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Anschwellendes Geschwätz. Jürgen Roth
Читать онлайн.Название Anschwellendes Geschwätz
Год выпуска 0
isbn 9783941895966
Автор произведения Jürgen Roth
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Und da bot sich die Hitlerei an?
Die paßt gut. Es existiert eine breite rechtsextreme Unterströmung. Wenn du hörst, wie halbwegs gebildete Leute heute argumentieren, dann glaube ich, daß mindestens die Hälfte der Bevölkerung sozusagen heimlich braun kontaminiert ist.
Der zähe, weitverbreitete Revanchismus und Antisemitismus, von dem im Siegfried oftmals die Rede ist ...
Und dieser Kunkel hat als Autor mit Nase ein ideales Thema gesucht. Erstens: Sex sells. Dann, zweitens, bemäntelst du das neu mit diesem Sachsenwaldquark. Das ist Pornographie als Ausdruck übelster reaktionärer Lumpengesinnung. Und man muß ja mal sagen, daß das einfach Scheiße ist, was der zusammengebaut hat.
Rowohlt-Chef Alexander Fest hat Kunkel mit einer feinen, deftigen Polemik rausgeschmissen, ihm »ein verschrobenes Geschichtsbild« attestiert, daß er »ein Rasender« und »völlig ahnungslos« sowie »die Wiedergeburt Parzifals als rechter Schläger« sei.
Gute Argumente, aber auch sehr gebildet. Das schmückt diesen Dreck eher noch – der zudem, wie fast jedes Buch heute, offenbar mehr oder weniger ungelesen und ungeprüft ins Programm gehievt worden war, wie bei Ted Honderich. In den Verlagen sitzen überwiegend Leute, die nicht gelernt haben, sorgfältig zu arbeiten, und statt dessen herumschwafeln. Marketing ist alles. Aus diesen schlichten, kühlen Gründen entstehen dann Skandale. Wer sich für die ernsthaft interessiert, hat ein Rad ab.
Lehrreich war im Fall Honderich, welch antisemitisches, verschwörungsparanoides Zeug z. B. im Leserforum der Frankfurter Rundschau verbreitet wurde, nachdem Suhrkamp das Traktat Nach dem Terror zurückgezogen hatte. Eine zionistische Mafia habe Habermas zum Einknicken gezwungen, die jüdische Zensur zugeschlagen usw. usf. – das trifft sich mit deinen Einschätzungen zum Normalbewußtsein hierzulande.
Red mal mit sog. anständigen Leuten aus dem Bekanntenkreis. Du brauchst bloß anzutippen, schon kommt die ganze braune Soße angeschwommen. Es ist ein Gesamtklima da, vor dem kann man sich nur fürchten. Das merken die Feuilletonisten natürlich als letzte, wenn diese Dumpfköpfe außerhalb ihrer Narrenwelt überhaupt was mitkriegen.
Langbärtigkeit
Was ein lächerlicher Quatsch. Was ein törichtes Gebabbel. Was ein faseliges Gespreize.
Dafür, für das am 23. Juni 2005 in der ZEIT zum Abdruck gekommene »Manifest für einen Relevanten Realismus«, reichte und langte, wie es die Tradition der Manifeste scheinbar unverbrüchlich gebietet, mal wieder kein einzelner Kopf. Nein, gleich Stücker vier Schädel mußten diesmal ran und sein, um einen derart verhaspelten Käse auszuspeien und auszuwalzen.
Vier Schriftsteller haben sich und uns da gefragt: »Was soll der Roman?« Folglich haben sie auch zu viert geantwortet: Martin R. Dean, Thomas Hettche, Michael Schindhelm und Matthias Politycki. Geantwortet haben sie als Vertreter der »mittleren Generation« (WELT).
Mit einem – wohl redaktionell verfügten – Ein-Wort-Satz beginnt dieser entsetzliche Stiefel an verquollener Pfeifenhaftigkeit und schwammigem Geschwätz: »Mitte.« Mitte, das ist, wo die vier sind. Oder hinwollen. Sie möchten »eine neue Mitte konstituieren«, und zwar eine neue Mitte für den Roman oder eine neue Stellungsmitte inmitten des Literaturbetriebs, wer weiß das schon genau, und zugleich haben sie, diese vier Romanracker, die besagte Mitte ja bereits selbst besetzt, altersbedingt und anderweitig gesehen. »Der diskrete Charme dieser Gruppe«, schlabbert es aus diesem wahrlich bitterlich ergreifenden Ausbund an Manifestgeprotze, »ist ihre Gelassenheit gegenüber der Macht, ihre Empfindlichkeit gegenüber allem Lauten, ihre hartnäckige Weigerung, die Hand nach dem Ruder des gesellschaftlichen Diskurses auszustrecken. Im Mittelfeld trifft man meist freundliche Menschen, die [...] einen gut begründeten Verdacht gegen politisches Engagement und öffentliche Intervention hegen.« Damit ist es oder soll es nun vorbei sein.
