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die bricht wie ein Bleistift in den Händen eines Cholerikers. Lederjacke knallt wie ein Bügelbrett auf den Boden und bleibt dort reglos liegen.

      »Sauber«, sagt Viktor, klatscht Beifall und kommt aus seinem Versteck. Er prüft den Puls des Anzugträgers. »Alles klar, der hier lebt noch, und Pistolenmann wird bei jedem seiner Schritte an dich denken – aber auch er wird es überleben.«

      Ich lächle Viktor an. Den einzigen Zeugen meines Verrates an der Familie, die aus mir eine Mörderin machen wollte. Noch wissen sie nicht, dass meine Zielpersonen leben, denn hier, in der Küche, befinden sich keine Videokameras, dafür hatte Viktor gesorgt.

      Plötzlich dringt ein ohrenbetäubender Knall von der Haustür aus zu uns. Einige Sekunden später stehen fünf vermummte Männer vor uns, gekleidet wie eine SEK-Einheit. Die Waffen auf uns gerichtet, umzingeln sie uns.

      »Hände hoch und mitkommen!«, schreit der Anführer und treibt uns aus der Küche in die Halle.

      Ich hebe meine Hände, folge der Aufforderung und überlege, was wohl die Assassinen im Schuppen machen werden. Kaum stehen wir in der Halle, fallen zwei Schüsse. Ich sehe Viktor vornüberkippen, fühle die klebrige rote Flüssigkeit, die sich auf meiner Bluse verteilt, und lasse mich fallen.

      Auf dem Boden liegend, beobachtet von den vermummten Männern, die ihre Gewehrläufe noch immer auf uns richten, höre ich das Martinshorn, das immer lauter wird, je näher es der Villa kommt. Dann herrscht kurz Stille, es folgen schnelle Schritte, hektisch werden Viktor und ich auf Tragen gehievt, zugedeckt, angeschnallt und begleitet von den Befehlen der vermummten Männer aus der Villa getragen, vorbei am Schuppen – in dem sich nichts regt –, und in den Fond eines Krankenwagens geschoben.

      Die vermummten Männer quetschen sich zwischen die Tragen und geben dem Fahrer das Zeichen, Gas zu geben. Das Tempo muss halsbrecherisch sein, so sehr werden wir hin und her gerüttelt.

      Dann fängt Viktor an zu lachen, lauthals zu lachen. Ich stimme ein, löse mit meinen – vom Theaterblut klebrigen – Händen den Gurt der Trage und richte mich auf.

      »Bellona, dein Plan war perfekt«, sagt Viktor, noch immer mit einem breiten Grinsen im Gesicht. »Bis die darauf kommen, was wirklich gelaufen ist, sind wir über alle Berge.«

      Ich sehe mir die vermummten Männer genauer an. Ich war doch noch ein Kind, als ich ihn das letzte Mal sah, sodass ich nicht weiß, unter welcher der Masken er sich verbirgt. Dann zieht der Mann, der mir am nächsten ist, seine Maske vom Kopf. Ich falle ihm in die Arme. Meinem Bruder.

       Julia Bernard

       Ammenmärchen

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       Auf dem Seitenstreifen der A 8, kurz vor der Drachenlochbrücke

      Dass jeder eines Tages für seine Übeltaten zur Rechenschaft gezogen werde, war ein Ammenmärchen. Das war das Erste, was er seinen Mandanten erklärte. Noch bevor er ihnen von dem dehnbaren Gummiband erzählte, das zwischen Recht und Unrecht gespannt war und das er für sie zur Seite biegen konnte, sobald sie seine Honorarvereinbarung unterschrieben hatten. Und er war jeden Cent wert. Nicht umsonst nannten seine Anwaltskollegen ihn Magic Ted.

      Teds linke Hand, mit der er seine Aktentasche umklammerte, öffnete sich etwas. Auch er würde nicht in den Knast wandern, natürlich nicht. Gesetze, Gefängnis, das war etwas für Minderbemittelte. Er hatte alles unter Kontrolle. Die letzten Unterlagen, die ihn in Verbindung mit dem unerklärlichen Verschwinden von zwei Millionen Euro aus dem Aktienfond der Kanzlei und dem Unfalltod des Seniorpartners beim Bergwandern brachten, waren sicher in seiner Tasche verwahrt, da er von einem seiner Kontakte bei der Polizei rechtzeitig von der heutigen Kanzleidurchsuchung erfahren hatte. Sobald er zu Hause war, würde er die Papiere im Kamin verbrennen, und dann aus die Maus für den fetten Staatsanwalt, der bei der Befragung gekeucht hatte wie ein Mops beim Treppensteigen. Eine Kleinigkeit wie diese Autopanne mit seiner jungen Chefin Susanne brachte einen Magic Ted nicht aus der Ruhe. Der Abschleppwagen, auf den sie seit zwanzig Minuten warteten, musste gleich hier sein. Alles würde gut werden, morgen um diese Zeit saß er bereits im Flieger in die Südseeoase ohne Auslieferungsabkommen mit Deutschland. Er hätte fast gelächelt, aber im letzten Moment fiel ihm ein, dass ihn der Unfalltod seines Chefs und Mentors Moritz offiziell sehr mitgenommen hatte und es daher unklug war zu lächeln. Ganz besonders bei Susanne im Auto, die seit drei Wochen Schwarz trug und die tägliche Trauer-Schweigeminute ins Leben gerufen hatte. Moritz’ Chefstelle hatte sie allerdings, ohne mit der Wimper zu zucken, übernommen, aber das änderte natürlich nichts an ihrem Betroffenheits-Getue. Den trauernden Tonfall hatte sie nicht mal abgestellt, als sie vorhin mit dem Pannendienst gesprochen hatte.

