Скачать книгу

sich mühsam ein Grinsen. Die Menschen verstanden zu gerne, was sie hören wollten. Das nutzte er mittlerweile häufig aus, um sich nicht in seinen eigenen Lügengebilden zu verstricken. Allerdings schätzte er Pierre als einen gutmütigen Mann ein. Wie hätte dieser auch sonst reagieren sollen?

      Er wandte den Kopf nach hinten und betrachtete die Waren. »Das ist ein bunter Haufen«, stellte er fest und wechselte das Thema.

      »Die Leute brauchen alles, vom Topf über wohlriechende Salben bis hin zum groben Sackleinen. Ich bringe ihnen, wofür sie bezahlen. Bisher bin ich nie auf etwas sitzengeblieben. Manchmal dauert es länger, aber es hat sich immer gelohnt.«

      »Gute Kaufleute lassen Angestellte für sich arbeiten, damit sich ihr Geld mehrt.«

      »Vorsicht, mein Freund. Das war ein gemeiner Seitenhieb.« Pierre lachte. »Eines Tages werde ich zu diesen Herrschaften gehören, deren einziges Kopfzerbrechen darin gründet, welche Weste sie heute tragen wollen.«

      Jakob stimmte in das Lachen mit ein. »Du scheinst eine Nase für gute Geschäfte zu besitzen. Es würde mich nicht wundern, wenn es so kommt.«

      Mit Pierre flogen die Stunden mit Neckereien und Erzählungen dahin, bis sie am Abend an der nächsten Herberge hielten.

      Gemeinsam nahmen sie ihr Abendessen ein. Der kräftige Eintopf aus weißen Bohnen, Speck und Würstchen wärmte ihre Bäuche und Pierre versprach, Jakob bis Valence mitzunehmen, sollte er rechtzeitig bereit zum Aufbruch sein.

      Das ließ sich Jakob nicht zweimal anbieten. In Gedenken an seine geschundenen Füße, die sich erst erholt hatten, fand er sich in der Gaststube ein, bevor die Sonne vollständig am Horizont zu sehen war.

      Die Herbergsmutter bemerkte ihn und warf ihm einen verwunderten Blick zu. »Soll ich das Frühstück bereiten?«

      Jakob nickte ihr dankend zu. Ihm stand erneut ein langer Reisetag bevor und er wollte ihn nicht mit leerem Magen beginnen.

      Während er wartete, konzentrierte er sich auf den Findungszauber. Der sanfte Zug an seinem Brustbein drängte ihn weiterhin Richtung Süden. Zufrieden lächelte Jakob in sich hinein. So einfach sollte es immer sein. Wenn alles kam, wie er es sich vorstellte, würde es in Zukunft so bleiben. Er zweifelte nicht daran.

      »Ah, Loup, du bist bereits auf den Beinen! Iss in Ruhe fertig. Ich möchte auch erst frühstücken, bevor wir weiterfahren. Wir haben noch eine knappe Tagesreise vor uns.« Pierre setzte sich zu ihm an den Tisch und winkte der Herbergsmutter zu, damit sie ihm eine Mahlzeit richtete.

      Jakob nickte zustimmend und kaute zu Ende. Bald bin ich am Ziel.

      Kapitel 3

      

      Die Sonne schickte ihre letzten Strahlen in die Gassen von Valence, wo sich ihre Wege trennten, da Pierre bei einem Bekannten unterkam. Er setzte Jakob vor einer Herberge ab, die seiner Erfahrung nach sauber war und schmackhaftes Essen anbot, ohne dafür überteuerte Preise zu verlangen.

      »Gute Weiterreise, Loup«, wünschte Pierre und schnalzte mit der Peitsche, damit der Ochse sich wieder in Bewegung setzte.

      »Danke, Pierre. Viel Erfolg mit deinen Geschäften. Halte die Augen nach einer zweiten Weste offen, um dich an dein zukünftiges Leben zu gewöhnen.«

      Pierres Lachen polterte über die Gasse und er hob grüßend die Hand.

      Jakob sah dem Fuhrwerk einen Moment lang nach, ehe er in die Herberge einkehrte. In der Gaststube herrschte ein munteres Treiben, doch die Magd versicherte ihm, dass sie trotzdem reichlich freie Zimmer hätten, weil viele der Anwesenden nur auf einen Krug Wein eingekehrt seien. Erleichtert bat er um ein Abendessen und setzte sich an einen Tisch, an dem ein einzelner Mann betrübt in seinen Becher starrte.

      Die Magd kehrte zurück und servierte Jakob einen Napf Gemüseeintopf, Brot und einen Krug Wein. Bereits beim ersten Bissen bemerkte Jakob, dass dem Eintopf Salz und eine ordentliche Fleischeinlage fehlte. Pierres Erfahrungen schienen veraltet zu sein. Doch gemeinsam mit dem Brot ließ sich das Gericht essen. So tunkte er es in den Napf und benutzte den bereitgelegten Löffel lediglich, um die letzten Gemüsestücke heraus zu löffeln. Er spülte mit Wein nach, der fruchtig und leicht schmeckte und ihn für den faden Gemüseeintopf entschädigte.

