ТОП просматриваемых книг сайта:
Verrückt nach den Roten. Danyel Reiche
Читать онлайн.Название Verrückt nach den Roten
Год выпуска 0
isbn 9783895336935
Автор произведения Danyel Reiche
Жанр Сделай Сам
Серия Werkstatt Fanbuch
Издательство Bookwire
Ich sah aber in der Hinrunde der Saison 2006/07 nicht nur die Heimspiele gegen Bremen und Bielefeld, sondern – für mich völlig überraschend – auch die gegen Leverkusen und Stuttgart sowie das Pokalspiel gegen Duisburg. Vortragsanfragen aus Deutschland – ich bin ein Experte für erneuerbare Energien – kam ich gerne nach, nachdem mir nicht nur die Übernahme der Flugkosten zugesichert wurde, sondern mein Blick auf den Spielplan auch ergab, dass dies prima mit einem Heimspiel zu verbinden ist. In der Rückrunde hatte ich ähnliches Glück und sah das Heimspiel gegen Dortmund (das 4:2 gewonnen wurde und in dem Arnold Bruggink seine ersten beiden Tore für 96 erzielte), die Auswärts-Niederlage in Bielefeld und das letzte Heimspiel gegen Nürnberg, in dem leider die UI-Cup-Teilnahme vergeigt wurde.
Auch das restliche Saisongeschehen konnte ich in den USA intensiv verfolgen, vor allem dank des Internets sowie des nordamerikanischen Spartensenders GOL TV, der bis zu vier Bundesliga-Spiele am Wochenende live überträgt. Meine Vermieterin Tracy fragte ich, ob sie mich zu einem glücklichen Mann machen wolle. Fragend und erwartungsvoll zugleich schaute sie mich an. Schließlich, nach einer kleinen Kunstpause, schob ich nach, ob sie diesen Fußballsender für mich abonnieren könnte. Sie lachte – und griff zum Telefonhörer, um beim Kabelanbieter Comcast die Bestellung in Auftrag zu geben.
Als Alternative zum heimischen Fernseher und zur Bundesligakonferenz im Internetradio (von NDR 2 oder der Deutschen Fußball Liga, DFL) bot sich noch im Herzen der schönen Stadt, mitten auf der Connecticut Avenue, die Lucky Sports Bar an, die neben der Champions League (zu der CL-Zeit musste ich in der Regel allerdings an der Uni unterrichten) die Spiele aus den großen europäischen Ligen übertrug. Die Lucky Sports Bar war ein kosmopolitischer Ort und Treffpunkt von Menschen aus verschiedensten Nationen. Der Wirt, ein fußballverrückter Waliser, hat die Bar mit Fanschals aus aller Herren Länder verziert und bietet seinen Gästen nicht nur das zuweilen leicht gewöhnungsbedürftige amerikanische, sondern auch europäisches Bier an. Noch dazu glänzt die Lucky Sports Bar mit 25 Bildschirmen und diversen Satellitenprogrammen, so dass der Satz auf der Homepage »We’re ready for your favorite team« mehr als eine hohle PR-Phrase ist.
Hier lernte ich auch US-Amerikaner kennen, die eigens zur WM nach Deutschland eingeflogen waren und von den Stadien sowie den (aus ihrer amerikanischen Perspektive) perfekt organisierten öffentlichen Verkehrsmitteln schwärmten. Beseelt von mir und meinem Besucher Malte, versprach uns ein Amerikaner sogar, auf der Webseite von »Hanover Ninety-six« ein Trikot von Steven Cherundolo zu ordern. Ob das amerikanische Freundlichkeit oder ernster Vorsatz war, wir werden es nie erfahren …
Schöne Stunden verlebte ich in der Lucky Sports Bar, übrigens ganz ohne die damals noch aus deutschen Gaststätten gewohnten Rauchschwaden: In Washington DC galt schon damals, wie in den meisten anderen US-Bundesstaaten auch, ein striktes Rauchverbot. In der Lucky Bar sah ich nicht nur Per Mertesackers erstes Champions-League-Tor im Dress von Werder Bremen gegen Chelsea London (wegen eines Feiertages in den USA konnte ich – offenbar eine Fügung des Fußballgottes – diesem historischen Ereignis beiwohnen statt unterrichten zu müssen), sondern auch gemeinsam mit meinem Besucher Malte den Auswärtssieg der Roten in Wolfsburg durch zwei Treffer von Thomas Brdaric.
Nicht nur mit Besuchern wie Malte konnte ich über die Roten fachsimpeln. In Washington lernte ich über meinen inzwischen guten Freund Axel von der Deutschen Botschaft (leider Fan des Hamburger Sportvereins, also des kleinen HSV) noch den aus Hannover stammenden Jan kennen. Sein Opa Günther Neutze war in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren nicht nur einer der bekanntesten deutschen Schauspieler, sondern auch bundesweit als Fan der Roten bekannt. Bei seinem Deutschland-Aufenthalt Weihnachten 2007 gewährte mir Jan einen Einblick ins Fotoalbum der Familie Neutze, das unter anderem Zeitungsartikel mit Fotos von Günther als Teilnehmer beim 96-Training zeigt sowie einen Ausschnitt aus der Stadionzeitung mit einem Porträt des Promi-Fans.
