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fliegt«, plapperte der Kleine und hielt die Mütze mit beiden Händen fest, als fürchtete er, sie könnte ohne ihn davonfliegen.

      Lachend sah Felix seinem Neffen dabei zu, wie er die Arme ausbreitete und mit Motorgeräuschen ins Esszimmer flog. Erst jetzt war Zeit für alles andere.

      »Hallo, Mum.« Felix umarmte seine Mutter, blickte von oben auf sie hinab. »Bist du schon in dem Alter, in dem man wieder schrumpft?«

      »Frechdachs!« Lachend versetzte Felicitas ihrem Zweitältesten einen Klaps. »Ich glaube eher, dass du in den vergangenen Monaten gewachsen bist. Wenn nicht an Körpergröße, so doch an Selbstbewusstsein.« Sie drückte ihn noch einmal an sich. War das wirklich der kleine Kerl, der die Schokoladenostereier entdeckt und schon vor Ostern verputzt hatte? Der über den Lenker des Fahrrads abgestiegen war und mit Krokodilstränen und blutendem Knie bei ihr Schutz und Trost gesucht hatte?

      »Kann schon sein«, erwiderte Felix und schlenderte Arm in Arm mit seiner Mutter ins Esszimmer, wo Fynn noch immer brummend seine Kreise zog. »Stell dir vor: Ich habe meinen Termin für den Final Check bekommen. Viel früher als erwartet.«

      »Final Check?« Fee komplimentierte Fynn auf den Kinderstuhl.

      »Die letzte Prüfung auf dem Weg vom Copiloten zum Piloten.« Sein Husten mischte sich mit Fees Klatschen.

      »Das ist ja großartig.« Sie strahlte über das ganze Gesicht. »Gratuliere, Felix.«

      »Danke, Mum. Aber wenn ich nicht langsam etwas zu essen bekomme, kommt es nicht mehr so weit. Dann bin ich nämlich verhungert.«

      Felicitas vertrat ihm den Weg zum Herd.

      »Setz’ dich! Zur Feier des Tages bekommst du dein Essen ausnahmsweise serviert. Aber nur heute!«, fügte sie hinzu und stellte die Pfanne auf den Tisch.

      »Hmm, lecker. Fischstäbchen.«

      Für den Griff in die Pfanne erntete er einen Klaps auf die Finger. »Du bist mir ein schönes Vorbild. Verteil’ lieber den Salat«, sprach Fee ein Machtwort.

      Felix legte den Kopf schief und lächelte so unwiderstehlich, wie nur er es konnte.

      »Ich dachte, ich werde heute bedient.«

      »Jetzt weiß ich wieder, was mir gefehlt hat.« Wasser sprudelte in die Gläser. Während Felicitas trank, ließ sie ihren Sohn nicht aus den Augen. »Aber was ist mit dir? Du siehst müde aus.«

      »Der Klassiker. Unter Stress funktioniert der Körper wie eine Maschine. Aber wehe, der Druck lässt nach, schon fahren die Systeme herunter.«

      »Deinem Appetit scheint es zumindest nicht zu schaden.« Ein vielsagender Blick traf seinen Teller. »Nimm noch mehr Salat. Vitamine sind gesund. Dann bist du bald wieder fit.«

      »Sehr gut. Sonst überstehe ich den Ansturm meiner Familie nicht.« Felix ließ sich sie Salatschüssel noch einmal füllen. »Wann sehen wir uns?«

      »Heute und morgen jedenfalls nicht.« Fees Bedauern war aufrichtig. »Dein Besuch kommt ein bisschen überraschend.«

      »Macht nichts.« Felix lehnte sich zurück und strich sich über den vollen Bauch. »Dann muss ich dich wenigstens nur mit dem kleinen Rowdy teilen.« Die Bezeichnung kam nicht von ungefähr. Rein optisch hatte Fynns Teller Ähnlichkeit mit einem Schlachtfeld voll unschuldiger Fischstäbchen. »Und den stecken wir jetzt gleich ins Bett.«

      Eine Viertelstunde später war Felix mit Fynn im oberen Stockwerk verschwunden.

      Sinnend sah Felicitas den beiden nach. Genoss das Plaudern und Plappern, das langsam verebbte. Schließlich war es still im Haus. Es sah alles danach aus, als wäre nicht nur der kleine Mann eingeschlafen.

      *

      »Der Radfahrer … Ich weiß nicht, wo er herkam. Aber plötzlich war er da. Mein Fahrer hatte keine Chance.« Die Frau lag auf der Liege. Sie sah aus, als hätte sie einen Boxkampf ausgefochten.

      »Silje Johannson, 32 Jahre alt, sie saß auf der Rückbank des Taxis. Kreislauf und Blutdruck stabil. Innere Blutungen unwahrscheinlich. Verdacht auf Fraktur im rechten Knie«, informierte der Notarzt Dr. Erwin Huber den anwesenden Arzt.

