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und Liebenswürdigkeit in einem Maß, das ihn vollkommen überrascht. Cynthia Powell ist das Kontrastprogramm zu Mimi Smith und die Möglichkeit, sich endgültig abzunabeln. Zudem kommt sie aus gutem Haus, ist attraktiv und eine echte Zierde für den Macho-Rebell. Ihr Liebesnest befindet sich in einer Wohnung in der Percy Street Nummer 9, in der Stuart Sutcliffe mit Freunden in einer Wohngemeinschaft haust. John schlägt Cynthia vor, sich wie Brigitte Bardot zu stylen, was Cynthia umgehend in die Tat umsetzt. Und dann geht es los mit Johns Besuchen bei Cynthias Mutter und Cynthias Besuchen bei Mimi. John ist guter Dinge, dass seine Tante begeistert sein wird von seinem Fang. Erstaunlicherweise ist das Gegenteil der Fall: Mimi lehnt Cynthia ab, obwohl sie ganz offensichtlich eine ideale Frau für ihren John wäre. Sie will ihren Goldjungen wohl einfach noch nicht hergeben. Zu allem Übel gibt es auch noch Krach zwischen Mimi und Cynthias Mutter. Aber all das hindert John und Cyn nicht daran, ihre Beziehung fortzuführen. Die eigentlichen Schwierigkeiten bestehen eher darin, dass John schon damals der »Jealous Guy« ist. »Ich forderte absolutes Vertrauen und Zuverlässigkeit von Cynthia, weil ich selbst so unzuverlässig war. Ich war neurotisch und ließ alle meine Frustrationen an ihr aus.«

      Eine von Cynthias Fähigkeiten besteht – ähnlich wie bei Yoko Ono – darin, Johns unterschwellige Ängste und seine Selbstzweifel aufzufangen und in positive Erlebnisse umzuwandeln. Das geschieht nicht nur, indem sie ihn umsorgt, ihm Sandwiches bringt, wenn er ununterbrochen komponiert und dabei die Zeit vergisst. Sie renoviert mit ihm Kenwood, das Gebäude im Tudor-Stil mit 16 Zimmern und erlebt dort unzählige Alltagssituationen, in denen Meisterwerke der Popmusik entstehen. Cynthia ist der erste Mensch, der Songs wie »You’re Going To Lose That Girl« zu hören bekommt und Verbesserungsvorschläge macht. Sie singt alleine mit John »Blue Moon«, worauf sich die beiden kugeln vor Lachen. Und von seinen Tourneen schickt er ihr Liebesbriefe, die in ihrer Intensität und Offenheit unvergleichlich sind. Schon 1965 schreibt er Zeilen, in denen er klar seine Versäumnisse Sohn Julian gegenüber einsieht: »Ich sitze stundenlang in Garderoben herum und denke darüber nach, wie viel Zeit ich vergeudet habe, weil ich nicht mit ihm zusammen war und mit ihm gespielt habe – all die Scheißzeit, in der ich nur diese verdammten Zeitungen und solchen Mist gelesen habe, obwohl er im Zimmer war, und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass das ALLES FALSCH war! Er sieht mich zu selten, ich will, dass er mich kennt und liebt und mich vermisst, so wie ich euch beide vermisse. Ich hör jetzt auf, weil es mich so runterzieht, wenn ich dauernd darüber nachdenke, was ich für ein rücksichtsloser Scheißkerl bin – dabei ist es höchstens drei Uhr nachmittags, nicht die Zeit für solche Gefühle – mir ist richtig nach Heulen zumute – so was Dummes – ich schluchze hier schon rum beim Schreiben – ich weiß nicht, was mit mir los ist – es ist nicht die Tournee, die so anders ist als andere – ich mein, ich lache viel (du weißt schon: Hahaha!), aber mittendrin gibt’s so Abstürze – und Gefühle, die sich dazwischen bewegen, gibt’s offenbar nicht. So, jetzt hör ich auf, sonst wird der Brief noch zu trübsinnig. Ich liebe dich, Cynthia. John.« Es tauchen später zahlreiche Frauen auf, die alle nach demselben Muster behaupten, eine Geliebte des Stars gewesen zu sein: Cynthia habe nichts von Johns Eskapaden bemerkt, und John habe aus Diskretionsgründen die Affären nie öffentlich bestätigt. Vielleicht geben seine Tagebücher dereinst darüber Auskunft. Nach bisherigem Kenntnisstand sind die beiden Ehefrauen auch die wirklich wichtigen Frauen in seinem Erwachsenenleben.

      Als Cyn im Mai 1962 ungewollt schwanger wird, ist schon der sensible Beatles-Manager Brian Epstein da, der sich um das Wohl des Paares kümmert – nicht ganz uneigennützig: Er tut viel für seine Schützlinge John und Cyn, aber immer auch mit dem Ziel, dass die weiblichen Fans des inzwischen landesweit populären Beatle nichts von seiner Ehefrau erfahren.