Mit seinem Bruder Hanns Lothar, ebenfalls ein begnadeter Schauspieler, besuchte Günther 1954 die Mannschaft im berühmten »Geheimtrainingslager« der Roten in Bendestorf vor dem historischen Meisterschaftsendspiel gegen Kaiserslautern in Hamburg. Wie der Autobiografie von Fiffi Kronsbein zu entnehmen ist, hat sich der Trainer darüber »besonders gefreut«.
Mit Jan und später auch seinem Kumpel Lutz konnte ich in der Ferne über die Roten fachsimpeln. Einmal in der Woche spielten wir mit dem Team der Deutschen Schule Fußball, und Jan ließ es sich hierbei nie nehmen, in der US-Hauptstadt im Trikot der Roten aufzulaufen. Einmal hatte Jan, der bei einem der vielen Think Tanks in der Stadt arbeitet, einen beruflichen Termin in der Ukraine. Seine gesamte Flugroute organisierte er so, dass er für ein paar Stunden in Hannover war und (mit meiner Dauerkarte) das Spiel der Roten gegen Schalke besuchen konnte. Umgeben von solch glühenden 96-Verehrern fühlte ich mich in Washington DC schnell zu Hause.
Zumal eine neue Zeit angebrochen war, das GOL-TV-Zeitalter. Auch im fernen Amerika war mir die heimische Bundesliga nun ganz nah. Fortan hörte ich nicht nur freitags mittags auf zu arbeiten – bei sechs Stunden Zeitunterschied begann das Freitagspiel bereits um 14.30 Uhr meiner (Ostküsten-)Zeit –, sondern stellte mir selbst nach durchzechten Nächten samstags für 9 Uhr den Wecker, um Punkt 9.30 Uhr zur Bundesliga-Übertragung vor dem Fernseher zu Hause oder in der Lucky Bar Platz zu nehmen …
Problematisch wurde es nur, wenn Bundesliga-Spieltage unter der Woche stattfanden und ich zeitgleich (eigentlich) unterrichten musste. Und hier folgt nun eine Beichte der besonderen Art: Als die Roten zum Auswärtsspiel bei Bayern München antraten, hätte ich normalerweise meinen Kurs »Methods of Policy Analysis« (Methoden der Politikanalyse) unterrichten müssen. Ich aber wollte an jenem Mittwochnachmittag nicht Politik, sondern das 96-Spiel beim Rekordmeister analysieren. Folglich nuschelte ich meinen Studierenden gegenüber mit bedeutungsvoller Miene etwas von einem wichtigen Termin (was ja nicht ganz gelogen war) – und verlegte kurzerhand den Kurs …
Für diese Entscheidung sollte ich nicht enttäuscht werden: Jiri Stajner luchste seinem Gegenspieler, dem Argentinier Martin Demichelis, an der Außenlinie den Ball ab und legte schön quer zum Ungarn Szabolcs Huszti, der gekonnt vollendete. Am Ende feierten die Roten einen historischen Erfolg in München und siegten 1:0 in der Allianz-Arena. Hätte ich zu dieser Stunde pflichtschuldig unterrichtet, ich wäre meines Lebens nicht mehr froh geworden …
Gleichgesinnte
Oder: Gut, dass es auch
andere Verrückte gibt!
Männer, die sich nicht für Fußball interessieren, sind mir suspekt. Deshalb gibt es in meinem Freundeskreis – zumindest auf männlicher Seite, bei Frauen ist man ja noch etwas nachsichtiger – auch nur Liebhaber des runden Leders. Mein ältester Freund ist Tobi – mit ihm bin ich schon zusammen zur Schule gegangen und seit mehr als 20 Jahren befreundet. Er lebt und arbeitet heute in Zürich im Kunsthaus als Restaurator – was zeigt, dass selbst aus einem verrückten 96-Fan etwas werden kann. Er ist schon seit längerem nicht mehr so fanatisch wie ich, aber bei einem Besuch in der Schweiz sind durchaus noch Spuren der Roten zu sichten: So enthält seine Telefonnummer eine 96, und sein Handy-Display zeigt das 96-Logo. Dies ist aber nur Peanuts im Vergleich zu dem, was er einst für sein Team als Liebesbeweis vollbrachte: An einem 9.6. heiratete er im hannoverschen Standesamt seine Carmen. Aus der hübschen Rumänin Carmen wurde zwar inzwischen die nicht minder reizvolle Inderin Noorjahan, doch die Eheschließung