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werden. Wahrscheinlich kamen mehrere Ursachen zusammen, wie etwa die Überlegenheit der eingewanderten modernen Menschen bei der Jagd, generelle Fleischknappheit oder eingeschleppte Infektionskrankheiten. Eine gewaltsame Ausrottung durch den modernen Menschen, der in Europa mehrere Jahrtausende lang mit dem Neandertaler in derselben Umgebung lebte, gilt heute als unwahrscheinlich.

      In einer neuen Theorie wird vermutet, dass das Gehirn des Neandertalers besonders stark darauf ausgelegt war, gut sehen zu können und ihren massigen Körper zu kontrollieren. Dadurch sei weniger Gehirnkapazität für komplexe Denkprozesse verfügbar gewesen. Dies habe es den Neandertalern – im Gegensatz zum modernen Menschen – erschwert, große soziale Gruppen zu bilden.

      Bereits aus Studien war die Theorie bekannt, dass moderne Menschen umso größere Sehareale im Gehirn ausbildeten, je weiter sie vom Äquator entfernt lebten, möglicherweise um den geringeren Lichteinfall zu kompensieren. Da die europäischen Neandertaler in höheren Breitengraden auf der Nordhalbkugel lebten und auch massigere Körper als moderne Menschen hatten, mussten sie dem Sehen und der Körperbeherrschung mehr Hirnkapazität widmen. Somit blieben weniger Gehirnareale übrig, um komplexere Aufgaben wie etwa das Sozialverhalten zu bewältigen. Das hatte für die Urmenschen vielleicht weitreichende Folgen: Das Zusammenleben in eher kleinen Gruppen machte es für die Neandertaler schwieriger, auf Dauer den harten Umweltbedingungen in Europa zu trotzen. Diese unterschiedlich genutzten Gehirnareale bei Neandertalern und modernen Menschen könnten ein Grund sein, weshalb Neandertaler ausstarben, während sich die modernen Menschen kulturell weiterentwickelten und überlebten.

      Eine weitere Theorie geht davon aus, dass der moderne Mensch dem Neandertaler technisch überlegen und dieser dadurch bei der Jagd und beim Sammeln von Pflanzen benachteiligt war. Hier haben in letzter Zeit Funde darauf hingewiesen, dass ein Austausch von Technologie zwischen den beiden Menschenarten stattgefunden hat. Neue Funde aus Abri Peyrony und Pech de l’Azé in Südfrankreich legen sogar den Schluss nahe, dass die Neandertaler als erste Menschen Lissoirs (gebogene Knochenstäbchen) zur Lederbearbeitung herstellten. Die Funde sind älter als die ersten handwerklichen Zeugnisse von Homo sapiens in Europa. Als diese in Europa einwanderten, verwendeten sie zunächst neben den Steinwerkzeugen nur spitze Knochenwerkzeuge. Man sieht in den Funden einen Beleg dafür, dass die Neandertaler eine eigene Technologie hatten, die bisher dem modernen Menschen zugeschrieben wurde. Die Funde aus der Dordogne lassen allerdings einige Fragen unbeantwortet. So wissen Anthropologen nicht, wie gängig die Lissoir-Anfertigung unter den Neandertalern überhaupt war. Vielleicht hatte nur eine Gruppe diese Werkzeuge erfunden oder verschiedene Gruppen haben unabhängig voneinander Lissoirs erfunden, oder aber die Erfinder brachten ihren Artgenossen bei, wie man die Knochenwerkzeuge herstellte.

      Eine weitere Theorie ging davon aus, dass der moderne Mensch den Neandertaler gewaltsam ausgerottet haben könnte. Es gibt aber bisher keine Anzeichen für kriegerische Handlungen oder für einen sehr raschen Übergang der Besiedelung Europas von den Neandertalern zum modernen Menschen. Auch das zwischen 40.000 und 30.000 Jahren v. Chr. allmählich kälter werdende Klima in Europa scheint keinen maßgeblichen Einfluss darauf genommen zu haben, denn die Hauptvereisung Europas begann erst vor rund 25.000 Jahren und erreichte ihr Maximum vor 20.000 Jahren, als die Neandertaler bereits ausgestorben waren. Möglich wäre es, dass der moderne Mensch den Neandertaler durch seine besseren sozialen Fähigkeiten und durch seine bessere Technik aus den besten Jagdgebieten verdrängt und so zum Untergang des Neandertalers beigetragen hat.

      Dies belegt, dass es sexuelle Interaktionen zwischen Neandertalern und modernen Menschen gegeben haben muss, was aber eine für die Anthropologie kritische Frage aufwirft: Wenn sich Neandertaler und Homo sapiens mischen und fruchtbare Nachkommen zeugen konnten, wie der Genfluss beweist, muss künftig darüber diskutiert werden, inwiefern die Vorstellung von zwei verschiedenen Menschenarten noch zulässig ist oder ob die Grenzen hier neu gezogen werden müssen.

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