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„Wer Gott in etwas anderem sucht als in sich selbst, lenkt seinen Weg weit an seinem Ziel vorbei.“9

      Und hier ein Beispiel, wie Adda Bentounès von der „universellen Religion“ und seiner Liebe zu Jesus redete, dessen Rückkehr die Muslime einem Hadith zufolge erwarten (und der dann jeden zum Islam rufen wird):

       „Jemanden anerkennen, bedeutet ihm zu folgen. Und dem Propheten zu folgen bedeutet, Teil einer Gruppe zu sein, die Jesus bei seiner Rückkehr erwartet. Ihr könnt euch nicht auf die Ebene des Christus-Prinzips erheben, wenn ihr vorher nicht alle Etappen der göttlichen Offenbarung durchlaufen habt. Entschuldigt, dass ich hier eine feurige Rede halte, aber ich war dreißig Jahre lang im Geiste sowohl Muslim in einer Moschee als auch Christ in einer Kapelle […] und heute bin ich, Gott sei Dank, flügge geworden und habe Zugang zur universellen Religion gefunden. Denn der heilige Koran und der Prophet Mohammed verlangen von mir Toleranz, die Liebe zu Jesus, die Liebe zu Moses, die Liebe zu allen erwählten Propheten, die von Gott gesandt wurden. Das hat mich die Universalität ihrer Sendung wiederentdecken lassen.“10

      Der interreligiöse Dialog und das Zusammenleben mit den Sufis haben zu einer spirituellen und nicht-wörtlichen Auslegung des Koran geführt und so in der Regel gute Früchte getragen.

      Leider schafft es auch diese islamische Minderheitengruppe nicht, sich Gehör zu verschaffen und sich gegen die laute Stimme ihrer muslimischen Gegenspieler durchzusetzen, die die wörtliche Auslegung des Koran und der „ursprünglichen“ Lehren des Propheten Mohammed und der ersten Kalifen wieder aufwerten.

      3. Der populäre und kulturelle Islam

      Der populäre und kulturelle Islam stützt sich zur Übermittlung der Botschaft des Propheten Mohammed auf die lokalen Sitten und Gebräuche der islamisierten Völker. Er besteht aus einer Symbiose von Lehren, die auf den normativen Texten des Koran, der Hadithe, der Sîra ebenso wie auf lokalen Sitten und Gebräuchen beruhen, und hat unzählige Erscheinungsformen, von äußerst „heidnischen“ bis zu ganz „reinen“. Auch der Sufismus konnte sich diesem Prozess nicht entziehen.

       „Dieses Wiederaufleben des Sufismus bis in die volkstümlichen Bereiche geht nicht ohne Kontaminierung durch lokale Bräuche vonstatten, die ihm eigentlich fremd sind, wie orgiastische Tänze, Fakirszenen, Zaubertricks, manchmal sogar bis hin zur Scharlatanerie.“

       Jean Chevalier11

      Immer noch werden Marabouts, islamische Heilige, an bestimmten heiligen Orten (Z aouia oder Zawiya), zu Lebzeiten oder nach ihrem Tod von Gläubigen aufgesucht und verehrt.

       „Als Gegenleistung muss der Heilige den Bedürftigsten seine Gnade gewähren, die Rat suchende Frau segnen und das kranke Kind beschützen. Am Rande der Zaouia werden ‚animistische‘ Praktiken beobachtet (ohne dass sich die Heiligen dagegen ausgesprochen hätten): Baumkult, Opfergaben für die Schutzgötter, Verehrung von Steinen, Opfer von Duftstoffen, Lebensmitteln oder Nahrung. In diesem Zusammenhang ist die Rolle der lokalen Ulemas von größter Bedeutung, sie sind die natürlichen Vermittler zwischen dem universellen Islam und der Masse der Gläubigen. Sie sind auch seine besten Garanten, wobei sie sich wundertätigen Praktiken hingeben können, die manchmal Betrügereien gleichen, sowie dem Erproben von Askesetechniken.“

       Malek Chebel12

      Während einige dieser Bräuche ganz klar antiislamisch sind, sind andere in den „offiziellen“ Islam integriert worden. In vielen afrikanischen und asiatischen Ländern, die von einem populären und kulturellen Islam geprägt sind, war das Zusammenleben mit Christen, Hindus und Animisten von einer relativen Harmonie gekennzeichnet. Doch durch die weltweite Ausdehnung des radikalen Islam* und der Aussendung von Missionaren, die eine „Rückkehr zu den Wurzeln“ verteidigen, sind diese guten Beziehungen stark beeinträchtigt worden.

