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Runde gab es dann neue Beine und neue Schmusereien. Eines Tages packte die Streberin der Klasse bei ihren Eltern aus, und aus war’s mit den Parties.

      Als Lösung des Problems kamen die Eltern auf die Institutionalisierung von Rollschuhpartien, die von nun an alle vierzehn Tage stattfanden. Sollten die kleinen Bastarde doch da ihr Mütchen kühlen!

      Clommers Rollschuhbahn lag direkt an der Grenze zwischen Kansas und Colorado. Der Besitzer hieß Walt Clommer und war ein lokaler Sportsheld. In dieser Zeit stand er auf dem Höhepunkt einer steilen Karriere als Baseball-Spieler in der Oberliga und bereitete sich langsam darauf vor, seine restlichen vierzig Jahre als Manager einer Rollschuhbahn, eines Molkereibetriebes und eines Gebrauchtwagenhandels abzureißen. Seine Tochter Sophie wurde 1957 oder 1958 Miss Colorado.

      Als Mr. Roddle den Wagen auf den Parkplatz lenkte, kam Leben in die Kids. Sam hatte keine Ahnung mehr, was zwischen ihrer Ankunft und dem Moment lag, als er sich drinnen die Rollschuhe anschnallte. Er sprang aus dem Auto und rannte schnurstracks zum Eingang. Die nächsten zwei Stunden versprachen nichts als Vergnügen: keine Politik, keine verborgenen Bedeutungen, keine Eltern, keine bösen Blicke — kurz, keine Spur von Frust.

      Clommers Rollschuhbahn machte einen ziemlich verwahrlosten Eindruck und hätte dringend einen neuen Anstrich nötig gehabt. Es kostete fünfzig Cent Eintritt und noch mal fünfunddreißig, wenn man Rollschuhe ausleihen wollte. Der Saal war riesig, aber das ganze Ding wurde nur von einem einzigen scheppernden Ofen irgendwo in der hintersten Ecke beheizt. Ein wackliges, niedriges Holzgeländer begrenzte die Bahn, dahinter standen Holzbänke, auf denen die Läufer sich ausruhen konnten. Und nebenan war der Erfrischungsraum mit seiner glorreichen Snackbar, die vollgestopft war mit Milky Ways, Popcorn, Hotdogs, Cola und sprudelnder Orangenlimonade.

      Die Musik kam von immer den gleichen Schallplatten mit Orgelkonzerten. Am hinteren Ende der Bahn stand ein zylindrischer Apparat, der anzeigte, welche Tanzart auf der Bahn gerade an der Reihe war. Es war einfach eine Wachstuchrolle mit einem Griff an der Seite, und an dem musste man drehen, wenn man ein anderes Programm einstellen wollte. Der Manager glitt ständig über die Rollschuhbahn und brachte die Burschen wieder auf Trab, die aus lauter Übermut aus dem Strom ausscherten. Jedes Mal, wenn die Musik aufhörte, blies er in die Trillerpfeife, die er um seinen Hals baumeln hatte. Dann rollte er zu seinem Apparat hinüber und drehte so lange an dem Griff, bis er ein neues Programm gefunden hatte, das ihm zusagte: Paare, Trios, Damenwahl, Walzer und so weiter.

      Sam war ein miserabler Rollschuhläufer. Ritsch! Ratsch! Ritsch! Ratsch! übte er. Meistens stolperte er über seine eigenen Füße, statt einfach zu gleiten. Kurven brachte er am Anfang überhaupt nicht zustande, und manchmal rutschte er dabei aus, fegte quer über die Bahn, krachte in das blanke Holz, — uff! — und baumelte mit dem Oberkörper auf der anderen Seite des Geländers. Die Fläche hatte zahllose Kratzer und Kerben, und immer hing eine feine Staubschicht darüber. Kein Wunder, dass er immer von oben bis unten dreckig wurde, wenn er wieder mal hinknallte. Dann schlich er schamrot in die nächste Toilette, um sich zu waschen, denn er hasste es wie die Pest, bei der feinen Annie Thornton den Eindruck eines Schmutzfinken zu hinterlassen.

      Bei jeder Rollschuhpartie trainierte er verbissen Sprünge und Pirouetten. Annie Thornton konnte natürlich viel besser Rollschuhlaufen als er, kein Wunder, sie war ja auch die bessere Klavierspielerin. Seufzend malte Sam sich aus, wie er eines Tages mit ihr laufen wollte, mit verschränkten Armen Hand in Hand dahingleiten und sich in halsbrecherische Pirouetten stürzen!

      Die wirklich guten Teenagerpärchen kreuzten im Partnerlook und mit zusammengehörigen Pompons an den Spitzen ihrer Rollschuhe auf. Der Junge hatte dann zum Beispiel einen rotweiß gestreiften Pullover an und das Mädchen ein rotes und weißes Kostüm. Sam träumte damals von nichts anderem als dem Tag, wo er mit Annie im Partnerlook laufen würde — sie legte ihren Arm um seinen Hals, und er schob seine Hand unter den Gürtel auf ihren Rücken, und sein Freundschaftsring baumelte auf ihrer Brust.

