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gut«, antwortete Frost und lächelte. Das Wikingerfest war tatsächlich ein Glücksfall, dachte sie. Niemand würde naseweise Fragen nach dem Grund ihres Aufenthalts in York stellen. »Mein Begleiter ist sehr fasziniert.«

      »Ah, ja, die Amerikaner haben nicht ganz so viel kulturellen Hintergrund wie wir, nicht wahr?«

      Frosts Lächeln verbreiterte sich, im vollen Bewusstsein, dass ihr Lächeln falsch war. Dieser alte Sack sollte besser aufpassen, was er sagte. Sie räusperte sich und lehnte sich vertrauensvoll über den Tresen. »Sind Sie ein echter Yorkshire?«

      »Mit Leib und Seele, Madam«, sagte er sichtlich stolz. »Ich bin drei Straßen von hier geboren.«

      »Dann habe ich den richtigen Mann gefunden. Sehen Sie, ein Freund von mir hat sich einen kleinen Scherz mit uns erlaubt. Er liebt Rätsel. Wir sollen ihn für die Geburtstagsfeier seiner Schwester an einem geheimen Ort treffen, doch den einzigen Hinweis, den wir von ihm erhalten haben, ist eine grün eingefärbte Seite in einem Buch. Ich bin Londonerin und mit der Gegend hier nicht vertraut. Und mein amerikanischer Partner ist nicht gerade eine große Hilfe bei der Sache.« Sie seufzte ergeben auf und wartete auf eine Reaktion.

      »Eine grüne Buchseite, sagen Sie? Lassen Sie mich nachdenken. Grüne Seite, hm…« Der alte Mann strich sich nachdenklich über den grauen Bart. »Es gibt einen Ort namens Greenside, oben im Kohlegebiet an der Grenze zu Northumberland. Könnte es das sein?«

      Frost hob die Augenbrauen. »Gut möglich. Mein Freund denkt sich immer solche dummen Dinge aus.« Sie zögerte. »Fällt Ihnen sonst noch etwas zur Farbe Grün ein? Ein altes Familienwappen vielleicht?«

      Wieder überlegte der alte Mann, schüttelte dann jedoch den Kopf. »Es gibt einen Pub namens Green Frog in der Nähe des Münsters. Früher hieß das Lokal jedoch The Drunken Monch.«

      Nein, das Pub war es kaum. Die Ortschaft namens Greenside klang da vielversprechender. Frost bedankte sich und war dabei, sich umzudrehen, als ihr noch etwas einfiel. »Sie haben nicht zufälligerweise eine Karte der Gegend?«

      »Greenside, hm?«

      Wassertropfen fielen mit einem leisen Plopp auf die Landkarte, die Frost vor sich auf dem Tisch ausgebreitet hatte. »Sie tropfen.«

      »Oh, ’tschuldigung.« Payne grinste schief und rubbelte sich die nassen Haare etwas weniger vehement.

      Frost schaute auf. Payne stand nur mit einem Handtuch bekleidet vor ihr. Die Narbe auf seinem Bauch, gleich unterhalb der Rippen, leuchtete rot. Sie hatte ihn eigenhändig verarztet, als er auf dem Weg in die Agentur zusammengebrochen war. Damals hatten sie und Helen sich jedoch auf das Wesentliche beschränkt und ihm das Hemd nur soweit ausgezogen, dass sie die Wunde nähen konnten.

      Ihr Blick wanderte nach oben. Definitiv keine Hühnerbrust. Unterhalb der rechten Schulter hatte er eine weitere Narbe, rund wie von einer Schusswunde.

      Auf einmal wurde Frost bewusst, dass Sie Payne anstarrte. Ungewollt stieg ihr die Röte ins Gesicht. »Ziehen Sie sich etwas an, Payne. Ihre Manieren lassen ziemlich zu wünschen übrig.« Sie zwang sich, sich auf sein Gesicht zu konzentrieren. »Es reicht, dass wir uns ein Zimmer teilen müssen.«

      Als Payne sich zur Kommode umdrehte und anfing, in seinen Kleidern zu wühlen, atmete sie tief durch. Verdammt, er war verheiratet. Mit einer ziemlich coolen Frau sogar, der sie nicht einmal das Wasser reichen konnte, wenn sie gewollt hätte. Manieren hatte der Amerikaner wirklich keine. Besäße er auch nur einen Funken Anstand, würde er es nicht wagen, in ihrer Gegenwart halbnackt herumzulaufen.

