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Pritsche und ein Wasserkrug standen dort. Meine Mandoline, mein Köfferchen und alles, was ich in den Taschen trug, ja sogar Hosenträger und Kragenknöpfe hatte man mir vorher, während ich unter Beaufsichtigung in ein Bad steigen mußte, stillschweigend weggenommen.

      Das war alles so plötzlich und schnell über mich hereingebrochen, daß ich erst zur Besinnung kam, als die Zellentür ins Schloß fiel.

      Offenbar war ich das Opfer einer Verwechslung. Ich pochte, schlug, trat gegen die Tür. Da nahten Schritte. Eine schmale Klappe in der Tür ward aufgetan, und das rohe Gesicht eines Wärters grinste mich an. Er brummte ein paar flämische Flüche, und ich stammelte ungelenk französische Worte. Ich verfügte an sich nur über geringe Kenntnisse der französischen Sprache, nun aber war ich vor Aufregung völlig verwirrt. Der Wächter schlug wütend die Klappe zu. Seine Schritte verhalten. Ich bebte vor Zorn.

      Aber der Irrtum mußte sich aufklären. Ich hatte ja Papiere bei mir, darunter meinen Militärpaß mit der Bestätigung, daß ich einjährig-freiwillig gedient hatte. Und ich hatte ein reines Gewissen. Und ich konnte mir auch sofort telegraphisch Geld verschaffen. Von den Eltern oder von Bekannten.

      Mit welchem Recht war ich verhaftet worden? Das konnte nur auf einem Mißverständnis beruhen. Es war doch nicht auszudenken, daß der deutsche Seelsorger, um mich loszuwerden, mich so schändlich und hinterlistig verraten hatte.

      Mittags wurde ein Napf Suppe durch die Klappe geschoben. Ich rief: »Pardon, monsieur, je – –.« Die Klappe schlug zu. Der Wärter schritt lachend weiter.

      Abends ward ein Brot durch die Klappe geschoben. Ich beschwor den Wärter mit flehenden Worten und Gesten. Ihn rührte das nicht.

      Nachts tobte ich wohl eine Stunde lang in höchster Wut gegen die Tür, bis ein Nachtwächter an dem Klapploch erschien. Ich verlangte »Monsieur le directeur« zu sprechen. Der Wärter äffte meine Worte höhnisch nach und schlug die Klappe zu.

      Es vergingen Minuten, Stunden, die Nacht und ein Tag. Es vergingen noch Tage, qualvolle Tage. Ich war vergessen, betrogen, begraben. Was sollte ich beginnen, um nur einmal angehört zu werden. Den Wärter ermorden, mir selbst die Pulsader durchbeißen oder Nahrung verweigern, Hungers sterben? Ich raste. Ich weinte. Ich betete. Ich aß von dem Brot, trank aus dem Krug, schlief auf der Pritsche. – Ich ward stiller. Ich fügte mich.

      Eines Morgens endlich ward nicht die Klappe, sondern die ganze Tür geöffnet. Es war ein unbeschreiblich spannender Moment. Nun hatte man den Irrtum erkannt, wollte mich herausholen und würde sich entschuldigen.

      Aber das traf nicht zu. Alle Gefangenen wurden eine Stunde ins Freie gelassen.

      Der runde Garten war wie eine Torte in schmale spitze Dreiecke eingeteilt. Für jeden Gefangenen gab es solch ein umgittertes Dreieck. Darin durften wir nun eine Stunde lang in der Sonne auf und ab gehen. Dann trieb man uns in die Zellen zurück.

      Und wieder einmal öffnete sich meine Tür, und man führte mich durch lange Korridore zum Arzt. Der sollte meinen Fingerabdruck nehmen. Es war ein älterer Herr von vertrauenerweckendem Äußeren, auch sprach er deutsch, war sogar möglicherweise ein Deutscher.

      Während ich seine Anweisungen befolgte und meine Daumen in Ruß drückte, bat ich ihn in dringendsten Worten um Beistand.

      Ich sprach in den Wind. Der Arzt mochte mich für geistesgestört oder für einen Betrüger halten. Er war es wahrscheinlich in seiner Praxis gewohnt, daß Gefangene ihn derart beschwatzten. Schweigend vollzog er seine Aufgabe. Dann schloß man mich wieder ein.

      Ich meinte, ich müßte in Wahnsinn enden. Nahe daran muß ich wohl gewesen sein.

      Ich weiß die Reihenfolge und die Einzelheiten der nächsten Ereignisse nicht mehr. Ich ward mit anderen Gefangenen abtransportiert. Es gab eine Fahrt im offenen Wagen zwischen brutalen Schutzleuten, die ihre Befehle mit Püffen und Fußtritten begleiteten. Es gab ein Übernachten in einem stinkigen Raume, wo man die Gefangenen einzeln wie Vögel in Gitterkäfige sperrte, und dann eine lange, entsetzliche Eisenbahnfahrt.

