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mich auf einer Abenteuertour zu begleiten. Er ist Eventveranstalter und verdient in diesem Jahr so viel Geld wie zuletzt mit neun – nämlich nichts. Auch mir geht es als Reporter nicht viel besser. Wir teilen das gleiche Schicksal und werden uns nicht fügen, sondern das Beste aus dieser Situation machen – in diesem Fall von der französisch-spanischen Grenze bis auf die Höhe von Santiago de Compostela zu paddeln, um von dort die letzten Tage zu Fuß durchs Land bis zur berühmten Kathedrale zu wandern.

      Offenbar brauchten wir die Corona-Krise, um uns wieder daran zu erinnern, was jenseits unserer eingeschliffenen Alltagswelt möglich ist: Wir werden die ersten Menschen sein, die den nördlichen Jakobsweg Stand-up-paddeln. Unser Ziel ist natürlich die berühmte Kathedrale, wo sich der Legende nach das Grab des Apostels Jakob befindet, eine Art Mohammed und Jesus in einem für die iberischen Völker. Jahrhunderte nach seinem Tod tauchten Legenden über ihn auf. Er sei aus dem fernen Palästina gekommen, um auf der spanischen Halbinsel das Evangelium zu verkünden. Beerdigt wurde der heilige Jakobus in Santiago und Gläubige aus den umliegenden Dörfern fingen an, zu seinem Grab, das angeblich unter der Kathedrale liegt, zu pilgern und dort zu beten und zu meditieren. Vielleicht erhofften sie sich auch Heilung von einem Ort, an dem die Gebeine eines der zwölf Apostel liegen. Später kamen Menschen aus immer entfernteren Ländern, zunächst aus Spanien und Portugal, dann aus Frankreich, aus Deutschland, Skandinavien oder Italien. Im Laufe der Jahrhunderte entstand eine weltweite Pilgerbewegung, an der Könige und Bischöfe, Gesunde und Kranke, Reiche und Arme teilnahmen. Der Name Compostela kommt aus dem Lateinischen: Campo, das Feld und Stela, der Stern. Denn angeblich hatte ein Bischof über einem Feld einen Stern oder ein Licht gesehen, das ihm das bis dahin vergessene Grab des Apostels gezeigt haben soll.

      Mittlerweile ranken sich so viele Legenden um den heiligen Jakobus, dass er sich langsam zum prominentesten Apostel entwickelt. An der Kathedrale von Santiago kommen jedenfalls täglich mehr als 1.000 Pilger an und beenden dort ihre Pilgerreise – zumindest in Jahren, in denen keine Pandemie herrscht. Und angeblich ist jeder von ihnen Gott oder sich selbst – oder beiden – nach dieser Reise ein gutes Stück nähergekommen.

      Mit dem ersten Paddelschlag betreten wir das Reich des Meeres. Vielleicht ist es auch umgekehrt und das Meer nimmt von uns Besitz, dringt in unser Leben ein. Wir lassen die Geräusche des Landes hinter uns, die Gerüche und den festen Boden. Jetzt sind wir in einer schwankenden Welt angekommen, einer Welt, die ich über alles liebe. Die mir schon häufig mehr Heimat war als das Festland. Auf dem Wasser ist alles gut, denke ich. Die Probleme beginnen an Land.

      Schon eine halbe Stunde nachdem wir heute früh vom Strand im französischen Hendaye aufgebrochen sind, hält uns die Wasserschutzpolizei an. (BILD 3) Wir würden keine Rettungswesten tragen, hätten keine wasserdichten Lampen am Mann und wären weiter als 300 Meter vom Ufer entfernt. Ich erkläre dem Gendarmen, dass wir in wenigen Metern das Gebiet der Grande Nation verlassen würden und sich dann die spanischen Behörden unserer annehmen dürften. Der Beamte schüttelt den Kopf und lässt uns tatsächlich weiterpaddeln. Vermutlich befinden wir uns schon jenseits der Grenze. Am Ufer sehe ich noch unsere Wohnmobile stehen. Sie sind winzig klein und für unbestimmte Zeit nicht mehr unser Zuhause. Vier Wochen waren Turtle und ich gemeinsam mit unseren Liebsten in Frankreich unterwegs und genossen den schönsten Urlaub. Unsere Partnerinnen fahren die Fahrzeuge zurück nach Deutschland. (BILD 2) Ich sehe ihre Tränen beim Abschied vor mir und konzentriere mich aufs Paddeln, um nicht schon am Anfang dieser Reise zu heulen.

      Als wir das Ende der Bucht erreichen und an den spitzen Felsen einer vorgelagerten Insel vorbeipaddeln, bläst uns der Wind direkt ins Gesicht und das Meer fängt an, verrückt zu spielen. Als hätte es nur auf uns gewartet, um uns unsere Grenzen aufzuzeigen. Als wollte es uns sagen: »Was? Ihr zwei Spargeltarzane wollt mich pilgernd bezwingen? Auf dem Wasser? Euch zeige ich erst mal meine ungemütliche Seite.« (BILD 5)