      Gegen Schluss der Party verließ Mr. Roddle plötzlich die Rollschuhbahn und ging hinaus zu seinem Plymouth. Er setzte sich hinein und ließ den Kopf auf das Steuerrad sinken. Sam konnte sich nicht erinnern, vor acht Jahren jemals rausgekommen zu sein und Mr. Roddle so ins Auto steigen zu sehen. Irgendwas lief hier verkehrt. Dann sah er, wie Mr. Roddle anfing zu schluchzen. Er konnte sich garantiert nicht entsinnen, ihn je so gesehen zu haben. Eine Frau kam von der Rollschuhbahn herüber und lief auf das Wagenfenster zu. »Irgendwas muss jetzt endlich geschehen!« schrie sie. Dann packte sie Mr. Roddle am Arm und schüttelte ihn. »Hör auf damit!«, fuhr er sie an. In diesem Moment fiel die Peyotevision plötzlich auseinander — grade, als die Wagentür aufging und Mr. Roddles Bein sichtbar wurde.

      Beim ersten Klopfen an der Tür löste sich die Rollschuhbahn in Luft auf, und Sam landete wieder in der Vierten Straße Ost des Jahres 1960. Er fand sogar die Tür. Draußen stand Wilfred, sein Zimmergenosse, mit einem ganzen Schwung von Fotokopien unterm Arm. Wilfred hatte neulich damit angefangen, seine Träume in Kurzschrift aufzuschreiben. Die stenographierten Notizen fotokopierte er dann und verteilte sie auf der McDougal Street, wobei er den Touristen natürlich so ganz nebenbei auch noch ein paar Cents aus der Tasche lockte.

      Wilfred schlurfte zum Küchentisch, holte seine Utensilien aus der Besteckschublade, kochte seinen Stoff auf, zurrte die Binde fest, setzte sich einen Schuss und ging dann rüber ins Schlafzimmer, wo er das Radio andrehte und die Frequenzen nach der Saxofon-Raserei, dem Geheule und Gejaule, der Rebellion des Saxofons absuchte.

      Sam kehrte auf sein Feldbett zurück und versuchte, sein Biotape mit der Rollschuhpartie drauf wiederzufinden, aber die Vision war inzwischen so undeutlich wie eine Fotokopie in der zehnten Generation. Keine Rollschuhbahn. Keine Teeniepartys des Jahres 1952. Stattdessen breitete sich vor seinen Augen ein schachbrettartiges Plateau aus, das bis in den Horizont hineinreichte, und weit hinten in der Ferne sah er aus der Form geratene Blasen aufsteigen, sich verbinden, verschmelzen und wieder aufsteigen. »Ich bin eine atomare Kartoffel. Ich bin die grüne Fledermaus in einer purpurroten Höhle.« Er fing an zu lachen. »Ich bin der Handabdruck auf einer verkohlten Mauer.« Er rollte sich auf seinem zerwühlten Bett mit dem Gesicht zur Wand, aber die zuckenden Blasen hörten nicht auf ... zu steigen ... und wieder zu versinken ...

      »Hey Wilf! «, schrie er. »Komm her und guck dir diese Blasen an!« Er brüllte vor Lachen. »Mach weiter! Weiter!!«

       LUMINOUS ANIMAL THEATRE

      Sie hatte gleich drei auf einmal — ihren Dreifuß, wie sie sie bei sich nannte. Alle drei waren Claudia Pred verfallen, der Begründerin des Luminous Animal Theatre. Der Erste war ein Stückeschreiber, der Zweite ein Steuerprüfer und der Dritte ein Theaterkritiker. Und außerdem bestand da noch die vage Aussicht auf einen vierten Verehrer, einen stinkreichen New Yorker Börsenmakler und Verleger, der mit einem dicken Batzen Kohle an der neuesten Luminous-Animal-Produktion Newsreel ’84 beteiligt war.

      Zahllose weitere Anbeter lagen ihr in sklavischer Unterwürfigkeit zu Füßen, sogar im letzten halben Jahr noch. Sie winselten im Schatten ihres Rocksaums und warteten ergeben auf Erwiderung ihrer Gefühle. Sparsam und praktisch, wie sie nun mal war, beschäftigte Claudia so viele von diesen jämmerlichen Waschlappen wie möglich als »Höllensklaven«, das heißt als Produktionsassistenten, Künstler, Bühnenschrubber, Pförtner oder Platzanweiser im ständig geschäftigen Luminous Animal Theatre.

      Claudia Pred —

       Sängerin und Schöpferin des Ausdruckstanzes

      So lautete die flammende Schlagzeile ihrer ersten großen Story im Dance Magazine. Damals war sie grade erst zweiundzwanzig geworden und es dauerte noch fünf Jahre bis zu den Ereignissen, die in dieser Geschichte zur Gloria mundi wiedergegeben werden sollen. Die Schöpferin des Ausdruckstanzes — ja, genau das war sie, und in den frühen sechziger Jahren prägte sie der Tanzkunst ihrer Zeit einen entscheidenden Stempel auf.

      1. Sie startete ihre Karriere schon ziemlich früh. Sofort nach Beendigung der High School schrieb sie sich an der New York School of Dance and Drama ein und studierte dort drei Jahre lang. Kurz vor dem Abschluss ihres Studiums gab

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