      Meine Leidensgenossen waren sehr unterschiedliche Leute, zerlumpte Gestalten, Handwerksburschen und verkommene, gehetzte, gesuchte, verzweifelte arme Teufel, rohe, verbitterte, witzige Kerle, auch stumm verschlossene, undefinierbare Menschen und daneben solche, die kein Hehl daraus machten, daß sie etwas auf dem Kerbholz hatten. Wir wurden nach Deutschland abgeschoben, sollten der deutschen Behörde übergeben werden. Einige von uns erlebten das nicht zum ersten Male. Sie klärten uns auf.

      In Brüssel legte man uns Handschellen an. So wurden wir von Polizisten an Ketten über die Bahnsteige durch die neugierig gaffende Menschenmenge gezogen und abermals in einen Zug verladen.

      Das wurde eine grausige, nicht endenwollende Fahrt. Wir saßen, jeder gesondert, in schwer verschlossenen, fensterlosen Zellen auf Klosettsitzen und konnten uns wegen der dicken Wände und bei dem lauten Geratter der Wagen nicht besser untereinander verständigen, als daß wir stundenlang solidarisch mit taktmäßigen Fußtritten gegen die Türen donnerten. Ungeduld, Hitze und Durst folterten uns in unerträglicher Weise.

      Mir ward ein Wunder zuteil. Indem ich, um die Zeit, die schreckliche Zeit zu vertreiben, meinen Anzug untersuchte, stieß ich im Rockfutter auf den Rest einer englischen Zigarette. Und nicht nur dies, sondern ich fand sogar ein Stückchen Zündholz mit Kuppe, englisches Zündholz, das sich überall anstreichen ließ. Himmlische Fügung! Ein langentbehrter Genuß winkte mir.

      Aber ich geduldete mich, bis meine Aufregung sich legte, bis mein Atem ruhiger ward. Dann entzündete ich das Schwefelholz vorsichtig an der Schuhsohle. Es blitzte auf, es glimmte, es brannte. Ich hielt es schräg, bis die Flamme sich vergrößerte. Dann näherte ich es bedächtig der Zigarette und sog einen köstlichen Zug Tabakrauch tief in die Lunge ein, ganz langsam. Allzu langsam, denn als ich einen zweiten Zug tun wollte, war das Feuer der Zigarette erloschen.

      Nach einer Ewigkeit hielt der Zug. Wir wurden ausgeladen. Man händigte uns unsere Habseligkeiten aus, mir das Köfferchen und die Mandoline im Wachstuchfutteral und Hosenträger und Kragenknöpfe. Dann gruppierte man uns zwei und zwei zu einem Zug, und so marschierten wir, links und rechts von vielen Bewaffneten bewacht, der nahen deutschen Grenze bei Herbesthal zu.

      Dort, schon von weitem sichtbar, erwartete uns ein einziger deutscher Wachtmeister. Dem brachten wir, als wäre es vorher verabredet und eingeübt, ein donnerndes Hurra aus.

      Die Belgier übergaben ihm unsere Personalien und die Überweisungsakten und zogen sich dann unter unseren Verwünschungen und unserem Hohngelächter zurück. Wir mußten dem deutschen Polizisten zur Wachstube folgen.

      Jetzt kam für einige von uns der schlimmste, für andere ein kritischer und für mich der goldene Augenblick.

      Als mich der verhörende Polizeioffizier erstaunt befragte, wie es möglich wäre, daß ein Mann von meiner Vorbildung in solch eine Situation geriete, war ich wohl einen Moment beschämt. Aber der Wunsch, erlöst zu sein, war brennender, und so beschränkte ich mich auf eine knappe Erklärung, betonte nur wiederholt, daß ich mir sofort von meinen Eltern Geld beschaffen würde.

      »Gut, Sie können gehen.« – Ach, wie das klang!

      Ich depeschierte an meine Frankfurter Wirtin um Geld. Und dann saß ich gewaschen und im Gehrock im Hotel und dinierte und trank Champagner, bis das Frankfurter Geld eintraf. Es war das zu spät, um noch am selben Abend weiter nach München zu fahren. So übernachtete ich in dem Hotel, ging aber nicht zu Bett, sondern ließ mir eine zweite Flasche aufs Zimmer bringen.

      Und saß dort sentimental, betrunken von Freiheit und Champagner.

      Und unternahm in Gedanken noch einmal die Reise von Frankfurt nach Hull. Ich bereute sie nicht. Ich meinte, ich hätte auch unterwegs, auch in der schlimmsten Zeit sie nie bereut.

      Die schlimmste Zeit war die in den belgischen Gefängnissen gewesen. Aber das alles war vorbei, und ich hatte Erfahrungen gesammelt und Neues gelernt. Und diese Reise hatte mich einmal aus dem bösen Alltag des gleichbleibenden, geborgenen Sattwerdens herausgerissen. Und mir war doch auch vieles Erhebende und Herrliche zugestoßen. Das Freiheitsgefühl als fahrender

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