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künftigen Aufenthaltsort mitzuteilen und – was auch geschähe – in jedem Fall abzuwarten, bis ihr Mann wieder bei ihr auftauchen würde. In der Zeit des Zusammenbruchs war Hannelore wie betäubt, nicht mehr sie selbst; nur allmählich fing sie sich wieder. Als sie am 20. Mai 1945 im Radio hörte, daß ein gewisser Heinrich Hitzinger, der nach seiner Festnahme durch britische Militärpolizei eine im Mund verborgene Giftkapsel zerbissen und dadurch Selbstmord verübt hatte, im Vernehmungslager 031 bei Lüneburg einwandfrei als Heinrich Himmler identifiziert worden sei, lebte Hannelore längst unerkannt und unbekannt in Sicherheit. Erst später erfuhr sie, daß ihre Eltern den gleichen Weg gewählt hatten, sich der Zukunft zu stellen, wie der Reichsführer SS, dessen Namensgeber Hitzinger übrigens als Volksschädling zum Tode verurteilt worden war.

      Zuvor hatte Hannelore schon unerträgliche Hiobsnachrichten hinnehmen müssen: Horst, ihr prächtiger Junge, war in einem den letzten Kriegstagen in einem Berliner U-Bahn-Schacht gefallen und Horst senior, ihr Mann mit ungewissem Schicksal, auf der Flucht. Er hatte bei der Dewako in Paris eine ganz entscheidende Aufgabe zugunsten der Kriegswirtschaft gelöst und – trotz seiner Zweifel – seine Pflicht getan, woraus ihm die Alliierten einen Strick drehen wollten. Die Familie Linsenbusch hatte einen hohen Preis für die Bewegung zu bezahlen, über die man jetzt auch noch die übelsten Dinge hören mußte, aber Hannelore war noch immer davon überzeugt, daß diese Untaten – soweit sie wirklich geschehen waren – von unverantwortlichen Gefolgsleuten hinter dem Rücken des Führers verübt worden seien.

      Sie hob den Kopf.

      Der Keeper sah sie fragend an.

      »Nein, danke«, sagte Hannelore. Ob sie wollte oder nicht, so oft sie aufsah, mußte sie in den großen Wandspiegel unter dem Flaschenregal blicken, und das war kein sehr erfreulicher Anblick. Sie war neun Jahre jünger als ihr Mann, aber sie wirkte viel älter als er. Sie hatte ihre Haare frisch gewaschen, aber sie sahen strähnig und farblos aus. Nie hatte sie sich zu einer modischeren Frisur durchringen können und nie auch dazu bereitgefunden, ihr fahles Haar aufzublonden, obwohl sie wußte, daß ihre Rivalinnen bei Horst – so verschieden wie auch immer – in jedem Fall blond waren, von heller, strahlender Farbe.

      In dieser Hinsicht hatte ihr Horst nun wirklich einiges angetan. Bis zu seinem Sturz war er fast ständig hinter überzüchteten Blondinen hergehechelt, wie ein Windhund hinter dem falschen Hasen. Hannelore hatte immer der Versuchung widerstanden, ihn zu bespitzeln, aber doch instinktiv gefühlt, wann es wieder einmal soweit war. Sie gewöhnte sich daran, seine Seitensprünge zu erdulden, da sie während eines langen Martyriums die Scheidung mehr fürchtete als seine Affären mit anderen Frauen, die den großen Vorzug aufwiesen, rasch zu enden.

      Der Zusammenbruch hatte alles mit einem Schlag beendet, und inzwischen war Horst ohnedies aus den wilden Jahren heraus. Es war ein Treppenwitz, daß sie sich am besten verstanden, seit sie nur noch selten zusammen waren. Nunmehr gab es nur noch sie in seinem Leben, und so warf ihm Hannelore die alten Geschichten auch nicht mehr vor. Sie blieb auf der Hut, aber sie sah die Dinge jetzt doch mit anderen Augen. Früher hatte sie Horst meistens gehaßt und manchmal geliebt, heute liebte sie ihn meistens und zürnte ihm nur noch selten. Bei seiner Frau war ihm gelungen, was ihm das Leben versagt hatte: die Rehabilitierung – aber sie würde sich wohl nie damit abfinden, daß Horst – ihrer Überzeugung nach zu Unrecht – sich verbergen mußte, während weit bekanntere Wehrwirtschaftsführer längst wieder auf den Kommandobrücken der deutschen Industrie standen, sogar und selbstverständlich auch in der Rüstung – die Sowjets machten es nötig und die Amerikaner möglich.

      Wieder klingelte das Telefon; diesmal hatte sie es überhört.

      »Für Sie, gnä’ Frau«, schreckte sie der Keeper hoch. Hannelore betrat erneut die Zelle.

