Скачать книгу

BSC Berlin im letzten Saisonspiel, dem ich gemeinsam mit meinem Vater beiwohnte, die Aufstiegsfeier stattfand: Was für ein Triumph!

      Mein Vater ist Inhaber eines Küchenfachgeschäftes in Hildesheim, damals gab es auch noch einen in Hannover gut bekannten Laden. Zu seinen Kunden zählten neben Altkanzler Schröder, der sich gleich zweimal bei Küchen-Reiche ausstattete, auch so schillernde Figuren wie Porno-Star Teresa Orlowski. So richtig aufmerksam folgte ich seinen Erzählungen aber nur, wenn mal wieder ein 96-Spieler oder dessen Familienmitglieder im Geschäft aufgetaucht waren, so wie etwa Fabian Ernst, als er zu Werder wechselte, oder die Stütze aus der Aufstiegsmannschaft 1984/85, Bastian Hellberg. Winfried Mittrowski, in den sechziger Jahren fünf Spielzeiten Abräumer im defensiven Mittelfeld der Roten, kaufte gleich mehrfach bei meinem Vater ein.

      In den achtziger Jahren war es noch üblich, dass der Spielball von einem lokalen Unternehmen gesponsert wurde. Ich erinnere mich noch genau, als mein Vater einmal den Spielball spendete, auch wenn mir der Gegner in meiner kindlichen Erinnerung entfallen ist. Wir besuchten das Spiel gemeinsam, es war ein Abendspiel mit Flutlicht, und dann, kurz vor Anpfiff, ertönte die 400 Mark teure Durchsage: dass das Küchenfachgeschäft Reiche heute den Spielball gespendet habe. Das Spiel endete übrigens mit einem Sieg der Roten.

      Das Glück wollte jedoch nur kurz währen, weil 96 gleich nach dem Bundesliga-Aufstieg wieder die Bühne 1. Liga verlassen musste.

      In der achten Klasse bekam ich dafür mit Tobias einen neuen Mitschüler. Mit dem Pastorensohn hatte ich nun einen weiteren fußballverrückten Kumpel, von dem später im Buch noch eingehend die Rede sein soll. So langsam spannte sich jedenfalls mein Fußball-Netzwerk. Hing meine Stadionpräsenz in den ersten Lebensjahren noch von Lust und Zeit meines Vaters (und ab und zu meines Patenonkels) ab, hatte ich durch den neuen Wohnort und viele Gleichgesinnte nun die Möglichkeit, den Roten stets treu zur Seite zu stehen.

       Sehnsucht nach den Roten

      Stell dir vor, die Roten spielen – und du kannst die Partie im Niedersachsenstadion nicht live vor Ort verfolgen. Für mich gibt es kaum einen dramatischeren Umstand. Entsprechend werden Urlaube vorzugsweise in der spielfreien Zeit verbracht und berufliche Termine wegen angeblicher »Unabkömmlichkeit« umgelegt. Zwar erschweren die kurzfristigen Spielansetzungen heutzutage erheblich die zuverlässige Planung, doch sollte es mir eigentlich immer gelingen, live vor Ort zu sein. Als ich im Jahr 2001 einen viermonatigen Arbeitsaufenthalt in den Niederlanden hatte (siehe dazu auch Kapitel »Auswärts«), verpasste ich trotzdem kein Heimspiel – und wurde von Ralf Rangnick und seinem Team um den etwas verrückten, aber genialen Jan Simak mit Traumfußball und den Durchmarsch in die 1. Liga belohnt.

      Ein Jahr später ging es für drei Monate nach Warschau. Von der polnischen Hauptstadt gab es damals nach Hannover noch keine Direktflüge, und die Zugfahrt dauerte acht Stunden. Selbstverständlich nahm ich diese Strapaze auf mich, um die ersten Bundesligaspiele nach 14 Jahren Zweit- und Drittklassigkeit live zu erleben. Ein Spiel sollte ich dann aber doch verpassen. Es war das Heimspiel gegen Borussia Dortmund. Ich dachte, ich müsste mir ja auch mal Warschau etwas genauer angucken – und sollte diesen Entschluss bitter bereuen. Völlig nervös, an Sightseeing war gar nicht zu denken, rannte ich wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Innenstadt Warschaus, um auf den versprochenen SMS-Service meines sehr guten Kumpels Eppe zu warten. Der Ticker ließ auch nicht lange auf sich warten: Jiri Stajner schießt Elfmeter nicht ins Tor, sondern Richtung Maschsee; Dame Diouf fliegt mit Rot vom Platz – ich war mit meinen Nerven am Ende. Nie wieder würde ich, nur um mir läppische 16 Stunden Hin- und Rückfahrt im Zug zu ersparen, leichtfertig auf ein Spiel meiner Roten verzichten. Zwar ging das Spiel gegen den BVB verloren, doch ich ärgerte mich schwarz, bei einer so turbulenten Begegnung nicht live dabei gewesen zu sein – und meine Nerven wurden in der Ferne mehr strapaziert, als es vor Ort der Fall gewesen wäre. Im Stadion hätte ich das Geschehen durch meine Anfeuerungsrufe beeinflussen oder mit Freunden zumindest gemeinsam den Frust abbauen können.

