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Mann zu streiten, oder ob er Tatham einfach wegfliegen und sich sowie Marshall später von jemand anderem abholen lassen sollte. Andererseits konnte Tekener eine gewisse Nervosität nicht verleugnen: Je mehr Übersetzungsbrocken seine Positronik ihm lieferte, desto unheilvoller wurde das Bild. Die Schriften sprachen von Niedergang und Verfall, von stolzem Aufbegehren und Verzweiflung. Von den goldenen Zeiten des Omnitischen Compariats, zu dem Xot einst gehört hatte, und wie dieses sich im entscheidenden Moment von der Welt und ihren Bewohnern abgewandt hatte. Man hatte die Phygen aufgegeben, verraten und ihrem Schicksal überlassen.

      Dieser Ort war tatsächlich ein Mahnmal – ein Denkmal, das die Phygen sich selbst gesetzt hatten. Es verkündete: Seht, was wir errichtet haben. Und seht, wie es uns erging. Tekener dachte an das alte Gedicht von Shelley: Look on my works, ye Mighty, and despair!

      Er hatte keine Angst – aber er wollte nicht länger bleiben. Er mochte weder die Phygen noch das, was mit ihnen passiert war.

      »In Ordnung«, meldete er sich knapp bei Tatham. »Wir packen hier ein. Sind in fünf Minuten draußen.«

      Dann beendete er die Verbindung und drehte sich zu Marshall um. »Wir sollten ...« Er stutzte, als er das Gesicht des Telepathen bemerkte. »Was ist los?«

      »Etwas ... irgendwas ist hier!«, raunte Marshall. »Ich weiß nicht, was es ist – es denkt, aber es denkt auch nicht – und es sind viele. Sehr viele ...!«

      Tekener hatte genug gehört. »Raus hier!«

      Er warf seinen Scanner in den Rucksack, schulterte ihn und wollte Marshall gerade am Ärmel packen, als etwas ihm zuvorkam. Dieses Etwas hatte sich hinter Marshall aus einer Spalte im gesprungenen Boden erhoben; und im Schein seiner Helmlampe erkannte Tekener nicht viel mehr als einen grauen, diffusen Schleier, der den Telepathen an der Taille packte und umriss.

      »Kopf weg!«, schrie Tekener, riss seine Waffe hoch und schoss so dicht er konnte an Marshall vorbei auf das Etwas, das sich zischend, stinkend zusammenkräuselte und wieder in der Bodenspalte verschwand.

      Gut, dachte Ronald Tekener. Kein Geist – man kann es erschießen.

      »Alles klar?«, fragte er John Marshall und zog ihn auf die Beine.

      »Danke«, keuchte der Telepath. »Das war knapp! Es sind einfach so viele, ich konnte nicht ...«

      »Schon gut.« Er aktivierte den Helmfunk. »Tekener an Tatham! Wir kriegen Besuch. Marshall und ich sind auf dem Weg zum Sixpack ...«

      Da ging draußen die Schießerei los.

      13.

      Geisterstunde

      Sie waren etwa eine Stunde lang durch die umliegenden Straßen gewandert und hatten mehrere Gebäude überprüft, als Luisa Landry einen seltsamen Vergleich anstellte.

      »Weißt du, woran mich das irgendwie erinnert?«, fragte sie.

      Sie standen gerade vor einer sicher hundert Meter langen und ebenso hohen Mauer, die über und über mit Schriftzeichen und Reliefs kantiger Gesichter und Figuren überzogen war. Die Bewohner dieser Welt waren wohl Humanoide gewesen, aber nach wie vor konnten die Menschen nicht einschätzen, wie die Planetarier tatsächlich ausgesehen hatten, weil der vorherrschende Kunststil alles verzerrte und die meisten Bilder riesengroß waren.

      »Woran erinnert es dich?«, fragte Joaquim Madeira.

      Er und Landry bildeten die Nachhut und sicherten rückwärtig, während Tatham und Jeffries den Weg vorgaben. Leider war es offensichtlich, dass der Oberleutnant nicht recht wusste, wonach genau er eigentlich suchte.

      »Social Media«, antwortete Landry.