Gereift seien sie in den vergangenen fünfzehn Jahren, vernehmen wir, weshalb jetzt die »Erntearbeiten« beginnen könnten. »Vom Ich zum Wir« müsse es vorwärtsgehen, mit folgenden Maßnahmen: »die Zurückhaltung gegenüber den Machtinstrumenten des Betriebs aufgeben, parteiisch werden, eine inner- und außerbetriebliche Opposition gegenüber Verblödung und Depression aufbauen, die Waffe der Verschwörung nicht verschmähen.« Das legen Kracher vom Schlage eines Hettche oder eines Politycki nieder, die vom Literaturbetrieb bis dato schmählich mißachtet wurden und dessen Machtinstrumente noch keine Sekunde lang in Gebrauch genommen haben. Ist das alles vielleicht auch bloß ein recht miserabler Witz?
»Da ist etwas Langbärtiges [...] am Werk«, machte sich Bertolt Brecht vor bald siebzig Jahren im Zuge der sog. Expressionismus-Debatte über kunstrichterliche Besserwisser lustig. In einem weiteren Beitrag zur Auseinandersetzung zwischen Verfechtern des sog. Formalismus und jenen des sog. Realismus hielt er fest: »Alte Wunden brechen auf, neue werden geschlagen, verjährte Feind- und Freundseligkeiten werden ausgetragen, man schlägt sich und anderen in die Brust. Überzeugt scheint niemand zu werden, außer von seiner eigenen Auffassung.« Und die unserer romanrevolutionären Viererbande ist originell und attraktiv wie siedender Schwefel: oben und unten die Deppen, in der Mitten die Netten. »Vorn, ganz vorn«, steht in diesem Manifest am Anfang, ganz am Anfang geschrieben, »sind immer noch die großmäuligen Alten, die Deutungshoheiten mit und ohne Pfeife. Dicht gefolgt von den einst nicht minder lärmenden Damen und Herren um die sechzig, den Emanzipierten um jeden Preis, die sich in splendider Isolation eingerichtet haben und aus dieser von Zeit zu Zeit mit steiler Geste zu Wort melden. Hinten und deshalb auch wieder ganz vorn, sobald der Betrieb plötzlich kehrtum macht (hat er das nicht schon?), die Dienstleister gestriegelter Populärliteratur und die mehrheitlich TechnikerInnen einer unerschöpflichen Ästhetik der Erschöpfung.«
Der vorherrschenden »nostalgischen Erinnerungsmümmelei« sei mithin aus dem »adulten Mittelfeld« heraus entgegenzutreten, die »Epigonen des Familienromans« seien »auf ihren Platz am Rand« zu verweisen, die »Enkelromane aller Couleur« zu zerreißen usf. – um Platz zu schaffen für unsere vier Gesinnungskrakeeler in nichts als ureigener Sache. Nichts als Geschrei um noch und noch mehr Anerkennung, nichts als eitles Austeilen und Herumkeilen – und dann ein kacheldummes Plädoyer für eine Literatur, die »die zwar unbequeme, aber aufregende Gegenwart zum zentralen Ort des Erzählens« bestimmt und dieselbe zu »transzendieren« beauftragt wird.
Die aufregende Gegenwart wird sich gewiß umgucken, wenn sie spitzkriegt, was ihr da in Bälde blüht – eine Mixtur aus Sartreschem Engagementgewürge und Böll revisited womöglich. Denn das Manifest versichert festen Glaubens, »daß dem Roman heute eine gesellschaftliche Aufgabe zukommt«, und das, was sich an diese Confessio anschließt, muß man notgedrungen ungekürzt und zum Nichtgenießen zitieren: »Er muß die vergessenen und tabuisierten Fragen der Gegenwart zu seiner Sache machen, er muß die Problemfelder, ob in lokalem oder globalem Kontext, in eine verbindliche Darstellung bringen. Die Forderung nach mehr Relevanz leiten wir nicht nur aus unserem Alter ab, sondern auch aus dem Zustand einer ›unheimlich‹ gewordenen Welt. Ihre Bewohnbarkeit beizubehalten und weiter zu erschließen ist die Aufgabe des Romans. Dies setzt voraus, daß der Schreibende eine erkennbare Position bezieht, die moralische Valeurs mit ästhetischen Mitteln beglaubigt. [...] Die Aufgabe ist deshalb, Brücken zu bauen, in diesem Falle nicht nur zwischen Realität und Fiktion, sondern auch zwischen Moral und Ästhetik. Weil wir weder an den Tod des Autors glauben noch einfache Ich-Posen behaupten, sehen wir uns eher als Mittler zwischen Subjekt und Gesellschaft.«
»Ich arbeite nicht dafür, daß diese Gesellschaft sich auf die Füße stelle«, gab Andreas Maier, der auch keinen erträglichen Satz mehr zuwege bringt, in einer umgehend angeforderten Stellungnahme zu Protokoll, und Julie Zeh bekannte stante pede, erfreut zu sein, »daß sich ein paar Schriftstellerkollegen versammeln, um sich und andere am eigenen Zopf aus dem Lamento zu ziehen«. Bei Trost war dagegen Hans-Ulrich Treichel. »Der Roman muß eine bestimmte Länge haben. Mehr muß der Roman nicht«, ließ er sich vernehmen, und während Eckhard Fuhr in der WELT die erspähte »Mischung aus ausgeleiertem Politjargon und Literatur-Funktionärsdeutsch« bemängelte, hielt Iris Radisch die ganze