      Wenn im Niedersachsenstadion der Ball rollte, sollte ich seit der Saison 1984/85 ansonsten immer live vor Ort sein – eigentlich. Denn es gab noch zwei Ausnahmen: Die eine war mein Studienjahr in Südafrika 1996, die andere meine Zeit als Gastprofessor in Washington DC von Mitte 2006 bis Mitte 2007.

      Die Zeit in Südafrika war grauenvoll, trotz eines schönen Anfangs. Zwei Jahre nach Ende der Apartheid feierte das Land seine Wiederaufnahme in die Weltgemeinschaft. Nachdem es bereits erfolgreich eine Rugby-WM ausgerichtet (und gewonnen) hatte, fand Anfang 1996 auch der Afrika-Cup in dem Land von Präsident Nelson Mandela statt. Dieser zählt neben einigen Fußballern, über die ich später noch schreiben werde, definitiv zu meinen Idolen.

      Nachdem ich am Vortag noch über den zugefrorenen hannoverschen Maschsee spaziert war, stieg ich am nächsten Tag bei strahlendem Sonnenschein in Johannesburg aus dem Flieger. Mit meinem Kommilitonen Carsten, der sich ebenfalls für den Studienaufenthalt in Südafrika entschied, nutzte ich die Gunst der Stunde und besuchte sowohl das Halbfinale als auch das Endspiel, das »Bafana Bafana« – so der Rufname des südafrikanischen Teams – souverän gewann. Was interessiert mich die 2. Liga, in der 96 damals kickte, dachte ich für einen Moment, wenn ich solchen Weltereignissen wie dem Finale des Afrika-Cup-Finale beiwohnen kann.

      So kann man sich täuschen. Die Roten stiegen in der Saison 1995/96 in die Regionalliga ab. Da das Internet noch in den Anfängen steckte, hing der Informationsfluss im Wesentlichen vom Faxgerät in meiner Wohnung in Johannesburg ab. Zuverlässig ratterte es am Morgen nach den 96-Spielen, wenn mir mein Vater die Spielberichte aus den hannoverschen Zeitungen sendete. So hilflos, so untätig den Sturz der Roten in die Drittklassigkeit zu verfolgen, es war grauenvoll. Wahrscheinlich war ich an allem schuld – wie konnte ich in so weiter Ferne die Mannschaft unterstützen? Natürlich gar nicht.

      Umso schöner war es dann aber auch, als zu einem Zeitpunkt, da ich mit meinem Fußball-Fanleben fast schon abgeschlossen hatte, wieder Faxe eingingen: Auftaktsieg in Herzlake, Euphorie um neue Spieler wie Otto Addo, Zuschauerrekorde (für Drittliga-Verhältnisse) in Hannover – die Artikel machten Lust auf Fußball auch in Liga 3.

      Mein erstes Spiel in der Regionalliga, ziemlich direkt nach meiner Rückkehr nach Deutschland im Herbst 1996, war ein hoher Kantersieg gegen die Amateure vom Hamburger Sportverein (7:0, 14. Spieltag). Die Fußballwelt war für mich wieder in Ordnung, auch dank einer Dauerkarte, die mir mein Patenonkel für die Rückrunde schenkte.

      Eine komplette Halbserie zu verpassen, wie die Abstiegs-Rückrunde der Saison 1995/96, so etwas sollte mir nie wieder passieren.

      Ein Jahrzehnt später wurde meine Leidensfähigkeit aber noch mal ordentlich auf die Probe gestellt. Im Mai 2006 erhielt ich die Nachricht, dass ich ab August 2006 für ein Jahr Gastprofessor in Washington DC werden sollte. An der renommierten School of Foreign Service der Georgetown University, wo unter anderem der ehemalige US-Präsident Bill Clinton, EU-Kommissionspräsident Barroso, der spanische Kronprinz Felipe sowie der jordanische König Abdullah II. studiert haben und Madeleine Albright, die ehemalige US-Außenministerin, als Dozentin lehrt. Nach meiner Habilitation im Fach Politikwissenschaft war das der absolute berufliche Höhepunkt. In die Euphorie mischten sich aber schnell Zweifel: Würde ich die Trennung von meinen Roten verkraften? Die Erinnerungen an die Zeit in Südafrika wurden wieder wach: Würde ich wieder leiden, würde es wieder einen sportlichen Absturz geben, oder würde ich gar zum Baseball-Fan konvertieren?

      Als Präventivschlag gegen Letzteres wurde ich noch kurz vor meinem Abflug Vereinsmitglied. Während sich die meisten Dauerkarten-Besitzer, die zugleich Mitglied sind, für eine goldene Dauerkarte entscheiden, bestand ich zur Verblüffung der Mitgliederbetreuung auf zwei getrennten Karten: einen Mitgliederausweis und eine Dauerkarte. Letztere konnte ich dann zum Verleihen bei meinem Dauerkartennachbarn Malte in Hannover deponieren, während der Mitgliederausweis prominent in meinem Portemonnaie platziert und bei jedem Bezahlvorgang in den USA sichtbar wurde.

      Aus Washington schrieb mir die Direktorin: Mein Arbeitsvertrag laufe ab dem 1. August 2006, aber da die Vorlesungen erst Ende August beginnen, würde es ausreichen, wenn ich Mitte August mein Büro bezöge und vorher von zu Hause aus arbeite. »Mitte August« – der erste Bundesliga-Spieltag sollte am Wochenende des

Скачать книгу