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der Theologie arbeiten wir erstens hochgradig versiert und mit unterschiedlicher Akzentuierung quer durch die Fächer mit und an Begriffen, Phänomenen, Textbeständen, Inhalten und Praxen von Religion, Religiosität, Frömmigkeit und Spiritualität mit einer gewissen Kenntnis anderer Religionen, religiöser Strömungen samt aller zugehörigen Synkretismen. Deshalb ist zumindest im internen Zusammenspiel der theologischen Fächer das Instrumentarium zu ihrer Dechiffrierung und Kritik einigermaßen gut ausgebildet. Auch hier lässt sich mit Walter Sparn sagen: Das Christentum hat in der Tat »in allen seinen Praxisformen und in seinen Theologien das religionskulturelle Gedächtnis Europas aufgebaut, durchgängig bearbeitet«20 und ist daher spezialisiert auf alle möglichen Facetten religiöser Deutungs- und Lebensprozesse.

      Für die beteiligten naturwissenschaftlich-medizinischen Fakultäten hingegen stellt sich die Situation zweitens genau umgekehrt dar: Sie haben es mit einer bunten, unsortierten, mehr oder weniger bewussten und stets wechselnden Mischung religiöser Praxen, Bedürfnisse, Gewohnheiten und Ansprüche zu tun, die bei manchen ganz offensichtlich mit einem Erstaunen über die Renitenz der Religion einhergeht21 und die sie mit den Mitteln der eigenen Profession lediglich zur Kenntnis nehmen können. Wir kooperieren also mit Kolleginnen und Kollegen, die es (meist) ohne jeden normativen oder hermeneutischen Anspruch auf Systematisierung mit einer für sie methodisch nicht dechiffrierbaren, synkretistischen Polyvalenz zu tun haben. Während z. B. der Spiritualitätsbegriff innerhalb der Theologie über eine komplexe Kritik im Verhältnis zum Religions- und Frömmigkeitsbegriff neu justiert wird (vgl. die Entwürfe von Simon Peng-Keller und Eberhard Hauschildt),22 wird er außerhalb der Theologie nicht nur gänzlich anders wahrgenommen, sondern hat in der Forschungs- und Arbeitspraxis auch einen ungleich höheren Stellenwert, da er sich mit dem gesamtgesellschaftlichen Sprachgebrauch und dessen phänomenaler Gestaltung eher deckt und für die empirischen Studien daher tendenziell primär ist.

      Da es sich in Medizin und therapeutischen Disziplinen drittens im Zweifelsfall um den Ernstfall handelt, ist die jeweils artikulierte oder subversiv wirkende religiöse Praxis oft an existentielle und daher entsprechend emotionalisierte Krisensituationen mit Rückwirkung auf den medizinischen Prozess gebunden. In solchen Situationen geht es den Kolleginnen aus der Medizin deshalb mit Recht nicht primär darum, die religiösen Motive, Praxen, Bedürfnisse religionswissenschaftlich oder theologisch zu verstehen, sondern einzig um die Frage, inwiefern sie dem Heilungsprozess dienlich oder schädlich sind. »Wenn jemand mit einer Angstpathologie krampfend vor mir sitzt, brauche ich etwas, das den Krampf löst, sei es ein Medikament, eine Geste oder ein Wort – nicht nach langer Erklärung und Abwägung, sondern ›jetzt‹.«23 Dessen ungeachtet ist den meisten medizinischen und therapeutisch arbeitenden Kollegen bewusst, dass sie gerade angesichts der interreligiösen und weltanschaulichen Polyvalenz die Expertise all jener benötigen, die das Verhältnis von Glauben und Wissen samt zugehöriger Reflexionssprache seit längerer Zeit im Arbeitsrepertoire haben.24 Gesucht wird in solchen Konstellationen eine durchaus explizite und selbstbewusste Theologie, die mit ihren Geltungsansprüchen gleichwohl selbstkritisch und selbstreflexiv umgeht.

      Es kommt viertens hinzu, dass die in der naturwissenschaftlich-medizinischen Forschung standardisierte und habitualisierte Forschungspraxis v. a. in Zusammenhang mit den Fragebögen der empirischen Erhebungen mit einem Set an Begrifflichkeiten arbeitet, das sich in religions- und frömmigkeitstheoretischen Belangen aus dieser vorgegebenen bunten religiös-spirituellen Mischung speist. Zum einen, weil die nötige religionstheoretische und theologische Expertise fehlt, zum anderen aber auch, weil sich die Formulierungen in den Fragebögen mit der bunt gemischten Schar der Patientinnen und Patienten decken muss. Der Wiedererkennungswert der Fragen und Items muss hoch genug sein, um aus der Betroffenheitssituation heraus beantwortet werden zu können. Da das Gespräch über diese schwer zu durchschauende Vielfalt im europäischen Rahmen zudem mit ebenfalls stark ausdifferenzierten Konstellationen in Theologie und Religious Studies zu führen ist, zählt umso mehr die eingangs scheinbar banale Bedeutung der beteiligten Personen und des unbedingten gemeinsamen Sachinteresses. Um die Aufgabe der Theologie in solch einem Diskurs beschreiben zu können, sind die beiden folgenden Abschnitte im Gespräch mit Eilert Herms und Walter Sparn geführt.

