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jedoch zu den besonderen Finessen der Inszenierung Chytilovás, dass sie sich weder auf einen autobiografischen Spielfilm noch auf eine Dokumentation der Arbeit eines Models beschränkt. Stattdessen werden beide Ansätze systematisch ineinander verschachtelt, wie sie es später auch in ihrem Langfilm-Debüt VON ETWAS ANDEREM realisiert, der einen dokumentarischen Handlungsstrang über die Turnerin Eva Bosáková mit einer inszenierten, aber durchaus semi-dokumentarischen, soziokulturellen Perspektive der Beobachtung des Alltags der Hausfrau Vera (Vera Uzelacová) verknüpft. Durch die gezielte Gegenüberstellung treten die dokumentarischen und inszenierten Passagen in einen Dialog miteinander, der die Grenzen des Cinéma vérité und des Direct Cinema sprengt. Die Unmittelbarkeit der beobachtenden Kamera, die in VON ETWAS ANDEREM die intensiven Vorbereitungen der Sportlerin Eva auf den nächsten Wettkampf aufnimmt, erinnert an den Fly-on-the-Wall-Approach Pennebakers. Doch durch die Verknüpfung mit der Spielhandlung um einen Seitensprung der von einer Schauspielerin dargestellten Hausfrau Vera wird der dokumentarische Teil des Films in eine weiter gefasste soziokulturelle Perspektive gerückt. Die einfache Handlung als Ausgangspunkt für eine explorative Erkundung gesellschaftlicher Zustände und Befindlichkeiten erinnert an Jaromil Jireš’ DER SCHREI, der ausgehend von der alltäglichen Situation eines Paares, das auf die Geburt des ersten Kindes wartet, die Frage stellt, in welche Welt der Säugling eigentlich hineingeboren wird.

      Auf eine etwas abstraktere und reflektiertere Weise verfährt Chytilová, wenn sie in VON ETWAS ANDEREM den Alltag der beiden Frauen in den Blick nimmt. Das grundlegende Konzept, das ihren ersten Langfilm bestimmt, findet sich als erste Skizze bereits in DIE DECKE angelegt. Die langwierigen Vorbereitungen der Model-Auftritte und der Foto-Aufnahmen werden in klassisch dokumentarischer Weise gezeigt.

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      DIE DECKE. Aus: Internationale Kurzfilmtage Oberhausen, kurz&klein (2004), S. 104

      Die Befragungsrituale des Cinéma vérité erscheinen in DIE DECKE gar nicht erst erforderlich zu sein, denn im Gegensatz zum immer leicht didaktisch anmutenden Gestus Edgar Morins und Jean Rouchs, formuliert Chytilová die Fragen durch die Vorgaben der Handlung und den Rahmen der Inszenierung. Dass der Film am Ende die angedeuteten Fragen zum größten Teil unbeantwortet lässt, verleiht DIE DECKE, nicht zuletzt auch aufgrund von Chytilovás ausgeprägtem Formbewusstsein, die Qualitäten eines Essay-Films. Leichte Verfremdungseffekte betonen diese Komponente zusätzlich. Zu Beginn des Films gibt eine männliche Stimme Martas gelangweilte Gedanken während eines Foto-Shootings wieder, bei dem sie als Stewardess vor einem Flugzeug, als Tennisspielerin auf einem Sportplatz und als Ingenieurin vor einer Maschine posiert. Den Ausstellungscharakter der für die Kamera angenommenen Rollen kommentiert Chytilová ironisch, indem sie zwei Männer wie bei einem Tennis-Match als Zuschauer die Köpfe hin- und herbewegen lässt. Obwohl sie sich anfangs nicht explizit als feministische Regisseurin verstand, erweist sich Chytilová durch die pointierte und bissige Reflexion von Blickkonstellationen und Rollenklischees dennoch als eine der wichtigsten Vordenkerinnen und Impulsgeberinnen des späteren feministischen Films.