      4. Der offizielle und staatliche Islam

      Es gibt keine klare Trennung zwischen dem offiziellen und staatlichen Islam (d), dem populären und kulturellen Islam (e) und den beiden Formen des radikalen Islam (f und g). Doch kann eine Differenzierung aufgrund der verschiedenen Grade der Übereinstimmung zwischen den staatlichen Verfassungen und der Scharia gerechtfertigt erscheinen.

      Der offizielle und staatliche Islam ist der von Institutionen wie der Al-Azhar-Universität in Kairo propagierte. Diese Universität wurde ursprünglich (Ende des 10. Jh.) von fatimidischen Schiiten gegründet und hat sich im Laufe der Jahrhunderte zur Hochburg der Ausbildung von sunnitischen Muslimen entwickelt. Die Al-Azhar-Universität ist geprägt durch die theologische Strömung der Aschʿarīya* und offen für verschiedene Formen des Sufismus. Sie hat Position bezogen gegen den Salafismus* und für eine gewisse Anerkennung der Schia*.

      In den mehrheitlich muslimischen Ländern sind überall Ausbildungsstätten für Imame entstanden, die den dortigen Anforderungen entsprechen. So wurde in Marokko ein neues Ausbildungszentrum eröffnet: das „Institut Mohammed VI de formation des imams prédicateurs et des prédicatrices“ (Institut Mohammed VI. zur Ausbildung von Imamen, Predigern und Predigerinnen), dessen Ziele u. a. der Kampf gegen den Wahhabismus* der Imame ist, die in Saudi-Arabien ausgebildet werden. Dieses Institut versucht also einen Islam der „goldenen Mitte“ und der „Mäßigung“ zu fördern.

      Der türkische Staat sorgt für die Ausbildung und Finanzierung von Tausenden von Imamen sowie für deren Entsendung in die türkischen Gemeinschaften überall auf der Welt.

      Die freie Meinungsäußerung dieser Imame ist in der Regel stark eingeschränkt. Als Sprachrohr der offiziellen und traditionellen Grundsätze des Staates, der sie ausgebildet hat, neigen sie dazu, das Gelernte einfach zu wiederholen und zeigen praktisch kein Interesse an einem „liberalen“ Islam, der mit den im Westen entwickelten grundlegenden Menschenrechten voll und ganz vereinbar wäre. Die meisten Länder der arabischen Welt (mit Ausnahme des Libanon) und einige andere darüber hinaus (Iran, Afghanistan, Pakistan, Indonesien etc.) nehmen in ihrer Verfassung auf den Islam Bezug. Während verschiedene Länder, wie die im Maghreb, den Islam lediglich als ihre Staatsreligion anführen, berufen sich andere im Mittleren Osten ausdrücklich auf die Scharia* als Quelle oder eine der Quellen ihrer Rechtsprechung.

      Innerhalb der islamischen Bevölkerung bedeutet das die Entstehung eines Klimas der Gewalt, insbesondere für die Muslime, die eine Wiedereinführung – durch den Staat, Parteien oder radikale Gruppen – von Scharia-konformen Strafen (wie Steinigungen, Auspeitschungen und Amputationen) hinnehmen müssen.

      In den Ländern, in denen „Staatsbürgerschaft“ mit „muslimischer Religion“ gleichgesetzt wird, erzeugt das natürlich auch echte Gewalt gegen Nicht-Muslime. Tatsächlich werden dort Nicht-Muslime als Menschen zweiter Klasse behandelt. Und der Zugang zu Regierungsposten ist ihnen in der Regel verwehrt.

      Die Verbreitung des „offiziellen“ Islam findet jedoch nicht nur innerhalb der Staaten statt. Sie wird weltweit von staatenübergreifenden Organisationen vorangetrieben, wie beispielsweise der Organisation für islamische Zusammenarbeit (OCI). Hier eine Darstellung, wie sich die OCI selbst präsentiert:

       „Die Organisation für islamische Zusammenarbeit (OCI) (früher: Organisation der islamischen Konferenz) ist die zweitgrößte zwischenstaatliche internationale Organisation nach den Vereinten Nationen (UNO) mit derzeit 57 Mitgliedsstaaten, die über vier Kontinente verteilt sind. Die Organisation ist das Sprachrohr der islamischen Welt. Sie garantiert die Wahrung und den Schutz ihrer Interessen im Geiste der Förderung des internationalen Friedens und der Harmonie zwischen den verschiedenen Völkern der Erde. Die Gründung der Organisation wurde am 25. September 1969 bei dem historischen Treffen in Rabat (Marokko) im Anschluss an den kriminellen Brandanschlag auf die al-Aqsa-Moschee im besetzten Jerusalem beschlossen.“13

      Die OCI-Staaten repräsentieren zusammen mehr als 1,3 Milliarden Einwohner. Ziel der OCI ist es, ihren Sitz in Jerusalem zu etablieren und zur Errichtung eines neuen Kalifats beizutragen. Da es interne Spannungen

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