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und die Kohlen aus dem Keller zu holen war ja leicht und einfach; ihr die Zehennägel zu schneiden und die Hornhaut an den Fersen abzuhobeln, weil sie sich nicht mehr so tief bücken konnte, auch das war nicht schwer. Aber pflegebedürftige, bettlägerige Leute rundum versorgen?

      Zu Hause war der Kummer groß, denn im Heim hatte ich nicht nur freie Verpflegung, (waren die sich im Klaren, welche Mengen ich verschlingen konnte?), auch ein kleines Zimmer stand mir zur Verfügung. Diese Gelegenheit, auf eigenen Füßen zu stehen, nutzte ich natürlich. Am Stichtag zog ich mit Vorfreude, einem kleinen Koffer voller Habseligkeiten, aber auch vielen Bedenken und einem etwas mulmigen Gefühl im Bauch los. Von meinem Vater hatte ich mich am Abend zuvor schon verabschiedet, da er morgens sehr früh aus dem Haus zur Arbeit musste. Als ich nun meiner Mutter „Ade“ sagen wollte, fand ich sie nicht. Die Zeit war knapp und der Bus wartete meinetwegen bestimmt nicht. Ob es wohl angebracht war, gleich am ersten Arbeitstag zu spät zu kommen? Ich wollte aber auch nicht gehen, ohne mich von meiner Mutter verabschiedet zu haben. Schließlich entdeckte ich sie im Stall, wo sie meine Kaninchen fütterte, die ich nun leider auch zurücklassen musste. In der Stadt begann für mich ein völlig neues Leben. Tränen rannen über ihr Gesicht. Es fiel ihr schwer, mich nun einfach ziehen zu lassen. Mich kostete es viel Anstrengung, die eigenen Tränen zu unterdrücken. So machte ich den Abschied kurz. „Es sind doch nur zehn Kilometer“, sagte ich mir auf dem Weg zur Bushaltestelle immer wieder, um standhaft zu bleiben.

      Zu meiner großen Überraschung waren in dem Heim auch viele Jugendliche Patienten, mit denen ich mich auf Anhieb besonders gut verstand. Es machte mir Spaß, die alten Damen und Herren zu pflegen und zu betreuen. Für jeden hatte ich ein freundliches Wort oder ein Lächeln. Ich blühte förmlich auf. Vom ersten Tag an machte es mir nichts aus, wundgelegene Stellen zu versorgen, volle Windeln zu wechseln oder verwirrten Patienten ernsthaft zuzuhören, ohne zu lachen. Alle meine vorhergehenden Befürchtungen erwiesen sich als grundlos. Die Zeit verging wie im Flug. Im fünften Praktikumsmonat ließ mich der Heimleiter in sein Büro rufen. Hatte ich etwas falsch gemacht? War ich in irgendeiner Weise frech zu einem Patienten oder Mitarbeiter? Ich wusste, dass ich ein loses Mundwerk hatte, immer das sagte, was ich dachte. Jeder wusste gleich, woran er bei mir war. Dabei versuchte ich stets meine Kommentare so zu geben, dass niemand beleidigt sein konnte. Solche Gedanken gingen mir auf dem Weg zur Verwaltung durch den Kopf. Doch was da auf mich zukam, hatte ich nicht im Entferntesten geahnt. Zunächst bat mich der „Hausvater“, wie der Chef von allen genannt wurde, Platz zu nehmen und ihm zu erzählen, wie es mir so ginge und ob ich Spaß an der Arbeit mit den alten Leuten hätte. Der Hausvater war ein freundlicher, älterer Herr, in dessen Mundwinkel immer ein Lächeln hing. Nie hatte ich ihn verärgert oder böse gesehen. Nur, wenn es um das Wohl der alten Leute ging, konnte er einen Mitarbeiter auch mal kräftig „zur Mina“ machen. Seine nächste Frage allerdings ließ in mir den Verdacht aufkommen, dass er wohl etwas verrückt sei. Wollte er mein ganzes Zukunftskonzept über den Haufen werfen? Er bot mir allen Ernstes eine Ausbildungsstelle zum Altenpfleger an! Das gefiel mir nun ganz und gar nicht. Hegte ich doch immer noch die Hoffnung, meinen Vater von der Notwendigkeit eines Studiums überzeugen zu können. Dem Heimleiter erklärte ich kurzerhand, dass ich diesen Vorschlag erst überschlafen müsse. Das fand er auch noch gut! Etwas in mir sträubte sich gegen eine direkte Absage. In der folgenden Nacht schlief ich wenig. In meinem Kopf ging alles drunter und drüber. Was erwartete ich von meinem Beruf? Doch vor allem Umgang mit vielen Menschen. Denen helfen, die sich nicht mehr selber helfen konnten. Täglich meinen Glauben praktisch leben. Die Ausbildungszeit sollte nicht zu lang sein. Das alles bot mir die Altenpflege! Und damit war meine Verwirrung komplett! Da ich am nächsten Tag frei hatte, fuhr ich mit meinem Fahrrad die 12 Kilometer nach Hause und führte mit meiner Mutter ein sehr langes Gespräch. Am Ende war für mich klar, ohne von ihr gedrängt worden zu sein, dass ich die Ausbildung machen würde. Drei Punkte gaben den Ausschlag: Meine Berufserwartungen deckten sich mit dem Betätigungsfeld, das die Ausbildung mir bot; ich war vorerst in der Nähe meiner Eltern und bekam während der Ausbildung, zusätzlich zu freiem Wohnen und Essen, ein Taschengeld von monatlich 150,00 DM, was für mich eine Menge Geld bedeutete. Bis heute habe ich meine Wahl nicht bereut. (* Mehr zu diesem Buch können Sie am Ende dieses Buches lesen.)

