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die Schulter zu schauen und sich das daraus zu entnehmen, was für Sie Sinn ergibt.

      Dieses Jahr war gewiss nicht leicht – aber es war einmalig, aufregend, abenteuerlich, schön und eindrucksvoll, und es hat mein Leben nachhaltig verändert. Vieles betrachte ich seitdem anders, reifer und gelassener. Der Satz »Das geht doch nicht« gehört der Vergangenheit an. Ich weiß nun, dass so vieles mehr möglich ist, als ich jemals dachte.

      Das Jahr im Wohnmobil ist jedoch nur der rote Faden, das Raster, in dem ich meine Gedanken einordne. Eine sehr persönliche Zäsur und Erfahrung, die mein Leben tiefgreifend verändert hat.

      Kunst und damit auch die Lebenskunst hat mit dem Abschneiden alter Zöpfe zu tun, mit Aufbruch, mit etwas Neuem. Wild sein, frei sein, das sind Begriffe, die den meisten Menschen dazu einfallen. Doch Kunst hat einen Auftrag, sie folgt einer Botschaft, einer Mission, und wenn sie das Aufbrechen selber ist. Und Kunst hat auch etwas damit zu tun, dem Material und dem Objekt eine neue, vorher nicht gekannte Interpretation und einen Ausdruck zu geben.

      Intensität. Ein pures, klares Leben oder Lebensgefühl gelingt, wenn wir klarer sind und uns weniger vormachen. Purheit und Reduktion statt Multitasking und Überfluss. Folgen Sie mir mit dem Gedanken, sich weniger vorzumachen – ganz wörtlich betrachtet! Wenn man sich etwas vormacht, nimmt man sich die Sicht – kann also nicht (uneingeschränkt) erkennen, was eigentlich da ist. Der Blick ist verstellt – man sieht die Bäume statt des Waldes. Blicken Sie neu in Ihre Welt. Dieses Jahr im Wohnmobil war eine Art Lebenskunstwerk. Schaffen Sie Ihre eigenen Kunstwerke!

      LIBELLEN AN DER NAAB – AUSZUG AUS DEM SOMMERGLÜCK

      »Gleich setzt sich die Libelle auf mein Knie!« Mit angehaltenem Atem sitze ich an der grünen Böschung des Flusses und hoffe, dass sich eine der vielen blauen Libellen mir nähert. Das tut sie aber nicht, ich bin ihr wohl fremd und ein wenig suspekt. Das ist verständlich – bin ich doch um ein Vielfaches größer als sie. Und dufte sicher anders als dieses für sie so vertraute Biotop.

      Sie flattert an diesem milden Sommerabend mit den anderen Libellen am Flussufer entlang, und ich liebe es, ihnen dabei zuzuschauen und die Zeit zu vergessen. Wie gut, dass ich nicht fernsehe, sonst würde vielleicht der »Tatort« diese Idylle unterbrechen. Ich bin glücklich. Alles wirkt geradezu perfekt auf mich. Als säße ich inmitten eines Gemäldes.

      Meine kurzen Haare sind trocken gerubbelt, und ich habe mich in das große Handtuch mit dem roten Fischmuster gewickelt, welches ich vor vielen Jahren in Dänemark kaufte.

      In einem unbekannten Fluss zu schwimmen, ist für mich ein kleines Abenteuer, die Strömung, die Tiefe und die Beschaffenheit des Wassers sind unklar, und dann gibt es dieses Nicht-von-der-Stelle-Kommen«, wie bei einer Gegenstromanlage, die in manche kleine Swimmingpools eingebaut ist.

      Ich beginne zu lachen, denn mir wird bewusst, dass ich eben wirklich gegen den Strom geschwommen bin.

      Gleich picknicken wir. N. hat bereits die Tische auf die kleine Wiese gestellt.

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      Es ist ein Sommersonntag Ende Juni, irgendwo in der Nähe von Regensburg – nur ein kleiner, kaum erkennbarer Fleck auf der Landkarte – aber so etwas wie ein Paradies. Ich spüre mich und auch meine kindliche Freude am Da-Sein – da sein, wo ich bin.

      Und wie so oft hat mich meine Intuition diesen Platz finden lassen, ein Platz für die kommenden drei Tage vor dem nächsten öffentlichen Termin.

      Dies ist einer der Momente dieses Jahres, von denen ich bereits während des Erlebens weiß, dass ich sie nie vergessen werde. Sie sind einmalig.

      Keine palmengesäumten weißen Strände in fernen Ländern, die nur mit dem Flugzeug zu erreichen sind, stattdessen eine kleine grüne Miniwiese an einer kleinen Straße direkt an der Naab. Nicht wirklich ein offizieller Weg, sondern so eine Art Verbindungsweg, der nur den Einheimischen bekannt ist und der viel von Radfahrern genutzt wird. Das Wohnmobil fällt nur ein bisschen auf, vermutlich wird sich keiner daran stören. Freude und Glück auf einem einfachen Weg.