      Dr. Weigands Wangen leuchteten. Er hatte gefühlt zehn Kilometer Dauerlauf von der Quarantänestation bis hinunter in die Notaufnahme hinter sich.

      Er keuchte einen Dank und nahm das Klemmbrett entgegen. Warf einen schnellen Blick auf die Informationen.

      »Keine Angst, Frau Johannson. Wir kümmern uns um Sie. Jetzt geht es erst einmal in den Schockraum. Dort untersuchen wir Sie gründlich.« Schon wieder musste er laufen. Diesmal neben der Liege her. Kurz, ganz kurz nur erwischte sich Matthias bei dem Wunsch, ein Patient zu sein, bequem durch die Gegend geschoben zu werden, statt ständig auf den Beinen zu sein.

      Auf den Fluren der Notaufnahme herrschte eilige Betriebsamkeit. Befehle übertönten das Piepen der Überwachungsgeräte. Dazwischen schnauften Beatmungsgeräte. In einer Ecke weinte eine Frau. Von anderen Angehörigen waren nur rastlose Schritte zu hören. Eine Schiebetür öffnete sich vor dem Krankentransport und schloss sich wieder. Mit einem Schlag verstummten die Geräusche. Dr. Weigand atmete auf. Endlich Ruhe.

      »Bei dem Lärm da draußen kann man ja keinen klaren Gedanken fassen«, murmelte er und beugte sich über die Patientin. »Nicht erschrecken. Wir machen jetzt einen Ultraschall, um innere Verletzungen auszuschließen.«

      Silje zuckte trotzdem zusammen, als er den Schallkopf mit dem kühlen Gel auf ihrem Bauch aufsetzte. Eine Weile herrschte konzentriertes Schweigen. Matthias’ Miene entspannte sich.

      »Alles gut. Ich kann keine freien Flüssigkeiten entdecken.« Während er die Ergebnisse seiner Untersuchung auf einem Formular festhielt, wischte der Pfleger Sebastian mit einem Papiertuch das Gel von Silje Johannsons Haut. Er knüllte es zu einem Ball, zielte und versenkte ihn im Abfalleimer.

      »Im nächsten Leben werde ich Basketballer, verdiene einen Haufen Geld und kaufe ein schönes Haus für Anneka und mich.«

      Dr. Weigand hob noch nicht einmal den Kopf. Er begnügte sich damit, eine Augenbraue hochzuziehen.

      »Bis es so weit ist, besorgst du mir einen Termin in der Radiologie. Frau …« Matthias hatte den Namen vergessen. Er suchte auf dem Formular des Notarztes danach. »Frau Johannson …« Irgendwie kam ihm dieser Name bekannt vor. Wo hatte er ihn nur schon einmal gehört? Es wollte ihm einfach nicht einfallen. »Ich brauche Aufnahmen vom rechten Kniegelenk der Patientin. Und Beeilung, wenn ich bitten darf.«

      Die Schritte des Pflegers waren noch nicht auf dem Flur verhallt, als ein Piepen die Luft zerriss.

      »Ja, Weigand.« Matthias lauschte in den Apparat. »Gut, ich komme.« Er entschuldigte sich bei Silje und machte sich auf den Weg.

      Manchmal war es nicht gerade angenehm, ein derart begehrter Mann zu sein.

      *

      Im Garten flatterte die frisch gewaschene Wäsche auf der Leine. Drinnen erstrahlten die Holzböden in neuem Glanz. Kein Staubkörnchen lag mehr auf den Möbeln. Zeitungen und Zeitschriften warteten im Altpapierkorb darauf, entsorgt zu werden.

      Nach getaner Arbeit stand Felicitas Norden auf der Terrasse und sah sich um. Bäume und Sträucher warfen lange Schatten. So hatte sie sich ihren freien Tag wahrlich nicht vorgestellt. Hausputz und Zeitung lesen, statt Spaß zu haben mit Fynn und Felix. Ein paar Mal war sie oben im Kinderzimmer gewesen, um nach dem Rechten zu sehen. Die beiden schliefen den Schlaf des Gerechten. Egal, wie laut der Staubsauger dröhnte. Als die nahe Kirchturmuhr fünf Mal schlug, traf sie eine Entscheidung.

      Die Treppe ächzte unter ihren stampfenden Schritten. Irgendwie mussten die beiden doch wach zu bekommen sein. Sie rumpelte ins Zimmer. Tatsächlich schreckte Felix aus todesähnlichem Schlaf hoch.

      »Wo bin ich? Was ist passiert?« Er saß kerzengerade im Bett und sah sich um.

      »Du bist zu Hause und hast stundenlang wie ein Murmeltier geschlafen.«

      Felix

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