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Ich denke, aber ich bin mehr. Sharon Dirckx
Читать онлайн.Название Ich denke, aber ich bin mehr
Год выпуска 0
isbn 9783417269987
Автор произведения Sharon Dirckx
Жанр Документальная литература
Серия Institut für Glaube und Wissenschaft
Издательство Bookwire
GLOSSAR
Es ist unvermeidlich, dass ein Buch zu diesem Thema viele Fachausdrücke enthält. Ich habe versucht, die biologische Fachsprache auf ein Minimum zu beschränken, aber die von Philosophen gebrauchten Fachbegriffe, mit denen sie ihre Gedanken zum Ausdruck bringen, können ebenso verwirrend sein. Ich hoffe, die folgende Liste hilft Ihnen, etwas besser die Gedanken, Fragen und Antworten in diesem Buch zu verstehen.
Abwärtskausalität: Der Prozess, durch den der Geist in der Lage ist, »abwärts« auf das Gehirn einzuwirken und im Gehirn Veränderungen zu verursachen.
Bewusstsein: Eine Eigenschaft des Geistes, aufgrund derer unsere subjektiven Gedanken, Gefühle, Erfahrungen und Wünsche existieren.
Determinismus: Der Glaube, dass eine vorausgehende Ursache ein bestimmtes Ergebnis garantiert. Jedes Ereignis hat eine Ursache.
Geist: Träger des unsichtbaren Innenlebens einer Person in Form von Gedanken, Gefühlen, Emotionen und Erinnerungen. Der menschliche Geist ist der Träger des Ichbewusstseins.
Kompatibilismus: Der Standpunkt, dass der Determinismus wahr, aber gleichzeitig auch vereinbar mit dem freien Willen ist. Kompatibilisten glauben, dass Menschen durch vorhergehende Ursachen determiniert sind, aber auch Handlungsfreiheit besitzen, wenn sie nicht eingeschränkt werden oder wenn sie versuchen, ihre Wünsche zu erfüllen. Man bezeichnet dies auch als weichen Determinismus.
HAAD: Hypersensitive Akteurerkennung (»Hypersensitive Agency Detection Device«). Nach Auffassung kognitiver Religionswissenschaftler ist dieser Mechanismus in den menschlichen Geist eingebaut und sorgt dafür, dass Muster, Signale und andere Akteure aus der Umgebung wahrgenommen werden können.
Harter Determinismus: Der Glaube, dass vorausgehende Ursachen ein bestimmtes Ergebnis hundertprozentig garantieren, und zwar so, dass kein anderer Ausgang möglich wäre. In der Neurowissenschaft ist das mit dem Glauben gleichzusetzen, dass das menschliche Gehirn und die Wahlmöglichkeiten, die sich daraus ergeben, auf jeder Ebene von den zugrunde liegenden Ursachen determiniert werden. Dadurch wird die Möglichkeit eines freien Willens ausgeschlossen.
Inkompatibilismus: Die Auffassung, dass freier Wille und Determinismus einander ausschließen. Diese Auffassung kann von harten Deterministen und Anhängern des Libertarismus gleichermaßen vertreten werden, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Der harte Determinist glaubt, dass die starre Struktur des Gehirns die Möglichkeit eines freien Willens ausschließt. Der Anhänger des Libertarismus glaubt, dass der menschliche Wille nicht eingeschränkt ist und das, was im Gehirn vorgeht, deswegen nicht auf jeder Ebene gesteuert werden kann.
Libertarismus: Die Auffassung, dass Akteure (in diesem Fall Menschen) freie Entscheidungen treffen können, die nicht von vorausgehenden Ursachen bestimmt werden. Diese Auffassung betont die Existenz eines freien Willens.
Materialismus: Die Auffassung, dass über die beobachtbare Materie in Zeit und Raum nichts weiter existiert. Im Rahmen dieses Buchs wird der Begriff gleichbedeutend mit Physikalismus gebraucht.
Neurochirurg: Ein Arzt, der dafür ausgebildet wurde, Funktionsstörungen in Gehirn und Nervensystem zu diagnostizieren und Patienten mit solchen Beschwerden zu operieren.
Neurologe: Ein Arzt, der dafür ausgebildet wurde, Funktionsstörungen im Gehirn und Nervensystem zu diagnostizieren und zu behandeln.
Neurowissenschaftler: Ein Wissenschaftler, der sich mit dem Gehirn und seinen Funktionen beschäftigt.
Nicht-reduktiver Physikalismus (Neurowissenschaften): Die Auffassung, dass der menschliche Geist durch das Gehirn hervorgebracht wird. Wenn eine ausreichende Anzahl von Komponenten zusammenkommt und eine gewisse Stufe der Komplexität erreicht, entsteht durch Emergenz etwas Neues, nämlich Geist. Der Geist basiert auf Materie, kann jedoch nicht ausschließlich auf physische Prozesse reduziert werden.
