Strom zu haben, hatte man draußen eine Straßenlaterne angezapft. In der Ecke eines Raumes befand sich eine ganz kleine Bühne. Dann kam dieser winzige Kerl mit seiner großen Gitarre an, und irgendjemand sagte: ‚Das ist George.‘ Dieser kleine Bursche mit seiner Riesengitarre stellte sich dann hin und spielte ‚Raunchy‘, und er war ziemlich gut.“ Vielleicht merkte John, wie beeindruckt seine Bandkollegen von der Vorstellung des kleinen George gewesen waren. Als Hanton drei Tage später zufällig Nigel Walley traf, erfuhr er jedenfalls, dass John beschlossen hatte, George in die Band aufzunehmen.

      Paul dachte dabei bereits an einen weiteren Neuzugang. Auf der Schule hatte er den Musikunterricht mit einem Jungen namens John Lowe zusammen über sich ergehen lassen, und obwohl sie während des Schuljahrs nur selten miteinander gesprochen hatten, änderte sich das eines Tages, als der Lehrer für kurze Zeit einmal den Klassenraum verließ und sich Duff, wie Lowe genannt wurde, ans Klavier setzte. Er hatte schon jahrelang Unterricht gehabt, sich selbst aber auch beigebracht, Boogie-Woogie zu spielen. Als er ein paar Takte einer Jerry Lewis-Nummer anspielte, bekam Paul große Augen. Sie kamen ins Gespräch, und ein paar Wochen später holte Paul seinen neuen Freund ebenfalls

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