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dem Tod höchstpersönlich“. Schnell folgerte man, dass Petiot den Frauen tödliche Substanzen in die Vene injizierte. Es war allerdings nicht klar, ob es sich um eine noch zu identifizierende Droge handelte, um die Überdosis eines Generikums oder eventuell eine selbsterfundene Mischung.

      Wegen seiner guten Beziehungen gelang es Karl Schmidt, einem deutschen Journalisten des DNB, als einem der ersten, durch die dreieckige Kammer geführt zu werden. Er spekulierte, dass der Schlächter seine Opfer unter Drogen setzte, sie dann in den Raum zerrte, wo er sie fesselte und an die Haken der hinteren Wand hängte. Der Mörder richtete danach den Strahl zweier Scheinwerfer auf ihre Gesichter und beobachtete „die Qualen bis zum letzten Aufbäumen“. Vorher hatte der Arzt, dabei seine medizinischen Fähigkeiten einsetzend, sie immer weiter malträtiert, wahrscheinlich, um die Schmerzen so lange wie möglich erträglich zu machen. Danach zerstückelte er „den in sich verkrümmten Körper“ und warf die Teile in die Grube mit dem Löschkalk.

      Massu wollte sich nicht zu voreiligen Schlüssen hinreißen lassen. Bekannt für seine Vorsicht, zog er eine behutsame Vorgehensweise vor und baute den Fall Stück für Stück auf, um Fehler zu vermeiden, die durch ein schnelles und oberflächliches Handeln entstehen konnten. Er war skeptisch, speziell wenn die Beweise zu klar oder offensichtlich erschienen.

      „Ich habe schon oft erklärt“, meinte Massu gegenüber Canitrot, dem Sekretär der Mordkommission, „dass man sich hüten sollte, aus den offensichtlichen Beweisen voreilige Rückschlüsse zu ziehen.“ Wenn Polizisten ihre Theorie zu schnell auf „solchen Beweisen“ aufbauten, verfingen sie sich meist in einem undurchdringlichen Dickicht, mit möglicherweise „katastrophalen“ Folgen. Das fundamentale Problem, das sich jeder Ermittler vor Augen halten müsse, bestünde in der Interpretation der Beweise. Einerseits war Massu erleichtert, von der Gestapo unmissverständliche Instruktionen zu erhalten, dabei hoffend, dass sie der Ermittlung nicht in die Quere kamen oder sie behinderten. Doch andererseits sorgte er sich auch. Es kam selten vor, dass die Gestapo sich augenblicklich für einen französischen Kriminalfall interessierte. Wenn die Geheimpolizei sogar eine unverzügliche Verhaftung befahl, geschah das meist, um einen Täter dingfest zu machen, dessen Verbrechen schwerer wogen als eine oppositionelle Haltung gegenüber dem Regime. Bedeutete das womöglich, dass der Besitzer des Hauses in der Rue Le Sueur Nummer 21 die Résistance unterstützte?

      Ohne zu übertreiben, konnte man den Fall als zutiefst verwirrend bezeichnen. Gegenüber den Gräueltaten des berüchtigten Serienmörders Henri Landru oder den erst kurz zuvor stattgefundenen Morden von Eugen Weidmann war es nicht exakt nachzuvollziehen, wie Petiot oder der Mörder seine Opfer getötet hatte. Es ließen sich weder Stichverletzungen noch Hämatome feststellen. Die Körper der Opfer im Keller wiesen keine Blutspuren auf. Auch an weiteren Stellen im Haus fanden sich keine Blutspuren. Wie der Journalist Jacques Perry es ausdrückte, gab es viele Leichen, doch keinen Hinweis auf einen Mord.

      Am Morgen des 13. März setzte sich dann eine Verkäuferin des Warenhauses Grand Magasins du Printemps am Boulevard Haussmann mit der Polizei in Verbindung, um ihre Geschichte zu erzählen: „Ich wäre beinahe umgebracht werden“, sagte sie mit sich überschlagender Stimme. Ihr Apotheker hatte sie am 11. März – wegen eines verstauchten Handgelenks – zu Dr. Petiot überwiesen. Petiot sah eher wie ein Maurer aus und nicht wie ein Arzt, denn sein Anzug war stark mit Kalk verdreckt.

      „Mir lief ein kalter Schauer den Rücken herunter“, beschrieb sie ihren Gemütszustand beim Anblick Petiots, der sie während der Untersuchung des Handgelenks mit durchdringenden Augen anstarrte.

      „Seine schwarzen Augen bohrten sich förmlich in meinen Körper. Ich dachte, er ist verrückt.“ Petiot röntgte die Hand, diagnostizierte eine Verstauchung und riet ihr wegen des fragilen Knochenaufbaus zu einer zusätzlichen Calcium-Einnahme. Er verschrieb eine Behandlung. Da er in der Praxis nicht über die notwendigen Instrumente verfügte, schlug er ihr eine „Spezialklinik“ vor. Sie lag in der Rue Le Sueur Nummer 21.

