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die völlig überholte Struktur der großen Diözese am Ende der 80er Jahre mit ihrer Unzahl von Gremien und Ausschüssen für alles Mögliche, die man angesichts des Niedergangs einrichtete, mit dem erklärten Ziel, Beteiligung an Entscheidungen auszuweiten und Einsatz zu ermöglichen. Das Ergebnis war leider das Gegenteil: Überarbeitete Hauptamtliche, die sich mit den immer gleichen Themendiskussionen in kaum unterschiedlichen Gremien wiederfanden. Es gab Ideen in Fülle, nicht wenige neue Initiativen, aber es blieb kaum Energie für Umsetzung übrig. Die Verschmelzung bzw. Beendigung vieler Gremien schloss ein schwarzes Loch der Energie, die notwendigen Anstrengungen konnten endlich an denjenigen Orten landen, die Leben bewiesen und das missionarische Gen besaßen. Ähnlich wurde ein Finanzsystem umgestrickt, das faktisch Wachstum besteuerte und Tatenlosigkeit subventionierte – und dadurch viele in den Aufbrüchen frustrierte.

      Richard Chartres schildert schwere Entscheidungen, die er gegen den Rat seiner Fachleute traf, z. B. den Erhalt und die Neubesetzung mehrerer Innenstadtkirchen, die angesichts zu geringer Teilnahme geschlossen werden sollten – alles unter der Anfechtung, dass er hier möglicherweise statt Glaubensschritten historische Fehler machte. Er weiß um den begrenzten Einfluss von Kirchenleitung, bietet aus seiner Erfahrung verschiedene Bilder dafür an: Leitung bedeutet Gemeinden segnen oder das Ganze im Blick halten, heißt Dirigent eines Orchesters sein oder ein Mitarbeiter unter vielen am Evangelium. Er redet vom ‚funktionalen Atheismus‘ in Teilen der Kirche: Er könne seinerseits nicht glauben, dass der Heilige Geist, der Urheber von Wachstum, eine schlichte Gussform, basierend auf Ökonomie, sei, und wisse, dass Programme und Beschlüsse aus sich nur eine sehr begrenzte Wirksamkeit hätten. So sei er, vom Wesen her eigentlich ein introvertierter Beobachter und Kommentator, durch die Berufung zum Bischof gezwungen worden, „a committed midwife of change“ zu werden, eine begeisterte Geburtshelferin des Wandels, was schlicht bedeute: vereinfachen, Störungen aus dem Weg räumen und dabei ein lebendiges Vertrauen auf Gott zu bewahren.

      Die Zeit der Heinzelmännchen ist längst vorbei, Gegenwart wie Zukunft bieten definitiv keine Möglichkeit, Verantwortung an irgendwelche geheimnisvollen Problemlöser zu delegieren. Aber die schönen Zeiten liegen jedenfalls nach Jesaja 43 vor uns, und dafür können wir gar nicht genug ‚midwives of change‘, Geburtshelfer der Veränderung, haben.

       4. Literatur

       Bücher

      BARTH, KARL, KD IV, 2, Zürich 19854.

      BAUMFELD, LEO, Lebendigkeit und Institution. 1.7, Das Vitalitätsfenster, ZMiR:klartext Dortmund 2016, 31.

      EVANGELISCHE KIRCHE IN DEUTSCHLAND, Gemeinsam evangelisch! Erfahrungen, theologische Orientierungen und Perspektiven für die Arbeit mit Gemeinden anderer Sprache und Herkunft, EKD-Texte 119, Hannover 2014.

      GOLEMAN, DANIEL/KAUFMAN, PAUL/RAY, MICHAEL, Kreativität entdecken, München/Wien 1997.

      GRANOVETTER, MARK S., The Strength of Weak Ties, American Journal of Sociology 78 (1973).

      LOHFINK, GERHARD, Wie hat Jesus Gemeinde gewollt? Herder TB, Freiburg 1993 (1982).

      POLLACK, DETLEF/ROSTA, GERGELY, Religion in der Moderne. Studienbrief R16. brennpunkt gemeinde 5/2015.

      POMPE, HANS-HERMANN, Nachfolge mit leichtem Gepäck. Eine Einladung zur geistlichen Reise, Neukirchen-Vluyn 2015.

      POMPE, HANS-HERMANN, Innovationen und frühe Mehrheiten, zmir:werkzeug Dortmund 2012.

      WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT GLOBALE UMWELTVERÄNDERUNGEN, Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation, WBGU Berlin, 20132, (2011).

       Elektronische Quellen

      CHARTRES, RICHARD, Lambeth Lectures, 30. September 2015, unter: <http://www.archbishopofcanterbury.org/articles.php/5621/bishop-of-london-delivers-lambeth-lecture-on-church-growth-in-the-capital>.

