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verhaftet haben. Auf raffinierte Weise werden die Ereignisse rund um die Hochzeit von Chytilóva ins Off der Inszenierung verlagert. Zwar macht sich die Feier immer wieder wie aus weiter Entfernung auf der Tonspur bemerkbar, aber erst als die Braut die Kneipe betritt und demonstrativ ihren Schuh mit Wasser aus der Leitung füllt und daraus einen Schluck nimmt, bekommen die Zuschauer*innen auch einen visuellen Eindruck von den parallel zur stillen Tragödie im Erdgeschoss ablaufenden Festlichkeiten. Nachdem die Polizisten sich weigern, ihren frisch angetrauten Ehemann freizulassen, erklärt sie provokant, dass sie nicht daran denke, ihre Hochzeitsnacht alleine zu verbringen. Auf die abweisende Geste eines der beiden Polizisten reagiert sie trotzig und verschwindet stattdessen gemeinsam mit dem aus seiner Lethargie am Tresen erwachenden Künstler hinaus in die Nacht.

      Wie bereits während Martas nächtlicher Passage am Ende von DIE DECKE wechselt auch STEHIMBISS WELT die erzählerische Modalität, nicht als abrupter Stimmungswechsel, sondern vielmehr im fließenden Übergang eines musikalisch strukturierten Werks, das über verschiedene Tonarten und bewusst eingesetzte wechselnde Rhythmen verfügt. In einem lyrisch anmutenden Zeitlupen-Effekt bewegen sich die Braut in voller Montur und der Künstler durch die stürmische und regnerische Nacht. Mit ihrem Brautschleier und später mit Teilen ihres Brautkleids binden sie eine Reihe von im Sturm wiegenden Bäumen ab. Makabre Ironie der romantischen Zufallsbegegnung: Die flüchtige Braut erklärt dem Künstler, dass sie von ihm durchaus angetan sei, aber eine besondere Freude würde er ihr machen, wenn er auch von ihr eine Totenmaske anfertigen würde.

      In einem Interview erklärte Chytilová später, dass sie ihre filmische Eigenständigkeit gegenüber der Vorlage Hrabals dadurch betont habe, dass sie und ihr späterer Gatte Jaroslav Kučera versuchten, in ihrer Adaption die Sprache des Films so weit wie möglich auszuschöpfen. Gerade deshalb demonstriert STEHIMBISS WELT noch einmal die besondere kreative Leistung Chytilovás in der radikalen Aneignung dokumentarischer und fiktionaler filmischer Modalitäten, die zu einer eigenen künstlerischen Filmsprache vermischt werden. Durch die beobachtende, distanziert anmutende Haltung der Kamera werden die dramatischen Ereignisse der Nacht auf eine intensivere Weise als durch eine traditionelle Erzählung vermittelt, da sie eine stärkere Eigenbeteiligung der Zuschauer*innen verlangen. Die dokumentarischen Einschübe vom Künstler bei der Arbeit liefern ebenso wie die Anfertigung eines Gipsabdrucks für eine Totenmaske weitere Stimmungsbilder, die vom Publikum in den Gesamtzusammenhang des Handlungsgeflechts integriert werden sollen. Aus den einzelnen, manchmal ausgesprochen sprunghaft arrangierten Fragmenten können die Betrachter*innen ihre eigene Erzählung konstruieren. Dem tschechischen Titel von Hrabals Erzählung entsprechend, erweist sich das Gasthaus als eine Weltbühne, auf der sich Alltägliches, Tragisches und Absurdes ereignet. Wie in der inszenierten teilnehmenden Beobachtung in DIE DECKE und EIN SACK VOLLER FLÖHE bleibt es den Zuschauer*innen selbst überlassen, sich zum beobachteten Geschehen zu positionieren. Die Übertragung des dokumentarischen Modus auf Situationen des Fiktionalen durch Chytilová eröffnet einer unaufdringlichen und entdeckungsfreudigen Variante des filmischen Realismus neue Freiräume für spontane Assoziationen. Indem die filmische Inszenierung eben gerade nicht einen unmittelbaren Abbildcharakter behauptet, sondern stattdessen Formen einer dokumentarischen Dynamik zum stilistischen Mittel erklärt, erscheint in den frühen Arbeiten Chytilovás sogar ein fließender Übergang zwischen erzählend-realistischen und abstrakt-lyrischen Passagen möglich.

      Durch die risikofreudige und künstlerisch beeindruckende Vermischung der dokumentarischen und fiktionalen Formen gelingt der Nová Vlna und insbesondere Věra Chytilová in ihren wegweisenden frühen Arbeiten im Grenzgebiet zwischen Cinéma vérité und Neuen Wellen eine Errettung der äußeren Wirklichkeit, jenseits der verklärenden Formeln des Sozialistischen Realismus und jenseits der indexikalischen Fallgruben eines allzu unmittelbaren Dokumentarismus.

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