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stand. Daneben gab es noch eine Kantine, aber die Speisen kamen aus der gleichen vorzüglichen Küche. Der alte Müller, der nie vergessen hatte, daß er aus kleinen Verhältnissen nach oben gekommen war, verwöhnte seine Arbeitnehmer. Im Grunde kümmerte er sich nur noch um die sozialen Belange und – es war seine Marotte – darum, daß Wasser und Strom nicht vergeudet würden. Die sonstige Geschäftsführung überließ er seinem Bevollmächtigten Werner Nareike.

      Sabine lächelte der Kellnerin zu, die ein duftendes Pfeffersteak mit einer großen Salatplatte anschleppte. Sie sah hinter ihr die »resche Zängerin« oder auch »Pralline« – nie hatte sie jemand in diesem Haus anders genannt –; die Sekretärin des Personalchefs zögerte, trat dann an Sabine heran: »Entschuldigen Sie, wenn ich Sie bei Tisch störe, Fräulein Littmann«, sagte sie. »Bei Ihnen liegt noch die Urlaubsliste, wenn Sie sie bald zurückreichen wollten …«

      »Ich werde meinen Chef daran erinnern«, erwiderte Sabine, sie bemerkte das Zögern ihrer Kollegin und lud sie – mehr höflich als erfreut – ein, an ihrem Tisch Platz zu nehmen. Die Zängerin war eine gutmütige, nicht übertrieben intelligente Person, die – wenn der Haustratsch stimmte – von ihren prallen Rundungen reichlich Gebrauch machte. Jedenfalls rühmte man ihr nach, daß sie über ein großes Herz und über ein breites Bett verfüge. Die »Pralline« war weder unbeliebt noch unverspottet. Die Firmen-Fama jedenfalls machte aus den beiden Sekretärinnen der Direktion extreme Gegensätze, und die Männer munkelten, daß sich die Zängerin mit jedem Betriebsangehörigen, und die blonde Sabine mit keinem einlassen würde.

      »Gefällt es Ihnen bei uns?«

      »O ja, Fräulein Zänger«, antwortete Sabine. »Ich habe mich fraglos verbessern können.«

      »Sie machen hier ja auch ganz schön Furore«, erwiderte die »Pralline« lachend: »Sehen Sie, sogar mein lieber Chef bekommt schon Stielaugen, wenn er Sie ansieht.«

      »Herr Brill?« erwiderte Sabine, als hätte sie es nicht bemerkt.

      »Leider ist er nicht mit Direktor Nareike zu vergleichen«, plapperte die Zängerin weiter. »Gewiß, unser Oberster ist ein komischer Heiliger, aber wenn man sich einmal an ihn gewöhnt hat, kann man prima mit ihm auskommen.«

      Sabine wollte den Redefluß stoppen, aber das war nicht so einfach.

      »Und manche Dame, die hinter seinem Rücken lästert, tut es nur, weil sie bei ihm nicht gelandet ist. Was meinen Sie, wer hier im Haus schon alles hinter ihm her war – aber er ist kein heuriger Hase.«

      Sabine schwieg. Es war ein Tadel, aber die »Pralline« hatte keine Empfindung für Feinheiten: »Und er ist anders als mein lieber Chef«, schwärzte sie Erwin Brill an, »der nach oben bukkelt und nach unten tritt.«

      »So schlimm?« fragte Sabine zerstreut, sie mochte Brill auch nicht, aber sie ließ es sich nicht anmerken. Manche hielten sie für arrogant, weil sie sich so konsequent von ihnen fernhielt, und einige sagten, Sabine könnte nicht besser zu diesem Nareike passen, der kein Privatleben, keine Verwandten, keine Freunde, keine Frau und keinerlei private Neigungen hatte und offensichtlich nur mit seiner Firma verheiratet war, und zwar extrem monogam.

      »Hoffentlich gehe ich Ihnen nicht auf die Nerven«, plapperte die »Pralline« weiter. »Aber mir haben Sie gleich gefallen, Fräulein Littmann. Vor allem, weil Sie den Junior so abblitzen lassen.« Sie lächelte leicht vergiftet. »Der alte Müller ist ja ein köstlicher Kerl, aber wenn sein Sohn, dieser Möchtegerm-Playboy, den Laden mal in die Hand bekommt, landet die Firma im Graben.«

      »Mahlzeit«, erwiderte Sabine. »Ich habe leider zu tun.« Sie stand auf, ging in ihr Büro zurück und rief durch die offene Tür: »Brauchen Sie mich, Herr Direktor?«

      »Erraten, Sabine«, erwiderte Nareike lachend. »Aber es eilt nicht übertrieben, rauchen Sie ruhig noch Ihre Verdauungszigarette.«

