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seinem Leben ein Segelboot zu betreten.

      Jetzt bin ich also zum dritten Mal auf der Biskaya, und dieses Meer zeigt sich heute schlimmer als alles, was ich auf den sieben Weltmeeren bisher erlebt habe. Es müssen Unterwasserströmungen sein, die von den Felsen zurückschwappen, als unkontrollierte Wellenberge an der Oberfläche erscheinen und mein Brett in alle Richtungen durchschütteln. Hinzu kommen die wirr durcheinanderlaufenden Wellen, die von der Steilküste wie Bumerangs zurückschießen und als taumelnde Boxer blind in alle Richtungen hauen. Anders lässt sich dieses Inferno weder beschreiben noch erklären. Da mich Wind und Dünung Richtung Küste drängen, paddele ich fast ausnahmslos auf der linken Seite. Meine Schulter sticht ab der dritten Stunde permanent, was ich aber noch weitere drei Stunden ertragen muss. Ich würde gern zwischendurch eine Pause einlegen, aber an einen Landgang ist hier nicht zu denken, denn die Steilküste trägt ihren Namen zurecht und das Meer würde mich zerschmettern. Wieder wird mir klar, dass wir Menschen Landlebewesen sind. Was treibt mich bloß immer wieder raus aufs Wasser?

      Jetzt – beim Schreiben an Land – fällt es mir wieder ein. Auf dem Wasser zu sein, macht mich glücklich. Es gibt nur wenige Dinge, die mich mit einer größeren Freude erfüllen als das SUPen. Sobald ich auf dem Brett stehe, das Paddel ins Wasser steche und vorwärts gleite, überkommt mich ein Glücksgefühl. Vor allem auf dem Meer hat diese Art der Fortbewegung etwas Natürliches, fast Graziles, das mit nichts zu vergleichen ist. Ich stehe auf dem Wasser, komme mit der idealen Geschwindigkeit voran, lasse mit den ersten Paddelschlägen den Alltag hinter mir und bin glücklich. Außer, die Natur spielt nicht mit. So wie heute. Auf einem solchen Abenteuer lebe ich also entweder glücklich oder unglücklich. Es scheint nichts dazwischen zu geben, keine Grauzone. Kein so Lala.

      Auf dem Meer wirken Entfernungen anders als an Land. Gerade bei schlechten Bedingungen scheint es geradezu aberwitzig, dass das Ziel immer noch nicht in Sicht ist und ein weiteres Kap umrundet werden muss. Ich sitze im Schneidersitz und kämpfe mit jedem Paddelschlag gegen die Schmerzen in der Schulter an, gegen die Blasen an meinen Händen und Füßen und vor allem gegen die Angst, wegen der Strömung nicht weiterzukommen. Auf meinem linken Arm, der sich in Lee befindet, auf der windabgewandten Seite, trocknet das Meerwasser und hinterlässt einen weißen Salzfilm. Es sieht aus, als würde ich einen Gips tragen.

      Während Turtle und ich uns anfangs noch angefeuert haben, paddeln wir nun schweigend nebeneinander her. Es bleibt keine Kraft mehr für Witze oder gutes Zureden. Nur einmal, als die See besonders absurd blubbert, schauen wir uns an und müssen lachen. Was machen wir hier bloß? Warum machen wir das? Wie lange soll das gutgehen? Nach langen, zähen, schmerzhaften Stunden sehen wir ein Frachtschiff vor einer Bucht liegen. Könnte das unser Ziel sein, die enge Passage zur Bucht von Pasaia? Wir müssten doch längst da sein – immerhin paddeln wir hier draußen schon seit fünf Stunden und hatten uns für die erste Etappe noch nicht mal zwanzig Kilometer vorgenommen. (BILD 6) Kurz bevor wir das Schiff erreichen, schmeißt es den Motor an und fährt davon – als würde es vor uns flüchten. Ein Fischkutter fährt an einem riesigen Felsen vorbei und hält irgendwo vor der grünen Küste an. Haben wir uns zu früh gefreut? Müssen wir das nächste Kap auch noch umrunden? Ich denke nicht, dass mir dafür die Kräfte reichen würden. Das Handy herauszuholen und eine unserer Navigationsapps zu checken, kommt hier draußen nicht infrage, denn die Gefahr, dem Hexenkessel das Handy zu opfern, ist viel zu hoch. Doch dann taucht ein Ozeanriese aus dem Nichts auf und verlässt die Einfahrt von Pasaia. Wir sind also doch richtig, müssen aber noch eine Stunde gegen Wind und Strömung durch die brodelnde Kreuzsee paddeln.

      Als sich die Passage endlich vor uns öffnet, komme ich mir vor wie in einem Film. An 100 Meter hohen Klippen kreisen Seevögel, ein Fels fällt senkrecht ins Wasser und das Inferno hat sofort ein Ende. Ich sehe Kletterer, Taucher und Spaziergänger, die nichts von alldem ahnen, was da draußen los ist und was wir durchgemacht haben. Wir betreten eine Urlaubswelt aus guten Restaurants, Schnellfähren, Aussichtsbänken und Uferanlagen. Es scheint eine unsichtbare Trennlinie zwischen Land- und Wasserbewohnern zu geben. Beide folgen eigenen Gesetzen und beäugen einander misstrauisch.