      Obwohl es sicherlich nicht einfach war, wertvolle Informationen aus dem Geknäuel an Gerüchten und Anschuldigungen, die ihn erreichten, zu extrahieren, besaß Massu doch schon einige wertvolle Spuren. Die dringlichste Aufgabe bestand im Moment in der Verhaftung des Arztes. Der naheliegendste Aufenthaltsort war die Adresse, die Petiot auf dem Zettel in der Rue Le Sueur angegeben hatte und an die ihm die Post nachgestellt werden sollte: Rue des Lombards Nummer 18, Auxerre, das nur 150 Kilometer von Paris entfernt lag, in der burgundischen Region von Yonne. Bei näherer Untersuchung des Zettels fand Massu heraus, dass der Arzt zuerst eine andere Adresse aufgeschrieben, dann ausradiert und die neue in einer anderen Handschrift darübergeschrieben hatte. Ursprünglich stand dort nämlich Rue du Pont, Auxerre 55 oder 56.

      Massu bat einen der Assistenten, die Reisevorbereitungen zu erledigen. Während der Besatzungszeit gab es nur einen unregelmäßigen und unzuverlässigen Fahrplan, und der nächste Zug war erst in einigen Tagen eingeplant. Doch Massu wollte natürlich nicht warten. Er rief einen Freund vom Fuhrpark der Polizeipräfektur an und sicherte sich für die Reise das Automobil Nummer 3313 inklusive genügend Treibstoff, der bei der strengen Rationalisierung nicht leicht erhältlich war, sogar für einen Leiter der Mordkommission. Sein Sekretär und zwei Inspektoren begleiteten ihn. Um 6 Uhr morgens befanden sich die vier schon auf der Fahrt nach Auxerre.

      Massu beschäftigte sich immer noch mit der Frage, wie der Mörder seine Opfer ausgewählt hatte, wie er sie sodann in das Stadthaus lockte und – so stellte er sich das schreckliche Szenario vor – wie er ihnen die lange Nadel in eine Vene stach, um die tödliche Injektion zu verabreichen. Danach zerhackte er die Körper, entledigte sich der inneren Organe und warf die Überreste in die Grube mit dem Kalk. Der Löschkalk entzog den Leichenresten aufgrund seiner spezifischen Eigenschaften das Wasser, wodurch der Täter sie später leichter verbrennen konnte. Massus Verdacht klang, wie er selbst einräumte, „grauenhaft und eiskalt wie die Geschichten von Edgar Allan Poe“.

      Der Kommissar musste unbedingt herausfinden, wer dem Arzt den Löschkalk verkauft hatte und wer ihm bei der schrecklichen Arbeit geholfen hatte. Eines stand fest: Der Doktor – oder wer auch immer der Mörder war – konnte nicht so viele Menschen allein umgebracht haben. Und eine weitere Frage drängte sich auf: Wie gelang es dem Täter, sich der Aufmerksamkeit der Nachbarn zu entziehen? Massu war noch weit davon entfernt, den Fall zu verstehen, ganz abgesehen davon, den Mörder zu finden und genügend Beweise zu seiner Verurteilung vorzulegen. Zum ersten Mal während seiner langen Dienstzeit plagten Massu Schlafprobleme.

      „Chef“, fragte der Sekretär während der Fahrt, „stimmt es, wie so geredet wird, dass in der Praxis in der Rue Caumartin Schnitzereien mit dem Antlitz des Teufels gefunden wurden?“

      „Ja, da gab es aber noch viel interessantere oder schlimmere Entdeckungen, je nachdem, wie man es sieht.“ Der Kommissar wollte sich nicht näher dazu äußern, sondern nuschelte nur etwas von „bestialischen, obszönen und schweinischen Zeichnungen“, die bei Petiot entdeckt worden seien.

      „Ist der Doktor ein Drogensüchtiger?“, fragte ein Inspektor und griff damit ein weiteres Gerücht auf.

      „Das kann man beinahe mit Bestimmtheit sagen“, antwortete Massu, eventuell ein wenig vorschnell. Drogen waren eine naheliegende, aber allzu leichte Erklärung, warum sich ein bei Tageslicht respektierter und angesehener Arzt in der Nacht in ein Monster verwandelte.

      Vor der Ankunft in Auxerre machten die Ermittler einen Zwischenstopp in Villeneuve-sur-Yonne, der Stadt, in der Petiot das Amt des Bürgermeisters bekleidete. Oberinspektor Marius Battut und Inspektor Rochereau suchten zuerst das ehemalige Haus des Mordverdächtigen in der Rue Carnot 56 auf. Der derzeitige Bewohner, ebenfalls Arzt, erzählte ihnen, dass Petiot dort bis zum Juli 1934 wohnhaft war. Er hatte Petiot nur ein einziges Mal gesehen und sich nicht weiter mit ihm unterhalten. Der neue Besitzer, so vermerkte Battut, „wollte keine interessanten Informationen liefern“.

      Die Gendarmen der Polizeiwache in Villeneuve-sur-Yonne waren hingegen hilfsbereiter. Sie erzählten ihren Kollegen, dass Petiot „einen sehr schlechten Ruf“ genoss. Während seiner Amtszeit als Bürgermeister sei er in den Verdacht geraten, mehrere Diebstähle begangen zu haben, darunter Kanister mit Öl und Treibstoff. Einmal wurde er beschuldigt, die Elektrizitätswerke betrogen

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