      Schwangerschaft, Hochzeit – am 23. August 1962, George und Paul sind die Trauzeugen –, Geburt Julians (am 8. April 1963) und Babyjahre nehmen nicht viel Raum ein in Cynthias Erinnerungen. Da Johns Vaterschaft mit dem ersten Plattenvertrag und dem nun rasch einsetzenden Erfolg zusammenfallen, überlagert die Karriere der Beatles in jeder Hinsicht das Privatleben so stark, dass auch Cynthia als ruhender Pol von der Beatlemania überwältigt wird und nicht recht weiß, wie ihr geschieht. Die sich Monat für Monat schnell verbessernde finanzielle Situation steigert sich bald zur ersten Million und dann zu vielen weiteren und federt Alltagssorgen ab. Cynthia sieht die Notwendigkeit, im Hintergrund zu bleiben, ein, und sie tut dies aufgrund ihrer Schüchternheit ebenso gerne wie die anderen Freundinnen der Beatles. Es ist John selbst, der sie immer wieder zu öffentlichen Anlässen mitnimmt und sich damit gegen die Autorität Brian Epsteins auflehnt. Schon im Dezember 1963 findet das große »Outing« statt. Alle britischen Zeitungen sind voll mit Fotos von John Lennons Ehefrau und Baby. Der Karriere tut es – wie zuvor befürchtet – keinen Abbruch. Im Gegenteil: Aus dem vermeintlichen Problem wird eine Attraktion, und bald entstehen Gruppenfotos der Gefährtinnen der Beatles, die für die weiblichen Fans stilbildend sind.

      Hartnäckig halten sich seit jener Zeit die Gerüchte, John Lennon sei bisexuell gewesen. Trotz eindeutiger Aussagen Cynthias, Yokos, der anderen drei Beatles und vieler weiterer Zeitzeugen, John sei nur heterosexuell gewesen, wünschen sich manche Musikhistoriker und Lennon-Biografen heute einen schwulen John. Eine Urlaubsreise im Sommer 1963 mit Brian Epstein ist der Hauptgrund für die Spekulationen. John Lennon kommentiert: »Fast war es ein Liebesverhältnis, aber eben nur fast. Es wurde nie vollzogen, aber es war eine schöne, intensive Beziehung. Zum ersten Mal verbrachte ich meine Zeit mit einem Homosexuellen. Wir ließen Cyn mit dem Baby zu Hause und fuhren nach Spanien, wo wir eine Menge Spaß hatten. Wir saßen in den Cafés, und ich deutete auf die Jungs, die vorübergingen. ›Gefällt dir der? Oder der?‹ Irgendwie genoss ich die Erfahrung, ständig wie ein Schriftsteller zu denken«, erläutert er im »Playboy«-Interview mit David Sheff im September 1980.

      Cynthias Memoiren basieren auf nachprüfbaren Ereignissen, auf Fakten: die Geburt Julians, die Begeisterung Johns über seinen Sohn, der gemeinsame Hauskauf, die Reisen, die gemeinsame Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen seit seinem Coming-out als Ehemann und Vater. Trotz der Tourneen, der Aufnahmen, der Proben der Beatles ist sein Zuhause bei Cynthia und Julian. Alle seine angeblichen Geliebten wissen um Cynthia und bleiben in deren Schatten, führen – wenn überhaupt – ihre Affären im Verborgenen und können den Beatle nicht von seiner Ehefrau trennen. Das gelingt erst Yoko Ono. Davor spielt Cynthia vor Mimi und möglichen anderen Frauen die erste Geige. Das Foto der beiden im Flugzeug unterwegs zur ersten USA-Tournee 1964 drückt Glück aus, die Gesichtszüge des Beatles sind darauf so entspannt wie sonst nie auf den Tausenden von Aufnahmen, die es von ihm gibt. Verständlicherweise mag Yoko Ono dieses Bild nicht. Da ihr Einfluss auf das heutige Image des Stars in der Öffentlichkeit unangefochten ist – Cynthia stirbt 2015 auf Mallorca – gehört das Foto zu den Raritäten, findet sich aber in Cynthias Erinnerungsbuch »John« (2005). Dort ist John Lennon auch mit dem 18 Monate alten Julian im Arm abgebildet. Diese beiden Bilder gehören gemeinsam mit einem Foto, das 1964 in Florida gemacht wurde, zu den erstaunlichsten im Leben des Vielfotografierten. John und Cyn stecken die Köpfe zusammen, sie befinden sich im Freien, tragen Bademäntel und lächeln ein ähnliches Lächeln. Augenbrauen, Augen, Nase, Mundpartie, ja, die ganze Gesichtsform der jungen Eltern passen auf verblüffende Weise zusammen. Hätte man mit diesen beiden Gesichtern Foto- und Filmspiele wie später bei John und Yoko gemacht, bei denen die Gesichter ineinander übergehen, wäre der Effekt bei den beiden Liverpoolern noch viel verblüffender gewesen, was die Ähnlichkeit betrifft, als bei John und Yoko.

      Erstaunliche Leichtigkeit und Lebensfreude drücken auch die Fotos von 1965 in St. Moritz während des Skiurlaubs von Cynthia und John aus. Ohne Bagism, ohne Bed-in, ohne »unfinished music« oder auch ohne »Nutopia« finden damals normale Erholungsurlaube statt, deren entspannte Atmosphäre auf den Fotos deutlich wird. In der dortigen Ruhe kann sich die Kreativität weiterentwickeln: Sag das Wort, und du wirst frei sein. Sag das Wort und sei wie ich … Es ist das Wort Liebe. Am Anfang habe ich es nicht verstanden. Aber jetzt ist mir klar, das Wort ist gut … Überall höre ich es. Es steht in den schlechten und in den guten Büchern … Gib dem Wort eine Chance, damit es zeigen kann, dass es der richtige Weg ist … Es ist das Wort Liebe. John Lennon schreibt »The Word« 1965. Es markiert die Weiterentwicklung der naiven Liebeslieder hin zu Grundsätzlicherem. Drei Jahre vor dem »Summer of Love«, vor dem Hippie-Höhepunkt in den USA, gibt er die Richtung vor, in der die »Peace and Love«-Bewegung ihren ersten Ausdruck findet. Sag das Wort,

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