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die Väter müssen es doch net wissen«, meinte er schmunzelnd. »Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, sagt man. Also, seh’ ich dich wieder? Ich hätt’ dir noch so viel zu erzählen, was ich alles in München erlebt habe. Oder willst mir gar einen Korb geben? Hast vielleicht einen Freund?«

      Johanne schüttelte den Kopf.

      »Nein, das ist’s net«, sagte sie hastig. »Aber wie gesagt, wird der Vater gewiss mit mir schimpfen. Ach, was soll’s! Ich muss morgen rauf zum Fernauer Wirt und ihm ein paar Flaschen Selbstgebrannten bringen, die der Vater ihm versprochen hat. Wenn du magst, können wir gemeinsam rauf zum Berggasthof gehen.«

      Raphael lächelte. Er war einverstanden und glücklich, dass Johanne zugesagt hatte. Für wenige Augenblicke war in ihm der Verdacht aufgekeimt, dass sie ihn würde abblitzen lassen.

      »Und wann willst du losgehen?«

      »Um acht Uhr!«

      Raphael nickte zustimmend.

      »Dann bis morgen in der Früh?«

      »Ja«, bestätigte sie. »Um acht Uhr bin ich oben beim Kreuz, wo vor zwanzig Jahren der Pritzner Hans mit seinem Sohn in die Schlucht gestürzt ist. Da warte ich auf dich.«

      »Ich werd’ vor dir dasein«, versprach Raphael. Er streckte die Rechte aus. Sie nahm sie und drückte sie. Danach aber machte er keine Anstalten, sie loszulassen.

      »Ich muss mich sputen!«

      Der junge Mann nickte verstehend. Alles in ihm forderte ihn auf, die hübsche Frau einfach in die Arme zu nehmen und zu küssen. Etwas aber warnte ihn, derart dreist vorzugehen.

      »Bis morgen«, erwiderte er leise.

      Johanne ging, und sie drehte sich mehrere Male um, um ihm zu winken. Erst, als sie den Felshang erreicht hatte und umrundete, verlor er sie aus den Augen. Es tröstete ihn nicht, dass er sie in wenigen Stunden wiedersehen würde. Und noch weniger ahnte er, wie enttäuscht Johanne war, dass er sie nicht geküsst hatte. Aber morgen war auch noch ein Tag.

      2

      Das Telefon schlug an. Gähnend beugte sich Peter Finkenthal zur Seite und griff nach dem Hörer. Gelangweilt meldet er sich mit seinem Namen. Am anderen Ende der Leitung war sein Chef Bruno Linderer, der Besitzer des einzigen Sägewerks weit und breit. Seine Stimme klang alles andere als gut gelaunt.

      »Morgen früh müssen wir rauf zum Falkeneck und sehen, was noch zu retten ist. Dieser verfluchte Sturm hat große Teile der Fichten an der Nordostflanke geknickt. Der Bernauer Franzl hat mich gerade angerufen. Der Schaden geht in die Tausende. Wir müssen bis zum nächsten Regen bergen, was zu bergen ist. Also, sei pünktlich! Hast du verstanden?«

      Peter versprach, sich nicht zu verspäten. Er hatte in letzter Zeit mehrere Male verschlafen. Dadurch war sein Boss nicht besonders gut auf ihn zu sprechen. Einen weiteren Ausrutscher durfte er sich nicht leisten.

      Er unterstrich noch einmal, pünktlich zu sein, als sein Chef ihn ein weiteres Mal ermahnte. Wenig später legte er auf.

      Der morgige Tag würde ganz schön hart werden. Trotzdem machte es ihm nichts aus. Er war ein kräftiger Bursche, der fest mit anpacken konnte. Wenn die Holzfällerei auch ein verflucht harter Job war, so hatte die Schinderei zumindest am Falkeneck einen besonderen Vorteil. Oben am Hang stand der einsame Giefnerhof, und dort wohnte Johanne. Schon seit Monaten bemühte er sich um die hübsche Frau. Bisher ohne Erfolg. Nur sehr selten kam sie nach Hallgau. Einladungen hatte sie stets mit Ausreden abgewiesen.

      Peter Finkenthal galt als nicht besonders intelligent. So merkte er nicht, dass sich seine Kumpane nur über ihn lustig machten, wenn sie ihn abends im Wirtshaus immer wieder aufstachelten, wenn es um Johanne ging

      Beim letzten, zufälligen Treffen mit der jungen Frau hatte sie ihm klipp und klar gesagt, dass sie nichts von ihm wolle. Ihr Herz gehörte einem anderen, doch er hatte nicht in Erfahrung bringen können, wer es war.