      Vor uns liegt ein Abend mit Picknick, Frieden, langen Gesprächen über Gott und die Welt, der Möglichkeit, friedlich zu schweigen, und dem Sternenhimmel über uns.

      Nichts Spektakuläres, ganz im Gegenteil. Doch für mich das Paradies.

      Es braucht für mich nicht viel, um glücklich zu sein. Sorgfältig speichere ich auch an diesem Abend meine wertvollen Momente des Tages ab. Momente, für die ich dankbar bin, die mich berührt haben, in denen ich etwas gelernt habe, in denen ich jemand anderem etwas Gutes tun konnte, in denen ich ein klein wenig für die Welt tun konnte.

      EISKALTER WINTER – ENTTÄUSCHUNG AM ZWEITEN ADVENT

      Eisig fegt der Wind über die weite Asphaltfläche, der Schneeregen peitscht von der Seite, das Wohnmobil ruckelt bei jeder Windböe. Von Landschaft oder so keine Spur. Ein grauschwarzer Himmel geht nahtlos in die Düsterkeit über, die über dem dunklen Wasser der Elbe liegt. Ein Wetter, bei dem man keinen Hund hinausschicken würde, sagen die Menschen. Und von genau diesem Wetter trennt uns nur die dünne Kunststoffschicht des Wohnmobils. Der eisige Regen pladdert aufs Dach, hinterlässt ein Rauschen, was ich angesichts der Kälte und Intensität als bedrohlich empfinde. Noch haben wir nicht genug Wasser und noch keinen Strom. Denn wir sind soeben auf diesem Platz angekommen.

      N. läuft zur Höchstform auf, sie schafft es noch mit eisigen Fingern und Händen, die 50-Cent-Stücke für den Stromkasten einzuwerfen, das Grauwasser abzulassen und das Stromkabel inklusive Verlängerung an die Außensteckdose anzuschließen. Ohne die Miene zu verziehen, tut sie das einfach. Sie hat meine tiefe Bewunderung, bei dieser unwirtlichen Kälte und Nässe hinauszugehen und diese für uns jetzt hier so elementaren Aufgaben zu erledigen. Andere Menschen verbringen jetzt den zweiten Advent zu Hause auf dem Sofa, schauen in den Kamin und freuen sich an allem, was sie umgibt. Ich hingegen breche fast in Tränen aus. Müde, frierend und enttäuscht sitze ich stattdessen einfach nur noch auf meiner angestammten Seite des Tisches. Eingehüllt in meinen blauen Fleecemantel, den ich im Winter so gerne trage. Unser Plan vom Winterquartier für die kommenden vier bis sechs Wochen hat sich gerade zerschlagen.

      Aber wir haben es selber so gewählt – ausprobieren, es zu tun statt es nicht zu machen. Wie viel einfacher wäre es jetzt, mit dem Wohnmobil nach Spanien oder in andere südliche Gefilde zu fahren. Aber nein, das wäre nicht meines. Ich gehe den Weg mit den Steinen, nicht den leichten. Denn aufgeben kann ich immer noch.

      N. kommt nass und durchgefroren herein, wir umarmen uns lange, doch dann muss sie sich die Finger wärmen. Wir machen Tee, trinken einen Grappa auf diesen zweiten Advent. Nähe tut gut.

      Leben ist Veränderung – in jedem Moment, also auch in diesem.

      Wir schauen aus dem Fenster; auf der anderen Elbseite ist oben an der Kirche ein riesiger Weihnachtsbaum aus Lichterketten angebracht. Das ist unser zweiten Advent – doch halt, wir machen auch eine zweite Kerze an. Wir sind allein und haben unsere Ruhe. Frieden in mir, in uns und unserem kleinen Universum. Weit und breit kein Mensch. Sicher ist dieser Platz im Sommer schön, doch jetzt gehen die Windböen peitschend über uns nieder. Gut, dass wir zu zweit sind. Alleine zu sein, scheint mir schwerer zu sein.

      Meine Mutter fehlt mir, gestehe ich mir ein. Wahrscheinlich könnte sie gerade nichts verbessern, aber allein der Gedanke, dass sie da wäre, ist tröstlich. Sie lebt aber nicht mehr, ich kann mir ihre Nähe nur in Gedanken herbeizaubern. Und das tut gut.

      Da wir Strom haben, hole ich meinen Laptop aus dem Schrankfach und mache Musik. Dies ist ein Ritual, das uns schon oft über schwierige Momente hinweggeholfen hat: Wir tanzen im Wohnmobil. Auch wenn kaum Platz ist, tut es gut, die Musik voll aufzudrehen und zu tanzen. Mindestens eine Viertelstunde lang wählen wir einen Lieblingstitel nach dem anderen aus und tanzen, mal ruhig, mal wild, trotzen dem Wetter draußen und vergessen die Welt um uns herum.

      Morgen schlafen wir aus, morgen früh sehen wir

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