      Da ich nun keinem mehr Rechenschaft abgeben musste, lebte ich frei und ungebunden. Mein Tag war durch die Ausbildung strukturiert. Entweder hatten wir morgens Dienst auf der Station und nachmittags Unterricht, oder umgekehrt. Zwei halbe Tage pro Woche und jedes zweite Wochenende hatten wir frei. Die meisten meiner Mitschüler mussten diese Zeit nutzen, um zu lernen. Ich kam direkt von der Schule und hatte somit keine Schwierigkeiten, meine Hefte gleich im Unterricht korrekt zu führen. Das Gelernte hatte ich schnell verinnerlicht. Nach einem Jahr machte ich das Examen und auch das Anerkennungsjahr war schnell vorbei. In dem kleinen Dachzimmer mit 8 qm Wohnfläche und Dachschräge fühlte ich mich sehr wohl. Im neu eröffneten Alten- und Pflegeheim bekam ich die Stelle einer stellvertretenden Stationsleitung und im Personalheim ein großes Appartement. Zwei Leute teilten sich Küche und Bad und jeder bewohnte ein großes Zimmer. Nun fühlte ich mich wie in einem Palast.

      Der erste Kontakt zu einem Mann

      Beim Spaziergang im Stadtpark lernte ich Mani kennen. Er drehte sich nach mir um und zwinkerte mir zu. Mein Herz begann zu rasen. Sollte es tatsächlich noch mehr Jungs geben, die sich nach anderen Jungen umdrehten? Ich lächelte zurück und wir kamen ins Gespräch. Tatsächlich kannten wir uns aus dem Schulbus, mit dem ich täglich zur Schule in die Stadt gefahren war. Mani kam aus dem Nachbarort und fuhr damals oft im gleichen Bus. Wir gingen in ein nahes Café und unterhielten uns lange. Für den nächsten Tag verabredeten wir uns in meiner Wohnung. Da ich wusste, dass mein Mitbewohner Spätschicht hatte, trafen wir uns gegen 15 Uhr. Es folgte eine aufregende Zeit, in welcher ich Dinge erlebte, die ich mir nie erträumt hätte. Sex mit einem anderen Jungen, bisher ein Tabuthema, wurde in dieser Zeit für mich zu einer normalen und sehr aufregenden Sache, die mein Leben bereicherte. Mit Spannung erwartete ich jedes Mal Manis Besuch. Obwohl er nur ein Jahr älter war, wusste er viel mehr über die körperliche Liebe. So ging es fast ein halbes Jahr. Dann lebten wir uns auseinander. Da ich in verschiedenen Bibel- und Glaubensgruppen aktiv tätig war, hatte ich neben dem Beruf viel zu tun und kaum mehr Zeit, mich mit Mani zu treffen. Er zog dann ohnedies nach Mannheim.

      Meinen ersten Urlaub im Pflegeheim nutzte ich dazu, durch das badische Land zu trampen. Es war toll, einfach per Anhalter durch die Gegend zu fahren, in Jugendherbergen oder einfach bei Bekannten zu übernachten. Die zwei Wochen gingen viel zu schnell vorbei. Da es damals noch keine Handys gab, war eine vorherige Verabredung kaum möglich. Die Menschen waren, so scheint es mir heute, dadurch viel flexibler. Zu Hause hatte ich von meiner Reise nichts erzählt, da meine Eltern es mir bestimmt untersagt hätten. Erst später erzählte ich ihnen, was ich in den zwei Wochen alles erlebt hatte. Sie waren zunächst schockiert, gewöhnten sich aber daran, dass ich jetzt auf eigenen Beinen stand.

      Glaube, Hoffnung, Liebe…

      Durch die verschiedenen Glaubensgruppen kam ich viel herum. So war ich einen Abend bei einer Zeltmission am Kaiserstuhl. Dort wurde ich von einem mir bekannten Missionar aufgefordert, aus meinem Leben mit Gott zu erzählen. Spontan sagte ich zu und redete ohne Vorbereitung fast eine halbe Stunde vor über 1.000 Menschen. Was und worüber ich sprach, weiß ich nicht mehr. Die Menschen waren begeistert.

      Im nächsten Urlaub lebte ich zwei Wochen in einer Kommune der (damals sehr bekannten) Jesus People. Eine tolle Erfahrung. Bei ihnen lernte ich die „Taufe des Heiligen Geistes“ kennen. Jahre später wurde mir klar, dass dies nur eine Form der Selbstsuggestion war. Vielleicht war es auch mit einer Selbsthypnose zu vergleichen. Für mich in jedem Fall eine positive und stärkende Erfahrung, die ich in keiner Weise schlecht reden möchte. Ich ging mit ihnen in den verschiedenen Kleinstädten des Schwarzwaldes auf die Märkte. Wir sangen, predigten und verteilten christliche Traktate. Nach den zwei Wochen war mir klar, dass dies nicht meiner Vorstellung von christlichem Leben entsprach.

      Auf einem der Treffen lernte ich die Gen Bewegung, eine Jugendbewegung der Fokolare kennen. Sie begeisterten mich direkt und ich fing an, mich in deren Jugendarbeit zu engagieren. Ab da war ich noch mehr unterwegs. Oft fuhr ich mit der Bahn viele Kilometer, um am Abend ein Jugendtreffen mitzugestalten, mit Jugendlichen über die Bibel und deren praktischer Umsetzung im Alltag zu diskutieren, oder einfach mit ihnen

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