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ein bärbeißiger Colonel der Panzertruppen, hatte im Konferenzraum seinen Ressortchefs einige Beispiele der letzten Zeit berichtet, die von den Offizieren mehr belustigt als erschüttert aufgenommen worden waren. Im übrigen verfügte der Oberst über viele Kriegsauszeichnungen und wenig Verwaltungserfahrungen. Er trug kurze graue Haare zu einem jungen Gesicht, und er war guter Laune, da ihm die beantragte Versetzung von der US-Army bereits zugesichert war.

      Captain Lessing saß am Fenster auf der Heizverkleidung und verfolgte mit übereinandergeschlagenen Beinen und verschränkten Armen die tägliche Konferenz.

      Er war vielleicht einer der klügsten, sicher aber einer der unbeliebtesten Offiziere im Haus. Er kümmerte sich so wenig darum wie um den Whiskydunst, der von ihm ausging. Seit einigen Monaten hatte er sich angewöhnt, schon am frühen Morgen mit dem Trinken zu beginnen. Felix verbarg es nicht, sondern betonte es noch, denn sein Gesuch um Versetzung war noch nicht genehmigt worden, da der Gouverneur selbst auf einen trinkenden Captain Lessing nicht verzichten wollte, zumal der Alkohol ihn nicht verdummte, sondern seinen Verstand schärfte.

      Dann verfiel Felix in der Officers Mess in den peitschenden, süffisanten Ton, der seine Kameraden verärgerte. Aber lieber mochten sie ihn noch berauscht als nüchtern; in diesem Zustand fürchteten sie seine Art, wenig zu sagen und viel zu wissen, sein spöttisches Zucken um die Mundwinkel, seine knappen Gesten; dann wurden sie unsicher.

      »Also, haben wir uns verstanden, Gentlemen?« rief der Gouverneur und beendigte die Besprechung.

      Seine Männer nickten ihm zwanglos zu. Ein langer Major sagte zu Felix: »Let’s take a drink!«

      »That’s a good idea«, erwiderte Felix. Er ging mit einigen Offizieren zurück in sein Office.

      Es lag im zweiten Stock und gehörte zur Informationsabteilung, die die Pressefreiheit in Wort und Schrift kontrollierte. Von einer Militärdiktatur auf dem Verwaltungsweg angeordnet, konnte sie zunächst nicht viel mehr sein als ein gutwilliger, aber gebrechlicher Versuch, den die Papierzuteilung der Besatzung künstlich nährte. Es gab keine Vorzensur mehr – diese seit der braunen Diktatur anrüchige Maßnahme hielt die Militärregierung für überflüssig, denn wenn die deutschen Redakteure ihren Weisungen nicht nachkamen, drohte ihnen die Entlassung.

      Susanne, die Dolmetscherin im Vorzimmer des Captains, hörte ihn kommen und erriet aus den Schritten, daß er wieder Besuch mitbrachte. Sie kannte und fürchtete diese Nachsitzungen. Sie sah Felix bekümmert entgegen, der ihr zunickte; drei, vier Offiziere, die ihm folgten, riefen:

      »Hallo, Susan!« und betraten lärmend sein Büro.

      Er hat wieder einen schlimmen Tag, dachte die Zwanzigjährige. Sie wußte, für Felix war der Alkohol eine Droge gegen die Krankheit Leben. War Felix betrunken, gab er sich brutal, um sich danach um so zärtlicher zu entschuldigen. So wie Susanne ihn haßte, wenn er trank, liebte sie ihn, wenn er nüchtern war.

      Sie litt an ihren Gefühlen für ihn. Sie nahm sich vor, ihn zu verlassen, wußte aber, daß sie es nicht konnte, denn sie spürte, wie sehr er sie brauchte, weil er sie liebte und dagegen ankämpfte. Es war, als wolle er die Haß-Liebe zu dem Land, in dem er geboren war, auf Susanne übertragen.

      »Die Konferenz ist beendet!« rief der Portier Martin zu. »Gehen Sie zur Anmeldung im zweiten Stock. Wenn die Sie vorlassen …«

      Martin stand auf und hastete über den Gang. Das Unbehagen, das sich verbreitete, je mehr er sich der zweiten Etage näherte, war ihm nicht anzusehen. Ob Felix weiß, wer in der Kristallnacht seinen Vater ermordet hat? überlegte er.

      Ob er es mir nachträgt? Unsinn! Sippenhaftung.

      Das Haus roch nach Maisbrei, Chlor und Lippenstift. Martin kam an Mädchen mit prallen Busen und leeren Gesichtern vorbei; passierte langbeinige, langhaarige Geschöpfe mit üppigen Lippen und wissenden Augen, traf auf Gängen, unter den Türen, in den Vorzimmern naive, kokette, hochmütige, sachliche, reizvolle Mädchen, die appetitlich und gepflegt wirkten, ein lustiges Englisch sprachen und ihren amerikanischen Dienstherren die saloppe Ungezwungenheit abgesehen hatten.

