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hatte zu einer offenen Lesung eingeladen und jeder, der scharf drauf war, konnte kommen und hier seine Gedichte vortragen.

      Bei schönem Wetter fanden die Lesungen unter freiem Himmel statt und zwar in dem herrlichen Zen-Garten im Hinterhof, mit sauber geharktem weißen Sand und drei mittelgroßen Felsbrocken, die am äußersten Ende aus der Erde ragten. Der Garten war originalgetreu nach einem Vorbild im Zen-Tempel von Kioto angelegt.

      Sieben Leute, drei Frauen und vier Männer, schlenderten nach der Lesung durch die Straßen und steuerten auf ein Apartment in der Fünften Straße Ost Nummer 704 zu, gleich an der Ecke der Avenue C. Jeder von ihnen hatte an diesem Abend seine Gedichte gelesen. Einer nach dem anderen hatten sie sich bei dem Burschen, der die Reihenfolge der Lesenden organisierte, in die Namensliste eingetragen. An diesem Septemberabend kreuzten dreiundzwanzig Poeten auf, die ihre Gedichte lesen wollten, und sie wurden auf drei Sessions verteilt, von denen jede etwa eine Stunde dauerte. Die Poeten wurden angewiesen, sich jeweils auf zehn Minuten Lesezeit zu beschränken, aber es konnte durchaus passieren, dass sich einer hinstellte und seine komplette Übersetzung der Pyramidentexte von König Unas runterbetete, die immerhin 115 Vierzeiler umfasste. Bei so was wurde das Publikum spätestens nach einer Viertelstunde nervös und begann, unruhig auf den Stühlen hin und her zu rutschen. Kein Wunder, denn die Mehrzahl der Zuhörer war mit dicken Ringbüchern unterm Arm aufgetaucht — sie konnten es kaum erwarten, endlich ihre eigenen Gedichte lesen zu dürfen, und ihnen platzte schier der Rollkragen, wenn da vorne einer stand und partout nicht fertig wurde mit seinem Kram.

      Drei von den sieben, die da durch die mitternächtliche East Side schlurften, waren Herausgeber eigener poetry mags. Jeder wusste haargenau, woran der andere gerade arbeitete, und sie diskutierten darüber, wann immer sie sich trafen, und das passierte so ziemlich jeden Tag. Sie lebten ganz in der Welt ihrer Poesie, und alles drehte sich um Gedichtveröffentlichungen und die Anekdoten aus dem Leben der Poeten, die sie sich immer und immer wieder erzählten. Geschlossen rümpften sie die Nase über den Rest der Welt, vor allem über das Fernsehen und die Zeitungen mit ihrem tagtäglichen Ausstoß von Horrormeldungen.

      Trotz all des Elends, des Schreckens und der Verkommenheit der res publica — dieser unsägliche Überdruss, diese geistige Leere, wenn sie auf der schiefen Ebene des Nichts hinunterschlitterten und mit ansehen mussten, wie die Pestbeulen der westlichen Zivilisation zuckten, aufbrachen und eiterten —, trotz alledem kamen sie in diesem Herbst stets nach den Lesungen zusammen und lauschten gemeinsam ihren Poetry-Schallplatten. Und während leise Lyrik aus dem Lautsprecher plätscherte, hockten sie andächtig im Kreis und zupften an den Saiten ihrer riesigen, blubbernden Gras-Harfe. Und keine Regierung der Welt, so totalitär sie sich auch gebärden mag, vermag den beißenden Hohn und Spott heimlicher Hasch-Raucher zu unterdrücken.

      Im Vergleich zur kollektiven Durchschlagskraft späterer psychedelischer Zeiten war das hier wirklich rührend unschuldig — aber allen war klar, dies war historisches Neuland, das allererste Beispiel derartiger Aktivitäten in der westlichen Hemisphäre.

      Sie hatten sich auf die Sprechplatten von Caedmon / Spoken Arts spezialisiert — und verschrieben sich mit Haut und Haaren den hervorragendsten Köpfen dreier Generationen, unter ihnen Dylan Thomas, e. e. cummings, Marianne Moore, Delmore Schwartz, William Carlos Williams, Edith Sitwell und sogar T. S. Eliot, obwohl man zugeben muss, dass es irgendwie schwierig ist, die Glut der Leidenschaft am Glimmen zu halten, wenn T. S. Eliot dabei sein Marder At the Cathedral rezitiert. (Eine vollständige Liste aller Dichter, deren Platten bei jenen Zusammenkünften gespielt wurden, findet sich am Schluss dieses Kapitels.)

      Doch was die Clique bei ihren Fummel-Sessions am liebsten hörte, waren die Platten von Siobhan McKenna, auf denen sie irische Gedichte las. Jesses, das brachte sie echt in Fahrt. Wenn die Stimme der McKenna ertönte, blieb kein Auge trocken, da wurde gefickt bis zur totalen Erschöpfung. Sie dachten gar daran, der McKenna einen Brief zu schreiben und sie zu einer ihrer Mitternachts-Sessions einzuladen, wenn sie das nächste Mal nach New York kam. Und sie gerieten vollends aus dem Häuschen, als sie spitzkriegten, dass die McKenna in einem Theater in Galway Lady Macbeth in gälischer Sprache gespielt hatte.