      Zuerst glaubte Madeira, er hätte sich verhört. »Wie bitte?«

      »Na ja. Der viele Text. Die vielen Bilder. Und vor allem ... die Belanglosigkeit der Bilder.«

      Madeira legte den Kopf in den Nacken und kratzte sich unter dem Helm. Sicher, es waren eine Menge Bilder. Sie waren nicht ganz so uniform wie die Gesichter in irdischen Hieroglyphen, sollten also wahrscheinlich wahrhaftig Illustrationen sein, nicht bloße Zeichen. Ohne viel von Kunst – und insbesondere außerirdischer Kunst – zu verstehen, gab er Landry recht. Ja, die Motive machten keinen sonderlich kreativen Eindruck. Sie waren verschieden und einander doch ähnlich. Manche Gesichter sahen einen an, andere weg, manche wirkten grimmiger, andere gelöster, wobei man den riesenhaften Eierköpfen lassen musste, dass sie alle ziemlich düster wirkten im abendlichen Zwielicht. Manche präsentierten krumme Stäbe oder Scheiben, als wären es wichtige Statussymbole. Nicht, dass sie das allzu glücklich gemacht hätte, sofern die Gesichtsausdrücke irgendwas zu bedeuten hatten. Wenn diese endlosen Text- und Bildwände tatsächlich die hiesige Entsprechung eines steingewordenen Kommunikationsforums waren ... dann hatten die Einheimischen verdammt wenig Spaß gehabt.

      »Du meinst, das ist ihr Äquivalent von Katzenbildern oder absurden Karikaturen?«

      Landry lachte. »Nein, eher das Äquivalent zu: Seht mich an. Ich bin toll. Ich habe mehr von diesen ... was auch immer sie da in den Händen halten ... als ihr.«

      »Mehr Bagels«, scherzte Madeira.

      »Mehr Bananen!«, konterte Landry. »Und mein Gesicht ist zwei Meter länger als eures!«

      Madeira grinste. »Jetzt, wo du es sagst.« Eigentlich war ihm nicht nach Scherzen zumute, aber das Gealbere mit Landry bot eine willkommene Ablenkung.

      »Ich glaube, die Bewohner dieser Welt waren ziemlich eitel«, sagte sie. »Und ich glaube, sie wären unglaublich enttäuscht, dass sie nicht mehr da sind.«

      »Was quatschen Sie da hinten?«, fragte Sam Tatham und wischte sich den Schweiß aus dem Nacken. Es war nicht sonderlich warm, aber der Oberleutnant war nervös wie sie alle – und er überspielte es schlecht. »Es wird spät.« Er blickte zum Himmel; die trübe, orangerote Sonne berührte schon den Horizont. »Ich glaube, das alles ist eine riesengroße Zeitverschwendung.«

      »Sag ich doch«, raunte Landry. »Social Media.«

      Madeira konnte sich ein Prusten nicht verkneifen und handelte sich einen strafenden Blick seines Vorgesetzten ein.

      »Wir kehren um«, entschied Tatham und aktivierte sein Funkgerät. »Tatham an Tekener! Was zur Hölle treiben Sie gerade? Hier gibt es nichts, und es wird allmählich dunkel. Wir machen Schluss für heute.«

      Tekener antwortete, und Tatham beendete das Gespräch. »War das letzte Mal, dass ich Zivilisten mitgenommen habe«, lamentierte er. Dann kontaktierte er das zweite Team. »Lafayette? Wir kehren zu den Space-Disks zurück.« Er gab Leutnant Jeffries ein Zeichen und machte auf dem Absatz kehrt. Madeira wartete mit Landry, bis Tatham und Jeffries an ihnen vorbeigegangen waren, damit sie wieder die Nachhut übernehmen konnten. Gerade wollte er eine Bemerkung über Zivilisten und Tathams glückliches Händchen mit ihnen machen, als er in den Schatten hinter Landry eine Bewegung sah.

      Instinktiv riss er den Thermostrahler hoch. »Deckung!«, schrie er.

      Landry reagierte gedankenschnell, und Madeira eröffnete das Feuer auf das amorphe, graue Ding hinter ihr. Es sah aus, als wäre es direkt aus dem Boden gewachsen, um Landry einzuhüllen wie eine Amöbe, die ihre Nahrung umschließt. Dann brannte sich Madeiras greller Energiestrahl in das fremde Wesen, und es brach in sich zusammen.

      Sein Herz raste. Wahrscheinlich verging bloß eine einzige Sekunde, aber in dieser Sekunde wurde ihm klar, wie furchtbar es gewesen wäre, Luisa Landry zu verlieren.

      Gerade wollte er ihr aufhelfen, als sie mit schreckgeweiteten Augen hinter ihn zeigte und nun ihrerseits die Waffe hochriss.

      Madeiras Reflexe übernahmen, er sprang zur Seite. Gleichzeitig hörte er Schreie – Tathams Schreie. Madeira legte mit dem Thermogewehr an und sah den Oberleutnant, fast eingehüllt von einem weiteren der unheimlichen Wesen – sowie Dutzende mehr dieser Geschöpfe, überall auf der Straße. Madeira wollte schießen, aber Leutnant Jeffries stand in seiner Feuerzone und wurde ebenfalls angegriffen. In der Ferne hörten sie das

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