      Das Kreuz werd’ ich ihm brechen, hatte er zornig gedacht und sich wie ein geprügelter Hund getrollt. Das aber war schon eine Weile her. Mit der Zeit fühlte er sich wieder stärker. Gleich morgen gab es bestimmt eine Gelegenheit, Johanne zu treffen.

      In zwei Wochen war Jahrmarkttag in Berlingen. Er wollte sie fragen, ob sie ihn vielleicht begleiten wolle. Seine Kumpel würden sich wundern, wenn er Arm in Arm mit ihr im Festzelt der Schützen auftauchte. Er ahnte in diesem Augenblick nicht, dass seine Chancen längst auf Null gesunken waren.

      Und so nahm das Schicksal seinen dramatischen Lauf, mit dem keiner im Traum gerechnet hatte.

      3

      Es war lange her, dass Johanne sich die halbe Nacht in ihrem weichen Bett hin und her gewälzt hatte. Sie war schon früh in ihre Kammer gegangen, nachdem sie Vater und Mutter erzählt hatte, wie es ihr am Gewitter ergangen war. Sie hatte den Vater das erste Mal belogen, und sie fühlte sich alles andere als wohl. Nur der Mutter hatte sie die Wahrheit gesagt.

      Seit sie im Bett lag, von Ruhe und Dunkelheit eingehüllt, schossen immer wieder zahlreiche Gedanken durch ihren Kopf. Sie ließen ihr einfach keine Ruhe mehr.

      Draußen über der »Zinne«, einem mit dichtem Baumgürtel umgebenen Berg, stand der Mond als silberne Sichel. Er verschwand erst nach Mitternacht aus ihrem Blickfeld. Sein milchiges Licht verblasste und tauchte die kleine Kammer in Finsternis, als er sich hinter dunklen Wolken verbarg.

      Johanne versuchte alles, um endlich Schlaf zu finden. Aber es gelang nicht. Selbst in Gedanken an Raphael ließen sie nicht ruhen. Innerlich war sie wie aufgewühlt.

      Was mochte der morgige Tag bringen? Was war, wenn der Vater davon erfuhr?

      Angst, Hoffnung und Sehnsucht wechselten sich ab und wirbelten wie ein Karussell in ihrem Kopf. Sie ahnte nicht, dass nur wenige hundert Meter unterhalb des Berghofs ein junger Mann genauso dachte und träumte wie sie.

      Johanne stand auf und öffnete das Fenster. Kalter Wind wehte ihr entgegen und ließ sie frösteln. Zitternd legte sie ihre Schlafjacke um die Schultern, und schaute nach Norden.

      Von hier oben ließen sich die wenigen Lichter, die noch in Hallgau brannten, nur undeutlich ausmachen. Aus dem Tal kroch allmählich leichter Nebel bis in die Höhe hoch. Von Westen her zogen wieder Wolken auf. Johanne konnte nicht sehen, ob sie vielleicht neuen Regen mit sich brachten. Dafür war es zu dunkel.

      Das Herz wurde ihr schwer, als ihr klar wurde, dass ein neues Unwetter ihr Vorhaben am nächsten Tag zunichte machen würde. Dann ließ der Vater sie garantiert nicht den Gang zum Gasthof unterhalb des Gipfels machen.

      Ein letztes Mal schaute sie sehnsuchtsvoll zum Wald hinüber. Dahinter, für sie nicht sichtbar, lag der Hof der Harlanders. Dort schlief der Mann, den sie insgeheim seit vielen Jahren liebte.

      Seufzend schloss sie das Fenster und betete insgeheim, dass sich das Wetter nicht wieder verschlechtern möge. Vielleicht hing ihr Glück davon ab, kam es ihr in den Sinn.

      In den letzten Wochen hatte es viel zu sehr geregnet. Es schien so, als ob auch der nahe Sommer ins Wasser fallen sollte. Das würde für sie üble Folgen haben, wenn die Bergsteiger und Bergtouristen ausblieben.

      Johanne legte sich wieder ins Bett und gähnte. Ruhe kehrte in ihr ein. Sie wusste plötzlich, dass sie Raphael auf jeden Fall wiedersehen würde. Und das schon morgen. Sie würde sich das von nichts und niemand nehmen lassen.

      4

      Ein eigenartiges Poltern weckte Raphael aus einem leichten Schlaf. Er rieb sich die Augen und stand auf. Als er die Vorhänge öffnete, musste er unwillkürlich lächeln. Draußen schien die Sonne. Stahlblauer Himmel wölbte sich über Berg und Tal. Nur ein paar weiße Wolken segelten gemächlich nach Osten. Im Tal selbst lag noch dichter Nebel, der sich in der Nacht und noch stärker vor Sonnenaufgang ausgebreitet hatte. Es würde ein wunderschöner

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