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still, dass die Geräusche von draußen hereinwehten. Schritte näherten und entfernten sich wieder. Geschirr klapperte. Der spitze Schrei eines Kindes weckte Milan schließlich aus seinen Gedanken.

      »Wovor hast du Angst, Muriel?«, fragte er rau. »Dass du gesund sein könntest und damit die Legitimation für dein Lotterleben verlierst? Dass du dir nicht mehr verbieten kannst, dich zu verlieben.« Erschrocken hielt er inne. Hatte er das gerade wirklich gesagt? Doch es war zu spät, um die Worte zurückzunehmen.

      Muriels Miene war der beste Beweis dafür.

      *

      Auf dem Weg in sein Büro kam Dr. Matthias Weigand am OP-Plan vorbei, der prominent an der Wand gegenüber dem Tresen hing. Die Lästerschwestern standen davor und tuschelten.

      »Weigand … der Chef … gestrichen … suspendiert …« Die beiden gaben sich nicht gerade Mühe, leise zu reden.

      Am liebsten hätte er sich unsichtbar gemacht. Dummerweise gehörte Zaubern nicht zu seinen Stärken. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich mannhaft einer möglichen Konfrontation zu stellen. Er straffte die Schultern und marschierte hoch erhobenen Hauptes vorbei.

      Die Rettung kam von unerwarteter Seite.

      »Matthias, da bist du ja endlich!«, rief Sophie schon von Weitem. Der Kinderwagen mit der schlafenden Lea darin blieb in seinem Büro zurück. Winkend lief sie auf ihren Ex-Freund zu. »Ich muss unbedingt mit dir reden.« Sie packte ihn am Arm und zog ihn mit sich.

      Die Blicke der Lästerschwestern ließen Matthias kalt. Völlig überrumpelt stolperte er neben Sophie her. Er kam noch nicht einmal dazu, ihre lange vermisste Nähe zu genießen. Sie wartete, bis er das Zimmer betreten hatte. Dann schloss sie die Tür. Lehnte sich mit dem Rücken dagegen, als hätte sie Angst, er könnte die Flucht ergreifen.

      »Sag mal, hast du eine übergewichtige Patientin?«, platzte sie heraus.

      Matthias schüttelte sich.

      »Wie bitte?«

      »Eine Patientin, der Essen sehr wichtig ist.«

      »Anette Pastor. Wieso fragst du?«

      Sophies Augen leuchteten auf.

      »Weil ich vorhin mit ihrem Mann gesprochen habe.«

      In diesem Moment ahnte Matthias Weigand, woher der Wind wehte.

      »Lass mich raten! Er hat sich bei dir darüber beschwert, dass seine Frau übergewichtig und deshalb krank geworden ist.«

      Zu seiner Überraschung schüttelte Sophie den Kopf.

      »Falsch. Er hat festgestellt, dass sie nur noch das Essen verbindet.«

      »Das ist wahrscheinlich noch gar nicht mal so falsch.« Matthias ging hinüber zum Kinderwagen. Warf einen Blick auf Lea. Sie lächelte im Schlaf. »So viel ich weiß, haben die beiden noch nicht einmal Kinder.«

      Mit verschränkten Armen lehnte Sophie an der Tür. Sie ließ Matthias nicht aus den Augen.

      »Auch das wäre nicht genug für ein erfülltes Liebesleben.«

      »Worauf willst du hinaus?«

      Sophie stieß sich von der Tür ab und schlenderte zu ihm hinüber. Beugte sich über seine Schulter und betrachtete das Kind.

      »Herr Pastor hat mir erzählt, dass er und seine Frau einmal das waren, was man ein Traumpaar nennt. Er vermisst diese Zeit schmerzlich.«

      Ich auch!, schoss es Matthias durch den Kopf. Laut sagte er: »Mag sein. Aber was habe ich damit zu tun?«

      »Meinst du nicht, du könntest mal mit Frau Pastor sprechen? Auf sie einwirken? Wenn sie wirklich übergewichtig ist, schadet ja ein bisschen Sport nicht.« Sophie lächelte. Streifte wie zufällig seine Schulter. »Wer weiß, vielleicht findet das Ehepaar über ein gemeinsames Hobby wieder zusammen.«

      Dieser Augenaufschlag! Am liebsten hätte Matthias Sophie in seine Arme gezogen und geküsst, bis sie um Gnade flehte. Natürlich tat er es nicht.