      JOAS, HANS, Das Christentum globaler denken, unter: <http://blog.radiovatikan.de/„das-christentum-globaler-denken> (19. Juni 2012); eingesehen am 19. 12. 2015.

      KOPISCH, AUGUST, Die Heinzelmännchen zu Köln (1836), zit. nach: <http://gutenberg.spiegel.de/buch/august-kopisch-gedichte-695/3>.

      PRESSE- UND INFORMATIONSAMT DER BUNDESREGIERUNG (Hrsg.), Dialog über Deutschlands Zukunft. Ergebnisbericht des Expertendialogs der Bundeskanzlerin 2011/2012, 75 f. Digital unter: <www.dialog-ueber-deutschland.de/ergebnisbericht-lang>.

       Annegret Böhmer

       Salto ecclesiale

       Von der Angst zur Motivation kommen im Umbau, Abbau, Aufbruch der Kirche im 21. Jahrhundert

       Vorbemerkung: In diesem interaktiven Erlebnisvortrag sind die Teilnehmer und Teilnehmerinnen eingeladen, wenn sie mögen, sich mit ihren inneren Bildern zu beschäftigen. Es wird drei Unterbrechungen geben.

      Ich bin Professorin für Psychologie an der Evangelischen Hochschule in Berlin. Daneben bin ich Supervisorin, Coach und Psychotherapeutin. Mein Schwerpunkt ist es, kirchliche Mitarbeitende so fortzubilden, dass sie professionell arbeiten können und sich dabei möglichst wohlfühlen, gesund und fröhlich sein und bleiben können. Seit 2006 biete ich eine Coaching-Ausbildung für kirchliche Leitungskräfte an, die für mich unter der Überschrift steht: „Professionalität und Spiritualität führt zu Lebensfreude“.

      Der aufregende Titel „Salto ecclesiale“ ist mir von der Vorbereitungsgruppe empfohlen worden, und ich habe zu der Zeit nicht lange darüber nachgedacht. Als ich mich jetzt in der letzten Zeit damit beschäftigt habe, habe ich gemerkt, dass dieser Titel für mich eine wirkliche Herausforderung ist, da ich selbst gar nicht so ein Salto-Typ bin. Ich würde mich eher in die Kategorie „Purzelbaum“ einordnen. Ich bin auch keine Extremsportlerin. Aber nun habe ich den Titel gehabt, und da ja alles, was lebt, sich verändert, und es in der nächsten Stunde nicht um Strukturreformen gehen soll, sondern um uns selbst, um uns als Akteure in diesem Prozess der Kirche im 21. Jahrhundert, werden wir jetzt also gemeinsam zum Salto aufbrechen.

       1. Salto ecclesiale

       In einem kleinen komfortablen Sportflugzeug sitzen zehn Mitglieder des Leitungsgremiums eines evangelischen Kirchenkreises. Sie haben in den letzten zehn Jahren viel diskutiert, umstrukturiert, reformiert. Viele Stunden ihres Lebens haben sie verbracht mit Diskussionen und Rechthaberei. Am Ende haben sie es geschafft, ein Gemeindehaus zu verkaufen, eine regionale Kirchenzeitung zu etablieren und zwei Jugendmitarbeiter auf Kirchenkreisebene sinnvoll einzusetzen. Jetzt haben sie alle einen Fallschirm auf dem Rücken, sind kurz vor dem Absprung über einer großen freien Fläche irgendwo in Norddeutschland. Sie haben bei einer EKD-weiten Ausschreibung für innovative Teams diesen Sprung gewonnen. 4000 Meter Höhe. Natürlich springen sie nicht allein, sondern mit Tandempartnern. Trotzdem, es ist Wahnsinn. Die älteren Herren, Theologen und Juristen, gucken sehr ernst. Eine junge Frau, bislang eher still, will als Erste springen. Der Trainer vom Fallschirm-Event-Team gibt letzte Instruktionen, wie der Salto gelingt, bevor sich der Schirm öffnen wird. Es geht los. Ein Duo nach dem anderen springt wirklich, dreht sich im freien Fall um die eigene Achse, atemberaubende Sekunden freier Fall auf die Erde zu. … Dann zieht der erfahrene Springer die Leine und der Schirm öffnet sich. Schweben, für eine kurze intensive Zeit in der Luft. Günstige Winde führen dazu, dass sie alle auf derselben Wiese sicher landen.

      Bitte nehmen Sie sich nun ein paar Sekunden Zeit für sich selbst, sich vorzustellen, was jetzt passiert, wie die Menschen sich nach

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