      »Also, dieses Greenside«, fing Payne wenig später wieder an, als er sich gänzlich angezogen zu ihr an den Tisch setzte. »Ist das weit von hier?«

      Frost schüttelte den Kopf und tat so, als wäre er nicht vor wenigen Minuten noch tropfend vor ihr gestanden. »Weit ist relativ. Es ist noch in Yorkshire, jedoch nahe der Grenze zu Northumberland. Das Dorf liegt mitten im Kohleabbaugebiet, vermutlich gibt es eine Mine im Dorf selbst. Der Kohlebergbau ist hier oben die wichtigste Industrie.« Sie fuhr mit dem Finger einer imaginären Linie entlang, die von der Küste im Osten bis hinunter nach Leeds führte. »Greenside liegt hier. Morgen früh nehmen wir den Zug nach Newcastle-upon-Tyne. Von dort aus sollten wir eine direkte Verbindung nach Greenside haben.«

      »Gut. Was ist, wenn uns der Inspektor wieder folgt?«

      »Wir werden uns wohl etwas einfallen lassen müssen. Aber solange wir nicht wieder jemanden erschießen, kann er von mir aus beobachten, was er will. Er hat nichts gegen uns in der Hand.«

      Payne griff nach seinem Tabaketui und begann, sich eine Zigarette zu drehen. Frost legte das Kinn auf die Hand und stützte den Ellbogen auf den Tisch. Sie musterte den Pinkerton neugierig. Ihr fiel auf, dass sie eigentlich gar nichts über ihn wusste. »Erzählen Sie mir von Ihrer Arbeit, von Amerika. Wie sind Sie zu der Schusswunde gekommen?« Sie spielte auf die Narbe auf seiner Schulter an.

      Payne steckte sich die fertig gerollte Zigarette hinter das Ohr. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich habe einen Fehler gemacht und fast mit meinem Leben dafür bezahlt.« Er zögerte, sagte dann jedoch nichts mehr.

      Frost bemerkte, dass er sich vor ihr verschloss und das Thema nicht weiter bereden wollte. Sie fragte sich, warum Payne nie etwas über seine Heimat erzählte, geschweige denn über seine Arbeit als Pinkerton. Die wenigen Amerikaner, die sie bisher kennengelernt hatte – meist neureiche Geschäftsmänner –, prahlten nur zu gern von der Größe und den Reichtümern Amerikas. Vor allem der Westen war seit dem Goldrausch vor vierzig Jahren das neue Wunderland. Payne hingegen schwieg beharrlich.

      Die Narbe an der Schulter war ein knappes Jahr alt. Das musste passiert sein, kurz bevor er nach London gekommen war. Was war dem Pinkerton widerfahren, dass er seinen Job an den Nagel gehängt und nach London gereist war, nachdem er zwei Jahre lang damit gewartet hatte?

      Doch sie respektierte seine Entscheidung, die Sache für sich zu behalten. Vielleicht würde er es ihr eines Tages erzählen.

      »Schneller, Miss Frost! Wir können es noch schaffen.«

      Ein lauter Pfiff hallte über den Perron. »Warum, zum Teufel, fährt dieser verdammte Zug zehn Minuten früher ab? Auf dem Fahrplan steht 8:46 Uhr!« Frost mühte sich mit ihrem Koffer ab und fluchte vor sich hin. Ihre Röcke verhedderten sich zwischen ihren Beinen und waren ganz und gar unpraktisch zum Rennen. Sie hätte doch besser die Pluderhose anziehen sollen!

      Payne drehte sich im Lauf zu ihr um und nahm ihr den Koffer aus der Hand. »Sie können sich darüber aufregen, sobald wir in einem der Wagen sitzen. Kommen Sie.«

      Wieder stieg ein durchdringender Pfiff von der Lokomotive auf. Dampf und schwarzer Rauch füllten den Bahnsteig. Dann ging ein Ruck durch die lange Wagenreihe. Der Schaffner stieß einen kurzen Pfiff aus seiner Trillerpfeife aus und stellte sich in die offene Tür des hintersten Wagens. Dann sah er Payne und Frost.

      »Halt, warten Sie!«, rief Frost und winkte. »Wir müssen noch mit!«

      Payne warf dem verdutzten Schaffner seine Tasche zu und dann Frosts Koffer hinterher. Er drehte sich halb zu Frost um und packte ihre Hand. »Los, rauf mit Ihnen.«

      Frost bekam die Stange außen am Wagen zu fassen und hüpfte auf das Trittbrett. Payne sprang ihr hinterher und blieb keuchend neben ihr stehen.

      »Also, ich habe ja schon viel gemacht«, sagte Frost und hielt sich nach Atem ringend die Seite, »aber auf einen fahrenden Zug aufgesprungen bin ich noch nie.«

      Payne lachte auf, und Frost konnte nicht umhin mitzulachen. Das Adrenalin rauschte durch ihren Körper und verlieh ihr ein Gefühl des Überschwangs. »Das machen normalerweise ja auch nur wir Amerikaner.«

      »Vom Pferd aus!« Wieder musste sie lachen. Dann bemerkte sie, dass der Schaffner immer noch neben ihnen stand und sie irritiert anschaute. »Guten Morgen, Sir«, sagte sie, »danke, dass Sie uns die Tür aufgehalten haben.«

      »Äh …« Der Schaffner schaute zwischen Frost und

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