Physikalismus: Die Auffassung, dass es über die beobachtbare materielle Welt hinaus nichts anderes gibt. Im Rahmen dieses Buchs wird der Begriff gleichbedeutend mit Materialismus gebraucht.
Psychiater: Ein Arzt, der dafür ausgebildet wurde, Geisteskrankheiten zu diagnostizieren und zu behandeln. Ein Psychiater darf im Rahmen der Behandlung Medikamente verschreiben.
Psychologe: Ein Nichtmediziner, der dafür ausgebildet wurde, Patienten mit Geisteskrankheiten zu behandeln. Ein Psychologe darf keine Medikamente verschreiben und behandelt Patienten in der Regel durch Psychotherapie.
Reduktiver Physikalismus (Neurowissenschaften): Die Auffassung, dass man den menschlichen Geist auf physiologische Prozesse im Gehirn zurückführen kann. Dieser Auffassung zufolge gibt es so etwas wie Geist gar nicht. Der Geist ist das Gehirn.
Substanzdualismus (Neurowissenschaften): Die Auffassung, dass das materielle Gehirn und der immaterielle Geist wesensmäßig verschieden sind, also unterschiedliche »Substanzen«. Der Geist kann ohne Materie existieren, doch bei Menschen interagieren die beiden. Der Geist geht wesensmäßig über das Gehirn hinaus.
1
BIN ICH WIRKLICH NUR MEIN GEHIRN?
Ich werde niemals den Tag vergessen, an dem ich zusah, wie ein menschliches Gehirn aus einem Leichnam entfernt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war mir das Gehirn bereits vertraut, weil ich mich schon jahrelang damit befasst und auch mit bildgebenden Verfahren gearbeitet hatte. Trotzdem war dies eine völlig neue Erfahrung.
Eine Gruppe von uns stand in grünen Kitteln und blauen Plastikschuhen im Sezierraum einer medizinischen Fakultät. Die eisige, dienstliche Atmosphäre passte zur kalten Umgebungsluft. Der stechende Geruch des Formaldehyds, mit dem Leichen konserviert werden, stieg uns in die Nase. Auf dem Tisch vor uns lag der Leichnam einer älteren Frau.
Ich sah hier nicht zum ersten Mal eine Leiche, aber dieses Mal war etwas anders. Die Frau hatte ihren Körper der medizinischen Forschung zur Verfügung gestellt. Wir waren hier, um uns die Anatomie des menschlichen Gehirns anzuschauen, und der erste Schritt bestand darin, es aus dem Körper zu entfernen. Unser Anatomieprofessor, der den Kurs leitete, begann. Dabei floss zwar kein Blut, weil die Person schon vor einiger Zeit verstorben war. Doch es musste viel gesägt und auch rohe Gewalt eingesetzt werden, um den Schädel aufzuschneiden und das Gehirn freizulegen. Trotz der ungelenken Technik war es eine zutiefst läuternde und Ehrfurcht einflößende Erfahrung, und wir empfanden unaussprechlichen Respekt vor der namenlosen Frau, die ihren Körper der Wissenschaft vermacht hatte, damit andere etwas lernen konnten.
Einige Minuten später lag das Gehirn vor uns, eine Masse aus Wasser und Fettgewebe mit einem Gewicht von nur 1,5 Kilogramm. Ich schaltete in den Studenten-Modus um und dachte weniger an den Menschen und mehr an die Anatomie des Gehirns. Ja, man konnte nicht leugnen, dass da auf dem Tisch vor uns der Mittler der Gedanken, Gefühle, Sehnsüchte und Erlebnisse dieser namenlosen Frau lag.
* * *
Das Gehirn fühlt sich von der Konsistenz her etwa wie ein Pilz an. Glücklicherweise sitzen bei uns aber keine Pilze zwischen den Ohren. Ganz im Gegenteil. Dieses unglaubliche Organ macht nur 2 Prozent des Körpergewichts aus, verbraucht aber 20 Prozent der zugeführten Energie, obwohl es zu fast 75 Prozent aus Wasser besteht. Im menschlichen Gehirn finden sich etwa 86 Milliarden Gehirnzellen, sogenannte Neuronen. Jedes dieser Neuronen kann bis zu 1000 Impulse pro Sekunde an Zehntausende anderer Zellen senden, und das mit einer Geschwindigkeit von bis zu 430 Kilometern pro Stunde.2 Während Sie diese Worte lesen, erzeugt Ihr Gehirn genug Strom, um eine LED-Leuchte zu betreiben, und in jeder Minute fließt so viel Blut durch Ihren Kopf, dass Sie damit eine Weinflasche füllen können. Im Menschen ist das Gehirn höher entwickelt als in jedem anderen Geschöpf, obwohl der Preis für das größte Gehirn mit 7,5 Kilogramm an den Pottwal geht.
Jeder Gedanke, jede Erinnerung, jedes Gefühl und