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dem Wasser ist das ein bisschen anders. Wir können nicht ständig aufs Handy schauen, denn es ist wasserdicht verpackt. Das Herausholen nervt und birgt immer das Risiko, es an die gierige Biskaya zu verlieren. Wir haben da draußen auch keine Möglichkeit zum Austausch mit anderen Pilgern, denn wir sind die einzigen Peregrinos de la mar, Meerespilger. An Land haben wir noch keine Mitpilgernden getroffen, da wir uns in der Nähe der Marinas aufhalten und diese bisher nicht auf dem ansonsten klar kartografierten Camino del Norte, dem nordspanischen Küstenweg, eingetragen sind.

      Nachdem uns die ersten beiden Tage völlig überfordert hatten, verwöhnt uns das Wetter jetzt sogar mit Rückenwind. Wir waren heute sechs Stunden auf dem Wasser und haben fast 30 Kilometer geschafft. Zwischendurch haben wir Mondfische gesehen, riesige Fische, die vor uns in die Luft sprangen, sind an Felswänden vorbeigepaddelt, die Hunderte von Metern ins Meer stürzen, haben uns Zeit genommen, fast zwei Kilometer von der Küste entfernt zu baden und uns gegenseitig unter Wasser zu filmen. Der Tag auf dem Wasser fühlte sich fast wie ein richtiger Urlaubstag an. Lebensglück zu teilen, ist für mich im Moment wertvoller als alle Erkenntnisse, die ich auf meinen Soloabenteuern gewonnen habe.

      Als wir schließlich in Mundaka einlaufen, spüre ich die sechs Stunden auf dem Wasser in jeder Faser meines Körpers. Wenn das ein Wochenendausflug wäre, müsste ich mich jetzt erst einmal drei Tage lang erholen. Aber dies hier ist eine Pilgerreise. Daher muss die Erholung beim Pilgern stattfinden. Direkt vor dem Hafen von Mundaka bricht die perfekte Welle. Sie baut sich vor einer kleinen Sandbank auf und läuft dann etwa 500 Meter in einen Meeresarm hinein. Selbst wenn unsere Tourenbretter für Wellen geeignet wären, könnten wir keinen einzigen Paddelschlag mehr machen. Es bleibt uns nur, den Surfern beim Wellenreiten zuzuschauen, was ich allerdings stundenlang machen könnte. (BILD 20)

      In Mundaka gibt es sogar ein Hostel, allerdings ist der Wirt ein solcher Griesgram und das Zwanzigbettzimmer vollkommen unattraktiv, dass wir enttäuscht ablehnen. Ich fühle mich übermüdet, habe keine Lust, einen Zeltplatz zu suchen, Zelt, Isomatte und Schlafsack herzurichten und frage den Hostelwirt in meinem erbärmlichen Spanisch, warum er denn so unfreundlich sei. Er blafft sofort zurück, dass er eben kein besseres Zimmer hätte und das nichts mit Unfreundlichkeit zu tun hätte. Ich bin ziemlich genervt und frage ihn, warum er kein Englisch könne, wo er doch in einem internationalen Hostel arbeite. Das bringt das Fass zum Überlaufen, und er schreit mich an, dass wir uns hier in Spanien befänden – den Rest kann ich nicht verstehen. Turtle geht dazwischen, sagt »tranquillo« und der Herbergsvater wird tatsächlich still. Ich ärgere mich über mich selbst: Warum kann ich nicht mal den Mund halten? Und mit meinen Sprachkenntnissen eine solche Diskussion auf Spanisch zu beginnen, ist sowieso bescheuert.

      Direkt neben einer uralten Kirche auf einer Klippe mit Meeresblick schlagen wir fünf Minuten später unsere Zelte auf und sind uns einig, dass es keinen besseren Platz für Pilgerreisende wie uns geben könnte. (BILD 21) Zum Glück sind wir nicht in der Herberge gelandet. Ich muss an die Freundin und ihre Ratschläge denken: Nimm alles an, was dir auf diesem Weg begegnet. Zum Glück ist der Weg noch lang und ich habe genügend Zeit, ihre Ratschläge zu verinnerlichen.

      Auf meiner Donaureise vor drei Jahren, die ich auch als Pilgerreise empfinde, war lange Zeit Einsamkeit der Weg, auf dem mich diese Tour zu mir selbst geführt hatte. Ich war nicht abgelenkt von Gedanken, Sorgen oder Nöten eines Mitpilgers. Ich konnte mich einzig auf mich konzentrieren und beobachten, wo mich diese Reise hinführen wollte. Nach der Hälfte der Strecke traf ich jedoch einen jungen Belgier, der mich über weite Abschnitte begleitete. Dies gab mir eine perfekte Mischung aus Einsamkeit und Austausch. Auf dieser Reise ist das anders: Ich habe Turtle an meiner Seite – und es ist ein Segen. Mitten auf dem Meer gibt er Lieder von Adriano Celentano zum Besten, stößt Jubelrufe aus und verbreitet eine solch kindliche Freude an unserer Tour, dass mir zwar die Erkenntnisse aus der totalen Einsamkeit fehlen, dafür aber ein Mensch an meiner Seite ist, der für mein Seelenheil wie Medizin wirkt. Allein die ersten beiden Tage hätte ich ohne ihn nicht überstanden. (BILD 22)