      Nicht wenige spielten Amerikanerin und wollten es durch Heirat werden.

      Sicher geben sich einige als Pompadours und nutzen ihr befristetes Regime, dachte Martin, aber alle haben Brüder, Väter, Freunde, die etwas brauchen, und wenn sie schon in den Vorzimmern der Macht sitzen, warum sollten sie sie nicht nutzen? Hier kommen wohl auf 200 Amerikaner 2 000 Deutsche, vorwiegend weiblichen Geschlechts, und so schaffen diese Mädchen der Militärregierung, Dolmetscherinnen, Telefonistinnen und Sekretärinnen, zwischen den Siegern, die zuviel, und den Besiegten, die zuwenig haben, einen natürlichen Ausgleich und kurbeln damit die Volkswirtschaft an …

      Er hatte den zweiten Stock erreicht und sah sich nach dem Anmeldeschalter um.

      »Was möchten Sie?« fragte eine klare Stimme.

      Er betrachtete die Zwanzigjährige mit der klugen Stirn, dem knappen Mund und den hellen Augen.

      »Zu Captain Lessing«, antwortete er.

      »Oh«, sagte Susanne, »wenn Sie Geduld haben. Ich will es versuchen. Warten Sie bitte.« Auch sie deutete auf eine der Bänke.

      Sie standen überall längs der Gänge, und auf ihnen saßen die Wartenden wie Hühner auf der Stange während eines Unwetters.

      »Grüß Gott«, sagte ein kleiner bescheidener Mann, der aussah, als warte er schon drei Tage. Er trug einen dicken Anzug mit Knickerbokker.

      Martin setzte sich neben ihn. Er hoffte, daß er durch die Tür gehen und Felix einfach auf die Schulter klopfen könnte. Aber er hatte auch nichts gegen eine Verzögerung.

      Er hörte Stimmengewirr von drinnen, er sah deutsche Angestellte hin und her hasten, sah Besucher kommen und gehen. Manche wirkten, wenn sie mit den amerikanischen Offizieren sprachen, als bückten sie sich beständig, um mit dem Kopf nicht gegen eine unsichtbare Decke zu stoßen.

      »Flachbauer, mein Name«, sagte der Mann in den Knickerbockern, »wollen Sie auch eine Lizenz?«

      »Für was?«

      »Na, heutzutage braucht man doch für alles eine Lizenz, und die Amerikaner sind Bürokraten, kann ich Ihnen sagen, schlimmer als unsere.«

      »So long, Felix«, rief ein Bariton von drinnen.

      Flachbauer brach das Gespräch ab und sah gespannt zur Tür, aus der vier Offiziere kamen. Der Mann auf der Bank stand auf und grüßte einen von ihnen; doch die Amerikaner gingen an ihm vorbei, als hätten sie ihn nicht gesehen.

      Felix Lessing saß in seinem Büro mit angezogenen Beinen. Auf seinem Schreibtisch stand die Whiskyflasche. Susanne sah, daß sich seine Pupillen verfärbten, violett wurden wie Eis im Föhn, und sie wußte, daß sein Gesicht in Stunden wieder aussehen würde wie ein vertrocknetes Flußbett.

      »Kann Flachbauer jetzt kommen?« fragte sie.

      »Kann warten«, erwiderte der Captain und lehnte sich zurück.

      Die Tür zum Vorzimmer stand offen. Felix sah Susanne, verfolgte ihre sicheren, geschickten Bewegungen. Er kannte ihr kurzes Leben auch aus den Akten. Der Fragebogen war in dieser Zeit Beichte wie Visitenkarte. Er wußte, daß Susanne aus einer katholischen Familie kam, daß ihr Bruder gefallen und ihr Vater politisch farblos und unbelastet war: kein Nationalsozialist und kein Antifaschist, ein braver Bürger.

      Sie hatte nie mit ihm über ihre Familie gesprochen, nie etwas von ihm gewollt, und selbst wenn sie ihm zürnte, versuchte sie es zu verbergen. Er begriff, daß sie ihn richtig nahm, daß er ihre Passion war, während er Susanne doch nur als Episode ansehen wollte.

      Felix trank. Er sah Susannes schweigenden Vorwurf und hielt ihr die Flasche vor wie ein rotes Tuch.

      »Willst du etwas?«

      »Nein.«

      »So du etwas wolltest«, sagte er mit harter Stimme, »wäre es besser, du würdest es sagen.«

      Sie überging seine Worte. Ihre

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