      Jakob lehnte sich zurück und unterdrückte ein zufriedenes Seufzen. Morgen Vormittag würde er sein Ziel erreichen. Dann galt es, das Opfer ausfindig zu machen, um nicht zu lange am selben Ort zu bleiben. Je weniger Leuten er auffiel, umso besser konnte er nach dem Ritual verschwinden.

      Sein Tischnachbar stöhnte und unterbrach seine Gedanken. Er rieb sich über das Gesicht und flüsterte: »Was soll ich tun?« Ein merkwürdiger Dialekt schwang mit.

      Jakob fühlte sich unbeschwert. Trotzdem merkte er, dass der Mann sich sorgte, und sein Tischnachbar tat ihm leid. Zugleich wollte er wissen, welchen Landsmann er vor sich hatte. Er wirkte nicht wie jemand, der sich um seine Zukunft sorgen musste. Die Kleidung war sauber und gepflegt und entsprach der aktuellen Mode, ohne aufdringlich oder teuer zu erscheinen. Sie ließ jedoch keinen Schluss auf seine Nationalität zu.

      »Kann ich dir helfen?«, fragte Jakob.

      Blutunterlaufene Augen richteten sich träge auf ihn und benötigten einen Augenblick, um sein Gesicht zu fixieren. »Verzeihe, ich glaube nicht. Ich bin Arzt und fürchte, mir stirbt mein Patient weg, ohne dass ich etwas tun kann. Ich benötige eine zweite Meinung, aber hier in Valence arbeiten nur Pfuscher. Ich bin mir unsicher, ob diese überhaupt lesen können.« Missbilligung zeichnete sich auf seinem Gesicht ab und er schnaubte.

      Jakob erkannte den italienischen Akzent nun deutlich und Neugierde regte sich in ihm. »Zufällig bin ich auf der Suche nach einer Anstellung als Arzt«, behauptete er und fügte hinzu, um dem Mann einen Grund zu geben, ihm zu vertrauen: »Mein Vater war Apotheker und ich wuchs mit der Heilkunde auf. Außerdem habe ich bei mehreren Ärzten gelernt, um die unterschiedlichsten Methoden kennenzulernen und mir ein breites Wissen anzueignen. Vielleicht kann ich dir und deinem Patienten helfen. Was fehlt ihm denn?«

      Der Arzt nahm einen tiefen Zug aus seinem Becher. Wein schwappte auf die Tischplatte, als er ihn zu abrupt absetzte. »Mein Patient ist Napoleon Bonapartes Gefangener«, entgegnete er und seine Zunge stolperte über den Namen.

      Jakob wartete auf eine Erläuterung, aber es schien, als habe der Mann damit alles gesagt. Er zog verwirrt die Brauen zusammen. »Hat er deshalb kein Recht auf ärztliche Versorgung?«, bohrte er daher nach.

      Wieder schnaubte sein Gegenüber. »Im Gegenteil. Es ist Napoleon sogar sehr daran gelegen, dass mein Patient soweit genest, dass ein Transport nach Paris möglich ist und man ihm dort den Prozess machen kann. Es ist nur so, dass man General Merque, der mit der Bewachung meines Patienten beauftragt wurde, kürzlich abberief. Bevor er ging, verdeutlichte er mir, dass er bei seiner Rückkehr keinen Toten vorfinden will. Er hat es nicht ausgesprochen, doch sein Ton genügte, um zu verstehen.«

      »Ein Grund mehr, einen Kollegen zurate zu ziehen«, argumentierte Jakob.

      »Ebenso, sich aus der Sache herauszuhalten.«

      »Das mag stimmen«, lenkte Jakob ein. »Doch ein solches Denken und Handeln gehört sich für einen Arzt nicht. Verrate mir, was deinem Patienten fehlt.«

      Der Mann seufzte, aber sein Blick wirkte nun klarer und verriet, dass er die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatte. Er streckte die Hand aus. »Bianchi«, stellte er sich vor.

      Jakob ergriff sie und antwortete: »Loup.«

      »Wenn du so klug wie hartnäckig bist, glaube ich wieder an Wunder.«

      Jakob lächelte und Bianchi begann zu erklären.

      »Er ist über achtzig Jahre alt und leidet an Rheuma. Als wäre das nicht schlimm genug, hat er sich eine Erkältung zugezogen, die er nicht auskurieren konnte. Egal, was ich tue, er fühlt sich nicht besser. Spätestens zum Nachmittag hin gleitet er in einen unruhigen Fieberschlaf, sodass mir nur wenige Stunden am Tag bleiben, um ihm

Скачать книгу