       IV. Theologie als Gewissheitsexplikation und -konstitution: Eine Frage an Eilert Herms

      Eilert Herms hat 1996 in einem Aufsatz unter dem Titel »Die Theologie als Wissenschaft und die Theologischen Fakultäten an der Universität« die Unterscheidung zwischen der »gewißheitskonstitutiven und der gewißheitsexplikativen Leistung der reflektierenden Vernunft« und deren Zuordnung zur Theologie im Rahmen ihrer kulturgeschichtlichen Verortung im Ausgang vom Hellenismus vorgenommen.25 Das Problem dieser Entwicklung sieht er darin, dass

      »die Frage unbedacht und offen [bleibe], ob diese Reflexionspraxis der Vernunft selbst die Produzentin der von allen Vernünftigen geteilten Gewißheit ist oder ob sie sich selbst nur auf dem Boden und im Lichte von ihr immer schon vorgegebenen Gewißheiten zu vollziehen vermag […]«.26

      Im Kontext des Judentums und des Christentums sei diese gewissheitsexplizierende Vernunft zu Recht aufgenommen und als Theologie institutionalisiert worden. Die Theologie könne niemals »mit gewißheitskonstitutiven, sondern nur mit gewißheitsexplizierenden Leistungen der reflektierenden Vernunft rechnen, die sich deshalb stets auf ein vorgängiges Gewißheitsfundament in den Erschließungsleistungen geschichtlicher Lebenserfahrung beziehen« müsse, nämlich auf Gottes Offenbarsein in der Tora und im »am Kreuz vollendeten Lebenszeugnis« Jesu Christi.27 Auch in Herms’ Beitrag dieses Bandes spielt dieser Gedanke eine wichtige Rolle;28 ebenso wie in seiner Systematischen Theologie § 9 bestimmt Herms das Verhältnis von »Offenbarung und Vernunft« programmatisch als ein »asymmetrisches Konstitutionsverhältnis« und äußert eine ähnliche Kritik an einer vermeintlichen »Einheitskultur der Vernunft«.29

      Mir leuchtet sofort ein, dass Herms Offenbarung und Vernunft aus einer unfruchtbaren Gegensätzlichkeit zu befreien sucht, denn die dem Glauben eigene Rationalität gilt es tatsächlich nachdrücklich zu verteidigen; mir leuchtet jedoch weniger die Entgegensetzung von Explikation und Konstitution ein. Zwar ist diese begriffliche Unterscheidung hilfreich, weil der Begriff »gewissheitsexplikativ« bzw. die Aufgabe, vorfindliche und auf verschiedene Weise artikulierte Gewissheiten explizieren zu wollen, im Gespräch mit naturwissenschaftlichen Disziplinen zu unseren ersten Aufgaben gehört. Der Begriff ist ebenfalls hilfreich, weil er nicht von vornherein mit der Assoziation des Dogmatischen bzw. eines Dogmatismus einhergeht, der der Theologie ohnehin oft unterstellt wird. »Gewissheitsexplikativ«, in dieser Hinsicht gebraucht, deckt sich mit der von Walter Sparn vorgeschlagenen Formel vom Christentum als der Kultur eines Wissens, »das sich seiner Motive, Gründe, Bedingungen, mithin auch seiner Grenzen bewusst« sei.30

      Ausweichen können wir der Assoziation bzw. dem Vorwurf des Dogmatismus allerdings nur dann, wenn der Begriff »gewissheitsexplikativ« methodisch konsequent als hermeneutischer Begriff verwendet wird. Er bedeutet dann, dass wir uns in der Theologie auf Texte bzw. Aussagen beziehen, die von den biblischen Schriften an bis heute in zeugnishaftem Ausdruck von der Gewissheit getragen sind, dass Gott ist, handelt und regiert. Da die Theologie zu diesen Äußerungen seit ihren Anfängen analysierend, kritisch und konstruktiv fortschreibend Stellung nimmt, ohne selbst religiöse Gewissheitsrede zu sein, hat sie sich ein Interpretationswissen angeeignet, das auch für die Deutung gegenwärtiger religiöser bzw. spiritueller Vorstellungen, Selbst- und Fremddeutungen und deren Ansprüche relevant ist; und zwar gerade dann, wenn uns diese Vorstellungen, gespiegelt über den interdisziplinären Diskurs, in einer bunten, unsortierten, konflikthaften und synkretistischen Vielfalt begegnen. So wichtig die bleibende Differenz zur religiösen Gewissheitsrede ist, so deutlich ist freilich auch, dass jede gewissheitsexplikative Leistung zugleich eine gewissheitskonstitutive Funktion hat.31 Denn was auch immer die reflektierende Vernunft in gewissheitsexplikativer Weise von Gott sagt – sie ist mit ihrer explikativen Leistung Teil neuer Gewissheitskonstitution, und zwar gerade dann, wenn es um »Gewissheit« geht und nicht um »Gott selbst«. Dass keine menschliche Rede »Gott selbst« konstituieren könnte, ist

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