      Die »Decke« des Titels bezeichnet die Grenze, an die Marta stößt. In DIE DECKE erfolgt kurz vor der den Film abschließenden Odyssee durch das nächtliche Prag ein direkter Blick auf eine Zimmerdecke. Marta bleibt im weiteren Verlauf des Tages nach den langwierigen Foto-Sessions und den Auftritten auf dem Laufsteg in fremden Rollenzuschreibungen gefangen. Das Treffen mit ehemaligen Kommiliton*innen, unter ihnen in einem Gastauftritt von Věra Chytilovás Kollegen Jiří Menzel, verschafft etwas Abwechslung. Die Begegnung in einer Prager Mensa erinnert stellenweise an die Leichtigkeit der frühen Nouvelle-Vague-Filme. Allerdings lassen die nahezu leitmotivisch wiederholten Songs über eine Katze am Fenster und einen stechenden Kaktus bereits erahnen, dass Marta die Leichtigkeit des aufgegebenen Lebens als Studentin hinter sich gelassen hat und inzwischen in einem ermüdenden Kreislauf gefangen ist. Der gemeinsam mit ihrem Freund verbrachte Abend nimmt eine ausgesprochen unangenehme Wendung, als er die Einnahme einer Kopfschmerztablette für einen Selbstmordversuch hält. Überhaupt referiert er mehr über ihre von ihm vermuteten Befindlichkeiten, als dass er sie selbst zu Wort kommen ließe. Die Kamera bleibt bei Marta, während die Stimme des Freundes aus dem Off ertönt.

      In einer Kompromissfassung sollte am Ende von DIE DECKE ein Gesinnungswandel Martas als Abschluss einer moralischen Erzählung stehen. Enttäuscht von der Affäre mit einem sehr viel älteren Partner und von der Oberflächlichkeit ihrer Arbeit als Model sollte sie am Ende Prag verlassen, um im ländlichen Umland ihren Frieden zu finden. Diese Handlungsstruktur bildete eine Reaktion auf die Einwände des Dramaturgen František Daniel, der Chytilovás Konzept als Ausdruck bourgeoiser Befindlichkeit abtat. Mit Hilfe ihres zum offiziellen Script Doctor erkorenen Kollegen Pavel Juráček erfolgte eine Überarbeitung im Sinne Daniels. Chytilová ignorierte bei den Dreharbeiten die Änderungen jedoch geflissentlich und setzte DIE DECKE am Ende nach ihren ursprünglichen Vorstellungen um.

      Zwar verlässt Marta in den letzten Einstellungen des Films tatsächlich in einem Zug die Stadt und beobachtet eine Familie mit Kind. Ob es sich hierbei aber um einen Neuanfang und einen Gesinnungswandel handelt, bleibt den Zuschauer*innen überlassen. Der einsetzende Regen, der gegen die Scheibe des Zuges prasselt, könnte eine derartige Lesart implizieren, er gibt sie jedoch nicht zwingend vor.

      Die mit der Ablehnung real-sozialistischer Erbauungserzählungen verbundene Rebellion gegen die Vorherrschaft einer klassischen Narration eröffnet eine sehr interessante Perspektive auf die späteren Arbeiten Věra Chytilovás. Im Porträt der Reihe GOLDENE SECHZIGER erklärt sie, dass sie Langeweile und Stereotype mehr verabscheue als Fehler. Dass ein Film eine Haltung vermittelt, sei ihr wichtiger als ein elaborierter Plot. Geschichten wären ohnehin nur ein Köder für das Publikum. Ihre Tendenz zum Fragmentarischen, die in TAUSENDSCHÖNCHEN zum gestalterischen Prinzip der performativ ausgespielten Situationen erhoben wird, findet sich in Ansätzen bereits in DIE DECKE. Die Ausarbeitung der einzelnen Stationen im Tagesablauf Martas und die mit ihnen verbundenen Fragestellungen und Beobachtungen – von den Foto-Aufnahmen über den Abstecher ins Leben der Studierenden bis hin zum Aufbruch aus der Stadt mit offenem Ausgang am Ende des Films – erfahren eine stärkere Gewichtung als die vom Skript vorgesehene vermeintliche Läuterung als narrativer Abschluss.

      Immer wieder scheren die einzelnen Segmente des Films aufgrund ihrer ästhetischen Eigenständigkeit aus dem Zusammenhang der narrativen Ordnung aus und entfalten ein atmosphärisches Eigenleben. Besonders eindrucksvoll zeigt sich diese Tendenz in DIE DECKE in der nächtlichen Odyssee, die Marta nach dem Streit mit ihrem Freund durch Prag und kurz vor ihrem morgentlichen Aufbruch aufs Land absolviert. Begleitet von den experimentellen Klängen des Nová-Vlna-Komponisten und Schauspielers Jan Klusák wechselt das Register des Films von der investigativen Haltung des Cinéma vérité und den Alltagsbeobachtungen der Nouvelle Vague in den reflexiv-poetischen Modus eines modernen Experimentalfilms. Die eigene Erfahrung als Model und Studienabbrecherin bildet in DIE DECKE den Ausgangspunkt für ein exploratives Porträt, das in den abschließenden Sequenzen in einem ambitionierten filmischen Experiment über Entfremdung und die Erfahrung der urbanen Moderne kulminiert.

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