      »Also gut. Ich werde sehen, was ich tun kann.«

      »Du bist ein Schatz!« Ehe er es sich versah, spürte er ihre Lippen auf den seinen.

      Doch bevor Matthias verstand, was gerade geschehen war, packte sie den Kinderwagen und verschwand aus dem Büro. Nur der Rest Lippenstift bewies, dass er nicht geträumt hatte.

      *

      »Dieser Krakowitz ist wirklich ein Stinkstiefel«, schimpfte Dr. Aydin und warf die Patientenakte auf den Tresen.

      »Vorsicht!« Schwester Elena streckte die Hand aus und fing das Geschoss ab, ehe es einer Kollegin am Schreibtisch an den Kopf knallen konnte. »Du hast doch gehört, was der Chef gestern bei der Übergabe gesagt hat. Keine despektierlichen Äußerungen über unsere Patienten.« Sie verstaute die Akte an ihrem Platz im Hängeschrank. Legte den Kopf schief und musterte Aydin eingehend. »Sag mal, stimmt es, was so gemunkelt wird? Du hast eine neue Flamme hier?«

      Es war nicht weiter schwer zu erraten, woher diese Information kam.

      »Offenbar hat dir deine Informationsquelle verschwiegen, dass es schon wieder vorbei ist.«

      Schwang da etwa Bedauern in seiner Stimme mit?

      »Moment mal: Sie hat dich abserviert?« Schwer vorstellbar. Im Normalfall war Milan derjenige, der das zarte Pflänzchen der Liebe erbarmungslos zertrat. Das wusste sogar Elena.

      »Musst du auch noch mit dem Messer in meiner Wunde bohren?«, fauchte er sichtlich verletzt. »Und so einfach, wie es aussieht, ist es übrigens nicht. Muriel hat ALD. ­Zumindest mit fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit.«

      »Wie jetzt?«

      »Ihre Mutter ist daran gestorben«, fuhr Milan fort. »Offenbar litt sie unter der schweren Version.«

      Elena zählte eins und eins zusammen.

      »Und jetzt lebt diese Muriel ihr Leben auf der Überholspur, um nur ja nichts zu verpassen.«

      »Komisch. Heute begegnen mir nur kluge Blondinen«, witzelte Milan. »Heutzutage kann man sich auch auf gar nichts mehr verlassen.«

      »Haha!« Elena drehte ihm eine Nase.

      Im nächsten Atemzug war sie wieder ernst. »Weißt du was? Ich verstehe deine Flamme.«

      Milan legte den Kopf schief.

      »Was denn? Es ist doch gar nicht sicher, dass sie das Gen in sich trägt.«

      »Sie hat sich nicht testen lassen?«

      Milan seufzte.

      »Ich habe alles versucht, um sie zu überzeugen. Vergeblich.«

      Er bemerkte nicht, dass Elenas Blick abgelenkt wurde. Sie hatte die blonde Schönheit sofort erkannt, kaum dass sie um die Ecke gebogen war.

      »Da wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher«, erwiderte sie.

      Milan sah sie fragend an.

      »Wie meinst du das?«

      Elena nickte mit dem Kinn Richtung Muriel.

      »Ich wusste ja, dass du einen guten Geschmack hast …«

      Endlich verstand Milan. Er legte die Hände auf die Greifreifen. Die Rollstuhlräder knirschten. Sah Muriel und blieb kurz stehen. Dann schob er an. Rollte direkt auf sie zu. Als sie schon befürchtete, überfahren zu werden, bremste er.

      »Du bist ja immer noch hier.«

      Muriel verzog den Mund.

      »Du hast mich überzeugt.« Das Lächeln auf ihrem Gesicht wurde breiter. »Ich möchte, dass ihr mich testet.«

      *

      Dr. Daniel Norden warf den Kugelschreiber auf den Schreibtisch. Aus persönlichen Gründen hatte Matthias Weigand ihn gebeten, den Fall Schön zu übernehmen. Es nützte

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