      »Mensch, wir müssen unbedingt rauskriegen, ob sie auch ’ne Schallplatte davon gemacht hat!«, rief einer und seine Augen funkelten vor lauter Aufregung.

      Es gab keine große Theorie hinter ihrer Gruppenfummelei — höchstens die Theorie von der gesunden Geilheit. »Wer sich selbst liebt, liebt mich, der sich selbst liebt« — so sang der Barde, und das war alles, was die Fummler an Theorie brauchten. Sie redeten nicht lang drum rum, sondern warfen sich Hals über Kopf in den Kampf gegen die allgemeine Bewusstlosigkeit. Wenn einer fragte: »He, wieso machen wir das eigentlich ...?«, rückte ihm ein anderer schnellstens die Wasserpfeife in Griffweite oder warf ihn kurzerhand mit dem typischen Fummlergriff auf die nächstbeste Matratze.

      Ein paar waren anfangs nur zögernd bei der Sache, wurden aber mit der Zeit immer mutiger. Bei anderen war es genau umgekehrt. Das Ganze erinnerte irgendwie an dieses Gedicht von Ezra Pound, E. P. Ode Pour I’Election de Son Sépulchre, Part IV, obgleich dies mehr auf phonographische Unzucht hinauslief. Ava beispielsweise schrieb langzeilige Gedichte mit religiösem Tiefgang, kleidete sich immer äußerst dezent, doch kaum war die Tür sicher verriegelt, wurde sie zu einem der heißblütigsten Mitfummler. Großmaul Bill dagegen, der einem mit seinem unerschöpflichen Fundus an obszönen Flüchen den letzten Nerv rauben konnte, war auf der Matratze plötzlich verschüchtert und brachte kaum was Nennenswertes zuwege, hopste aber dafür pausenlos mit seinem alten klapprigen Photoapparat zwischen den Fummlern herum. Im Großen und Ganzen jedoch verschmolzen die Sieben zu einer Einheit und fanden sich im Labyrinth ihrer Arme und Beine, ihrer Begierden und Gelüste bestens zurecht.

      Als die sexhungrigen Poeten an diesem Abend in ihre Bude kamen — Ava, Bill, Rosebud, Nelson, Rick, Trady und noch ein Typ, der sich Obtak nannte und behauptete, er sei eine Reinkarnation von Shelley —, packten sie als Erstes ihren Stapel Lyrikplatten auf den Plattenteller. Dann schlabberten sie eine Runde Yohimbinrindentee, den Rick ein paar Stunden zuvor gebraut hatte, nachdem er von seinem Spiegelraubzug zurückgekommen war. Rick hatte nämlich eine Schwäche für Spiegel und gerade an diesem Nachmittag die Gegend um die Bowery abgeklappert, wo er sich sämtliche Spiegel von weggeworfenen Frisierkommoden und sonstigem Sperrmüll unter den Nagel riss. Er schleppte fünf klägliche, angeknackste Exemplare an, die er rings um die Matratzen herum aufstellte. Das war für ihn der totale Abflug: die andern beim Vögeln im Spiegel zu beobachten, während er Edith Sitwell lauschte und sich dabei von Ava mit einer glibberigen Bananenschale seine obszönen Zonen massieren ließ.

      Im Nebenraum stand eine kleine Offsetmaschine, auf der Ava jeden Monat ihr Poetry mag druckte. Ava und Obtak waren gerade dabei, den Farbgeber an der Druckwalze zu reparieren. Offenbar hatte sich der im Lauf der Zeit etwas verschoben, jedenfalls kamen jetzt die Blätter nur noch linksseitig bedruckt aus der Maschine. Kaum war die Reparatur erledigt, schoben die beiden eine schnelle Nummer auf der blauen Luftmatratze, die gleich neben der Druckmaschine lag, ohne sich groß drum zu scheren, ob da nun im Hintergrund eine Dichterplatte lief oder nicht. Dann legte im Schlafzimmer jemand eine e.-e.-cummings/Luciano-Berio-Komposition auf.

      Als sie ein paar Minuten später aus dem Nebenzimmer kamen, meinte Ava schmunzelnd: »Höchste Zeit, ins Bett zu gehen!«, setzte sich auf den Rand der Badewanne, riss sich den blauen Velourspulli vom Leib und stieg aus dem Jeansrock. Sie ließ die Wanne volllaufen und nahm ein Bad, wobei ihr Nelson tatkräftig assistierte, und tauchte endlich neben der Fummelmatratze auf, in der einen Hand ein Handtuch, mit dem sie sich das feuchte Haar abtupfte.

      Sie hatten zwei Matratzen nebeneinander auf dem Boden liegen, eine in Normalgröße und eine im Doppelformat. Bevor irgendetwas abging, genehmigten sie sich erstmal einen ordentlichen Joint — zwecks besseren Durchzugs nahmen sie den Pappzylinder einer Klopapierrolle, Rick bohrte ein Loch in die Hülse und steckte einen schwelenden Bomber hinein, dann setzten sich zwei Leute gegenüber und jeder drückte seinen Mund gegen ein offenes Ende der Rolle. Der eine pumpte sich erst die Lungen voll Rauch und blies diesen dann auf ein Signal hin mit einem satten Push durch die Röhre hindurch genau in den gierigen Rachen seines Gegenübers. Und schon schwebten sie mindestens dreiundzwanzig Zentimeter

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