      Vor meinem Aufbruch sprach ich mit einer alten Freundin über die Tour – sie ist mit ihren 90 Jahren tatsächlich alt, hat im Krieg ihre drei Brüder und ihren Vater verloren, hat sich der Spiritualität gewidmet und eine Weisheit erreicht, wie sie vermutlich nur wenige Menschen mit ganz besonderen Schicksalen erlangen. Sie riet mir, ich solle für eine solche Reise einen bien compañero mitnehmen. Also einen Freund, zu dem eine gewisse Seelenverwandtschaft besteht. Wenn sich für die Reise ein solcher Freund nicht finden lasse, solle ich lieber allein reisen. Als Zweites riet sie mir, nicht in Zeiten von Krieg oder Seuchen loszuziehen. Denn dann würde die lebenswichtige Infrastruktur für Pilger nicht funktionieren. Als Drittes: Absolut fit in dieses Abenteuer zu gehen. Und damit meinte sie nicht nur körperlich, sondern vor allem auch psychisch. Ich müsse bereit sein, alles anzunehmen, was mir das Schicksal biete – gut oder schlecht. Ein stabiler Magen sei auch von größtem Vorteil. Viertens möge ich es mit der Nahrungsaufnahme nicht zu genau nehmen. Auf solchen Touren gehe es darum, genügend Nahrung zu sich zu nehmen. Für Vegetarier-Schnickschnack oder gar vegane Eskapaden sei dann kein Raum. Fünftens solle ich mich ausschließlich tagsüber fortbewegen, vor allem nicht nachts aufs Meer gehen. Es sei kein Ort für nächtliche Ausflüge, selbst wenn dann das Wetter besser sein sollte und die Sonne nicht so brenne. Und ein letzter Tipp: Ich möge in der Furcht vor Gott pilgern. Wenn dies altmodisch klinge, so solle ich diesen wichtigsten Ratschlag für mich so interpretieren, dass ich ihn verstünde. Ich solle mich auf die Wandlung freuen, sagte sie, denn diese komme auf einer längeren Pilgerreise mit absoluter Sicherheit.

      Ihre Ratschläge gehen mir draußen auf dem Wasser nicht aus dem Sinn. Vor allem der letzte: Ich solle in der Furcht vor Gott pilgern.

      Dabei glaube ich noch nicht einmal an Gott – zumindest nicht an einen religiösen Gott. Vielleicht sollte ich das Wort Gott mit »Existenz« oder »Universum« gleichsetzen, wobei mir diese Begriffe zu gekünstelt erscheinen. Für mich passt »alles, was ist« ganz gut. Oder soll ich der Einfachheit halber doch lieber Gott sagen? Wenn ich diese Wellenberge um mich herum sehe, bekomme ich zumindest Furcht – aber ist es die Furcht vor Gott?

      Wer ist Gott überhaupt? Und was will er? Wenn ich mir vorstelle, ich wäre Gott – man möge mir diesen Gedanken verzeihen, dann würde ich von den Menschen erwarten, dass sie alles aus diesem von mir geschenkten Leben herausholen. Sich also keine Gedanken über die Altersvorsorge machen (für ihr Alter bin ja ich, Gott, zuständig), abends mehr leisten, als die Batterie ihrer Fernbedienung zu wechseln (sie dürfen gerne meine Schöpfung bewundern und einen Spaziergang machen) und weniger lamentieren, jammern, verzweifeln, heulen und streiten. Wäre ich also Gott und hätte den Menschen einen freien Willen gegeben, würde ich mir wünschen, dass sie dieses Leben täglich zelebrieren – ohne Rauschmittel. Dass sie sich von der Schöpfung berauschen lassen und keine Götter haben neben mir. Seid nett und feiert, Leute!

      Wie viele Menschen haben mich vor dieser Tour gewarnt? Wer wusste nicht alles Horrormeldungen über das Meer zwischen Frankreich und Spanien zu berichten? Auch ich selbst kann grauenhafte Geschichten von der Biskaya erzählen: 2003 bin ich gemeinsam mit drei Franzosen auf einer 42-Fuß-Segelyacht vom französischen Nantes bis in die Südsee gesegelt. In unserer ersten Nacht auf der Biskaya hörten wir plötzlich Mayday-Mayday-Rufe. Ein französischer Fischkutter war von einem Frachtschiff gerammt worden. Es war Februar, die Wassertemperatur betrug höchstens zehn Grad, sechs Beaufort ballerten übers Meer und zwölf Seemänner ertranken oder erfroren innerhalb kürzester Zeit. Wir waren zu weit entfernt, um helfen zu können. Bis heute rauschen die verzweifelten Funkrufe des Kapitäns durch meine Träume.

      Bei meiner zweiten Querung der Biskaya war ich mit einem befreundeten Skipper allein auf einem Katamaran unterwegs. Wir wollten über die Kanaren in die Karibik segeln. Wie so häufig orgelte starker Südwest durch die Biskaya. Wir wechselten uns alle drei Stunden am Steuer ab. Nach fünf Tagen waren wir beide vollständig am Ende unserer Kräfte und beschlossen, im portugiesischen Cascais ein weiteres Crewmitglied an Bord zu holen. Auf unsere Anzeige »Hand gegen Koje« im Internet hatte sich als einziger ein ehemaliger nordkoreanischer Soldat gemeldet. Er sei zwar noch nie auf See gewesen, dafür aber fitter als jeder Turnschuh der nördlichen Hemisphäre. Wir nahmen dieses Kraftpaket also an Bord und hatten kaum die Kaimauer von Cascais hinter uns gelassen, als der Kerl schon über der Reling hing und so laut kotzte, dass wir zunächst dachten, er würde einen Scherz machen. Als wir jedoch sein grünes Gesicht sahen, war klar, dass wir zumindest für die erste Nacht nicht mit unserem neuen

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