      »Mein Auto hat mich noch nie im Stich gelassen«, sagte sie in diesem Moment mit ihrer leidenden Kleinmädchenstimme. »Das ist mir so unangenehm.«

      »Kein Problem«, knurrte er. Seine Nachlässigkeit, dass er nicht darauf bestanden hatte, mit seinem Maserati zu diesem auswärtigen Termin zu fahren, wenn sie schon wegen des Briefings zusammen fahren mussten. Dass Susannes Oldtimerklapperkiste schlappmachen würde, wenn sie ein bisschen Dezemberregen abbekam, hätte er sich denken können.

      »Ausgerechnet an Ihrem vorletzten Arbeitstag. Sie werden unsere Kanzlei nachher noch schlecht in Erinnerung behalten«, säuselte Susanne.

      »Ich hatte eine großartige Zeit bei Liebermann & Snyder«, erwiderte er. Das war nicht mal gelogen, wenn man die Jahre mit dem cholerischen, alterssenilen Moritz als Chef und Susanne als seiner rechten Hand einmal beiseiteließ.

      Susanne legte ihm für eine Sekunde die Fingerspitzen mit den langen roten Fingernägeln auf den Unterarm, wie sie es auch immer bei Moritz gemacht hatte. Nur hatte sie ihre Hände bei Moritz noch auf ganz andere Stellen gelegt. »Wir werden Sie vermissen, Magic Ted. Sie gewinnen doch immer!«

      Ihre Berührung machte ihn unruhig, aber natürlich fühlte er sich geschmeichelt und konnte es sich nicht verkneifen, ein paar Anekdoten von seinen letzten vernichtenden Siegen über diverse Staatsanwälte loszuwerden. Den Satz »Meine Mandanten gehen niemals ins Gefängnis« äußerte er gleich mehrfach, so was konnte man in seiner momentanen Situation gar nicht oft genug wiederholen. Nebenbei erwähnte er, wie er seine Ex-Frau in spe Eva bei ihrem laufenden Scheidungsverfahren fertiggemacht hatte, ein juristischer Geniestreich, brillant und hart an der Grenze zur Illegalität. Ein bisschen Abschreckung schadete nicht, keine Ahnung, auf was für Ideen Susanne sonst kam, wenn sie hier noch lange mit ihm im Auto saß. Es war zu befürchten, dass er in ihr Beuteschema passte. Und sie sah nicht mal übel aus. Sie hatte einen großen, sexy Mund mit vollen Lippen. Für ein kurzes Abenteuer, bei dem sie nicht mit leidender Kleinmädchenstimme sprechen konnte, weil sie oral beschäftig wäre, würde sie vielleicht schon taugen, aber eine solche Schwäche konnte er sich im Moment nicht erlauben. Nicht auszudenken, wenn der fette Staatsanwalt anrief, und er, Ted, Unvorsichtigkeiten ins Telefon stöhnte, wo äußerste Vorsicht angezeigt wäre. Oder, noch schlimmer, wenn er während des Orgasmus in wilder Ekstase versehentlich seine Aktentasche aufriss und die Papiere herausfielen.

      »Ich spüre, Sie leben für den Anwaltsberuf.« Susanne tätschelte erneut seinen Arm. »Warum hören Sie auf?«

      Ted zog seinen Arm weg. Draußen prasselte der Regen auf die Scheiben. »Moritz’ tragischer Unfall hat mir mehr als deutlich vor Augen geführt, dass wir nicht ewig leben«, sagte er salbungsvoll. »Wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir es jetzt tun, nicht irgendwann! Ich möchte ein einfaches Leben leben und die kleinen Dinge genießen.« Was sich mit insgesamt fast dreieinhalb Millionen auf einer Südseeinsel sicherlich gut bewerkstelligen ließ. Er lächelte nun doch, versuchte aber, dem Lächeln einen nachdenklich-melancholischen Touch zu geben. Schwierig, denn es war so ein Genuss, sich vorzustellen, was seine zukünftige Ex-Frau Eva für ein Gesicht machen würde, wenn sie erfuhr, dass er sie nicht nur bei Gericht abgezockt hatte, sondern auch noch mit dem gesamten

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