      Er gab eine Antwort, die typisch für ihn war, er blieb freundlich und auch sachlich, ein Herr mit manikürten Manieren. Sie bewunderte ihn, doch nicht so sehr, daß sie in Gefahr geriete, sich mit ihm einzulassen. Er machte auch gar keinen Versuch, über die Intimität der Bürogemeinschaft hinauszugelangen. Sabine gestand sich, daß sie Nareike mochte und daß sie ihn fürchtete, obwohl er zu ihr, wie zu fast allen anderen Mitarbeitern, stets höflich war, selten ein lautes Wort sagte und auch in peinlichen Momenten über der Situation stand. Sie spürte eine seltsam-lähmende Faszination, die von ihm ausging. Sie wußte, daß sie nicht die einzige war, der es in diesem Hause so erging.

      Sie nahm auf der anderen Seite seines Schreibtisches Platz, und Nareike begann mit dem Diktat. Sabine trug ein buntes Sommerfähnchen mit halblangen Ärmeln und tiefem Ausschnitt. Die Haut, die sie zeigte, war gebräunt, appetitlich und machte süchtig, sehnsüchtig. Nareike verlor den Faden, und es war kein Wunder, denn der Frühling narrte ihn. Er interessierte sich mehr für die schöne Blonde als für das Subjekt seines Satzes.

      »Unter Hinweis auf diese bedauerlichen Umstände sehe ich mich leider gezwungen, Ihnen mitzuteilen, daß wir mit Wirkung vom 1. Juli unseren Nettopreis für die Standheizung, Typ SL 4, um 4,2 Prozent anheben müssen« repetierte Sabine unaufgefordert und sah ihn an.

      »Mein Gott, sind Sie tüchtig, Sabine«, quittierte er die sanfte Mahnung. »Schlußabsatz«, kürzte er das Diktat ab. »Gesteigerte Lohn-und Materialkosten, Hoffnung auf Verständnis und weitere gute Zusammenarbeit – Sie sind ja ein kluges Kind, Sabine, Sie bringen das auch alleine hin.«

      »Besten Dank, Herr Direktor.«

      »Warum so förmlich?«

      »Weil es sich so schickt«, entgegnete Sabine mit einem geronnenen Lächeln.

      »Und Sie halten sich immer an das Schickliche?« spöttelte er.

      »Meistens«, antwortete sie. »Aber im Büro immer, Herr Direktor.«

      »Machen Sie mir bitte eine Tasse Kaffee«, sagte er, »Und lassen Sie künftig diesen dummen Titel weg.«

      »Wie Sie meinen, Herr …«

      »Nareike«, erwiderte er mit Nachdruck. »Schlichtweg Nareike. Für Sie wenigstens.« Er machte es sich bequem in seinem Stuhl, zeigte Behagen über die Unterbrechung der Büroarbeit. »Ich hoffe, daß Sie mit mir ebenso zufrieden sind wie ich mit Ihnen, Sabine.«

      Sie hantierte an der Kaffeemaschine, kehrte Nareike den Rücken zu. Er verschlang sie mit den Augen. Er atmete schwer. Sie zeigte Haut, viel bloße Haut, und obwohl sie weit weg war, meinte er ihren Duft zu riechen. Sabine hatte eine Ähnlichkeit mit der Tochter des Vichy-Ministers, mit der er sich heimlich getroffen hatte. Zuerst mit der Mutter, dann mit – der Tochter, und zuletzt mit beiden zusammen zur ménage à trois. Aber daran dachte er besser nicht. Paris war weit weg und aus seinem Leben gerückt, aber Sabine, diese lässige Blondine mit den aufreizenden Bewegungen, war nahe.

      »Das Personalbüro moniert die Urlaubsliste«, sagte sie.

      »Ach ja.« Er öffnete die Schublade, schob ihr das Rundschreiben zu. »Tragen Sie sich bitte noch ein«, sagte er. »Haben Sie schon ein Urlaubsziel?«

      »Ja«, entgegnete Sabine. »Den Süden. Die Sonne.«

      »Spanien?« fragte der Direktor.

      »Italien«, antwortete Sabine. »Ischia.«

      »Allein?«

      »Das weiß ich noch nicht«, versetzte sie mit einem gewissen Lächeln.

      »Der Eisberg und der heiße Süden«, alberte Nareike, was er sonst nie tat. »Hoffentlich lassen die Südländer noch etwas übrig von Ihnen.«

      »Männer in Haufen fürchte ich wenig«, antwortete sie.

      »Sondern?«

      »Einzelgänger«, entgegnete sie mit verengten Pupillen.

      »Sie spielen doch nicht etwa auf mich an, Sabine?«

      »Ich würde mich hüten, Herr …«

      »Nareike«, versetzte er und spürte ein Verlangen, das jede Vernunft auslöschte,

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