      »Ich«, sagte eine Stimme, die – wie auf die Adventszeit abgestellt – heute eher weich als metallisch klang: »Wie geht’s dir, Liebes?«

      »Wie immer«, entgegnete sie spröde.

      »Schlimm, diese Zeit«, stellte er fest. Seine Stimme war so nah, als stünde er neben ihr: groß, schlank, überlegen, selbstbewußt.

      Wo er auch immer war, in diesem Moment bereute sie nicht, Horst als 19jährige geheiratet zu haben, den ersten Mann ihres Lebens, der zugleich ihr letzter sein würde, und wenn er sie nur wegen ihres mütterlichen Geldes und ihres väterlichen Einflusses gefreit hätte: »Für dich auch?« fragte sie leise.

      »Wie kannst du daran zweifeln?« erwiderte er etwas heftig: »Ich habe nur mehr Ablenkung als du, und du weißt ja, Männer sind nun mal härter als Frauen, Hannelore.« Sie erschrak, weil er sie erstmals am Telefon mit ihrem Vornamen angeredet hatte. Im Gegensatz zu ihr unterlief ihm nie so eine Fahrlässigkeit; sie schloß daraus, daß er sehr erregt sein mußte: »Ist etwas passiert?« fragte sie hastig.

      »Nein, nein, schon alles in Ordnung«, antwortete er. »In allerbester Ordnung sogar«, setzte er hinzu, und Hannelore wartete auf die vorfabrizierten Worte. Auf einmal merkte sie, daß das Gespräch diesmal keiner Aufzeichnung glich, die von der Spule kam.

      »Ich habe dieses Leben satt«, sagte er, »und bin entschlossen, es zu beenden.«

      »Beenden?« wiederholte sie, mit einer Stimme, die Angst befrachtete.

      »Ja. Zu unseren Gunsten. Ich möchte, daß es wird, wie es einmal war. Weißt du noch, damals in unserer ersten Zeit?«

      »Mein Gott, Horst …« Sie hustete und verbesserte sich: »Werner, davon träume ich doch schon seit …«

      »… seit langem«, fiel er ihr ins Wort, um unverschlüsselte Mitteilungen für eventuelle Zuhörer zu vermeiden: »Die Umstände haben uns in ein Labyrinth gehetzt, aber ich bin jetzt dabei, mit allen Mitteln, aber auch mit allen, uns ein für allemal einen Ausweg zu bahnen.«

      Hannelore lehnte sich gegen die Wand. Sie hörte Worte, die sie seit langem erwartet hatte, und die ihm nie über die Lippen gekommen waren. »Und du weißt schon …«

      »Ja«, antwortete er. »Ich weiß, wie wir den gordischen Knoten zerschlagen. »Sie hörte seinen Atem: »Möchtest du wieder mit mir zusammenleben – ich meine, immer?«

      »Wie kannst du nur fragen«, entgegnete sie.

      »Richtig verheiratet, mit Ehering?«

      »Horst …«, erwiderte sie atemlos und merkte gar nicht, daß er sie nicht zurechtwies: »Wann und wo und wie?«

      »Das werde ich dir alles sagen«, versetzte er, »aber nicht jetzt, nicht am Telefon. Nun hör mir gut zu. Ich weiß, daß du sehr aufgeregt bist, konzentriere dich bitte und sei kein kopfloses Huhn.«

      »Ja, aber …«

      »Ich bin unterwegs.«

      »Hierher?«

      »Zu dir«, antwortete er.

      »Aber wieso ist es auf einmal möglich?« fragte sie.

      »Ich sagte dir doch«, erwiderte er leicht gereizt: »Unsere Zukunft hat schon begonnen. Du mußt mir nur ein bißchen dabei helfen …«

      »Und ob ich dir dabei helfe«, entgegnete Hannelore. »Wann kommst du?«

      »Morgen.«

      »Werner, sag das noch einmal, bitte, ich bin unfähig …«

      »Gut«, antwortete er. »Ich werde dir noch eine ganze Menge sagen, altes Mädchen.« Er wurde ganz deutlich, sprach wie ein 18jähriger, nicht wie einer mit 58, und einen Moment fragte sich Hannelore erschrocken, ob er nicht etwa nur zuviel getrunken hätte. Aber es war überflüssig, denn ob Horst getrunken hatte oder nicht, das witterte sie über Raum und Zeit hinweg genauso, wie wenn er sie mit einer anderen Frau hinterging. Freilich hatte sich Horst, solange sie ihn kannte, früher an scharfe Sachen gehalten – im Glas wie im Bett.

      Als Hannelore nach wenigen Minuten die Kabine verließ, hatte sie rote Flecken im Gesicht. Sie ging mit taumeligen Schritten, als tastete sie sich über ein Hochseil, und schwindelfrei war sie noch nie gewesen. Sie setzte sich an ihren Platz und starrte mit vollem Gesicht ins Leere.

      »Dieses

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