      Durch eine höchstens 50 Meter breite, von steilen Felsen umgebene Einfahrt gelangen wir in einen riesigen, natürlichen Hafen. Allein für diesen Anblick und dieses Naturparadies hat sich die Quälerei gelohnt.

      Nach Stunden im Schneidersitz versuche ich, auf meinem Brett zu stehen. Meine Knochen sind so steif, dass ich fast nicht hochkomme. Als ich schließlich aufgerichtet bin, komme ich mir vor, als würde ich zum ersten Mal auf einem Brett stehen. Das Inferno da draußen hat mein Gefühl für ruhiges Wasser durcheinandergebracht. Wackelig lassen wir uns vom Nordwestwind durch die wunderschöne Bucht treiben, ohne die Paddel ins Wasser stechen zu müssen.

      Als wir an einem Steg festmachen und die Bretter anbinden, kommen mir die sechs Stunden Kampf gegen Wind und Welle im Schneidersitz schon fast wie ein Traum vor. (BILD 7) Ich kenne dieses Phänomen: Sobald ich Land betrete, lasse ich die Welt des Wassers hinter mir – und umgekehrt. Das große Paradoxon eines jeden Seemanns ist es, dass er es nicht erwarten kann, abzulegen und in See zu stechen. Doch sobald er draußen ist, möchte er so schnell wie möglich zurück zum Festland.

      Die einzige Herberge des Orts hat wegen Corona geschlossen, und ich erinnere mich an den Rat meiner Freundin, nicht in Zeiten von Krieg oder Seuchen zu pilgern – zu spät. Wir beschließen, dem Rummel des Dorfzentrums zu entfliehen und schleppen unser Gepäck und die Bretter mehrere Dutzend Stufen auf einen Berg. Direkt unterhalb einer Kirche auf einer Wiese schlagen wir unsere Zelte auf. Turtle schaut sich seine Füße an: Die Zehen haben vom stundenlangen Knien auf der Oberseite schlimme Blasen davongetragen, und seine Knie sind grün und blau. (BILD 8) Auch meine Füße schmücken Blasen, und kleinere ältere Wunden sind wieder aufgebrochen und sehen eitrig aus. Wir schauen uns besorgt an. So kann es morgen keinesfalls weitergehen.

      Jetzt ist es zwei Uhr nachts, und das schrille Gebimmel der Kirchenglocke lässt mich nicht schlafen, ermöglicht es mir damit aber, diese Zeilen zu schreiben.

      2. TAG: PASAIA BIS SAN SEBASTIÁN

      Das Dreiuhr- und das Vieruhrklingeln sind mir entgangen. Ansonsten war die Kirchenglocke über den Dächern von Pasaia mein treuer Begleiter während der gesamten Nacht. Ich liebe Kirchen. Das kann auch diese Kirche mit ihrem Gebimmel nicht ändern.

      Vor jedem Abenteuer suche ich am Aufbruchsort eine Kirche auf, setze mich in die dritte Reihe (ich habe am 03.03. Geburtstag), schließe die Augen und warte auf Worte oder Gedanken, die in mir aufsteigen. Meist breitet sich Friede in mir aus, häufig kommt Dankbarkeit für das Leben auf, das ich führen darf, und irgendwann entsteht ein Impuls, der sagt: »Jetzt kannst du gehen.« Dann verlasse ich die Kirche und bedanke mich bei ihr oder meinem Glauben, der keineswegs religiös ist.

      In dieser ersten Nacht meines neuen Abenteuers hat mich diese verfluchte Kirchenglocke sicherlich zehnmal geweckt. Schon auf meiner Reise auf der Donau habe ich mich gefragt, was sich die christliche Kirche eigentlich einbildet, einen solchen Lärm zu veranstalten? Lieben wir nicht die Stille der Gotteshäuser? Die Heimeligkeit? Heiligkeit? Die Geborgenheit? Warum also dieser Lärm? Für wen hält sich diese Institution, dass sie jedes Dorf der christianisierten Welt beschallen muss? Noch dazu, um die Uhrzeit zu verkünden. Und das in einer Welt, die vor Hektik langsam verrücktspielt und sich längst von der Kirche abgewendet hat. Trotzdem bleibe ich bei meinem Ritual und danke dem Universum, das es mich in eine Welt mit einer gemäßigten Religion hineingeboren hat, in der ich öffentlich über diese schimpfen darf. Natürlich fragte ich mich in dieser Nacht, was ich hier eigentlich mache. Bin ich nicht langsam zu alt für solche Abenteuer? Doch ich wusste, dass zu einer solchen Tour auch Zweifel gehören. Sie sind wie ein Tunnel, den ich irgendwie durchqueren muss, ohne zu wissen, wie lang er ist und was mich auf der anderen Seite erwartet. Jedes Abenteuer ist ein Sprung ins Leere, in eine unbekannte Welt. Das Seltsame an mir und meinem Charakter ist, dass ich mich stets auf das Unbekannte freue.

      Als die Entscheidung fiel, diese Pilgerreise wirklich zu machen, gab es kein Zurück mehr. Ich habe diese Entscheidung nicht anderen oder äußeren Umständen überlassen, sondern selbst getroffen. Alleine für mich – und erst viel später an die Konsequenzen gedacht. Nur so kann ich meine Abenteuer angehen: ich folge meinem

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