      Eine weitere geplatzte Tour hätte ich nicht verkraftet. Erst kam im vergangenen Jahr die wegen meines lädierten Fußes abgebrochene Pilgerreise. Und dann musste ich in diesem Jahr die Umrundung Sri Lankas mit dem SUP schon nach einem Tag beenden, da mein Mitpaddler nach drei Kilometern aufgegeben hatte. Wir hatten uns im Internet kennengelernt, weil ich nach Menschen recherchierte, die den Ganges gepaddelt sind. Dabei stieß ich auf einen Inder namens Buktu, der die 2.500 Kilometer des heiligen indischen Flusses auf einem Wanderkajak in drei Monaten heruntergepaddelt ist. Er riet mir dringend von einer Paddeltour auf dem Ganges ab. Der Fluss sei völlig verseucht von der Industrie und voller Leichenteilen, die von Beerdigungsritualen herrührten. Ob ich nicht lieber mit ihm eine Paddeltour rund um Sri Lanka machen wolle.

      Die Idee begeisterte mich sofort. Im März, April gab es ein gutes Wetterfenster, um die 1.300 Kilometer zu meistern, und Buktu stellte sich als großartiger Organisator heraus. Er schrieb Excel-Tabellen über Packlisten, arbeitete Tagesetappen aus und beschaffte uns eine Genehmigung vom High Commissioner Sri Lankas, dem höchsten Beamten des Landes, um die Erlaubnis für die Umrundung der Insel zu erhalten. Er organisierte ein Tuk-Tuk mit Fahrer, der uns bei der Tour an Land begleiten sollte und sorgte für Kontakte zur Marine, die drei Schnellboote für unsere Rettung alarmieren würde. Als Höhepunkt seiner Organisationskunst veranstaltete Buktu eine Pressekonferenz im besten Hotel der Insel. Dutzende von TV-, Hörfunk- und Pressevertretern kamen, um über unsere waghalsige Tour zu berichten. Buktu legte eine perfekte Power-Point-Präsentation hin, sonnte sich im Licht der medialen Aufmerksamkeit und versprach, ein großartiges Buch und einen noch besseren Film über unsere Tour zu produzieren.

      Schon im Vorfeld hatte ich mich über meinen indischen Mitpaddler gewundert, aber zu wenig auf meine Bedenken gehört: In seinem Blog schrieb er, dass wir uns morgens von der Ebbe fünf Kilometer heraustragen und dann abends von der Flut wieder an Land spülen lassen würden. Ich kenne den Indischen Ozean recht gut und weiß, dass in den meisten Regionen kaum Strömung herrscht und die Ebbe wie auf allen Ozeanen eher nach unten geht und die Flut nach oben, aber nicht fünf Kilometer raus aufs Meer und wieder rein wie bei vielen Flüssen. Vor allem nicht regelmäßig morgens raus und abends rein. Wir haben ja auch nicht immer Vollmond. Auch alle Strömungstabellen Sri Lankas sagten ein solches Phänomen nicht voraus.

      Als wir uns kurz vor Tourbeginn in Colombo, der sri-lankischen Hauptstadt, trafen, stellte sich heraus, dass Buktu absolut nicht durchtrainiert war. Mit seinen 58 Jahren brachte er gute 120 Kilogramm auf die Waage. Aber auch das schreckte mich noch nicht ab, denn manche Menschen tragen unglaubliche Kräfte in sich.

      Als wir am Tag nach der Pressekonferenz unsere Gefährte zu Wasser ließen, zog er sich eine Schwimmweste an, was mich endlich stutzig machte. Es herrschte kein Wind, die Sonne brannte mit mehr als 30 Grad auf uns herab und die Wellen waren keine 50 Zentimeter hoch. »Aus Sicherheitsgründen«, meinte er und ich zuckte mit den Schultern. Sein Kanu und mein SUP lagen hinter einem Felsen in einem ruhigen, natürlichen Bassin. Trotzdem trieb Buktus Kanu sofort ab, da er es entgegen meiner Warnung zu tief ins Wasser gezogen hatte. Ich rannte hinterher und zog es zurück an Land.

      Als unsere große Reise schließlich losging, paddelte Buktu parallel zum Ufer, bis ihn die erste Welle seitlich erwischte, sein Boot kenterte, seine 70 (!) Kilogramm Gepäck aufs Meer trieben und er selbst wie ein Käfer auf dem Rücken lag und paralysiert schien. An dieser Stelle war das Wasser jedoch keinen Meter tief. Ich lief zu ihm, richtete sein Kanu auf, sammelte seine Sachen ein und fragte ihn, warum er nicht aufstehe. Erst da erkannte er, wie flach das Wasser war, und erhob sich umständlich. Irgendwie schaffte er es zurück in sein Kanu, ich erklärte ihm, dass man brechende Wellen – und seien sie nur einen halben Meter hoch – von vorn nehmen müsse, gab ihm einen Schubs und brachte ihn somit hinter die Brechzone.

      Zwanzig Minuten später hatte es Buktu keine 500 Meter weiter geschafft. Ich kehrte um und fragte ihn, ob er ein Problem habe. Ja, in seinem Boot stehe ein Fuß Wasser. Warum er dieses nicht herausschöpfe, fragte ich ihn. »How – wie?«, war seine bizarre Antwort. »Mit einer Schöpfkelle, mit den Händen, keine Ahnung«, sagte ich.

      »Wie hast du das denn auf dem Ganges gemacht?« »Da hatte ich kein Wasser im Boot.« Ich legte neben ihm an, kniete mich auf mein Brett, schöpfte das Wasser mit den Händen

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