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Gegenteil ist noch nicht bewiesen und vielleicht auch nie beweisbar –, droht die Gefahr, daß wir mit Kanonen auf Spatzen schießen. Vielleicht wäre es das beste, die Akten zu schließen, Sir, und auf weitere Glücksfälle zu warten.«

      »Und bis sie eintreten, soll ich Sie wieder auf Ihre Paradies-Insel zurückschicken.«

      »Ich hätte nichts dagegen, Sir«, antwortete ich. »These Nummer zwei: General Lupus hat meines Erachtens sofort eine Untersuchung der Pannen angeordnet. Selbstverständlich muß er annehmen, daß Verrat im Spiel ist. Der Ausgang seiner Fahndung ist klar: Entweder gibt es keinen Maulwurf in seinem Lager, oder er läuft schleunigst über, oder er wird – oder ist bereits – liquidiert.«

      »Nicht von der Hand zu weisen«, erwiderte Gregory. »Aber vielleicht dreht es sich gar nicht um einen Untergeordneten, sondern es handelt sich um General Lupus persönlich. Sie wissen doch, Lefty, daß er uns seit einiger Zeit besondere Rätsel aufgibt.«

      Drahtzieher der unsichtbaren Front sind im allgemeinen auch bei ihren eigenen Leuten mehr gehaßt als beliebt. Der Chef der Hauptverwaltung Aufklärung war eine Ausnahme. Er wurde von seinen Mitarbeitern vergöttert; selbst Überläufer, die dem verlassenen Arbeitgeber selten etwas Gutes nachsagen, bezeichneten ihn als hochintelligent und faszinierend im persönlichen Umgang. Sie rühmten seine Schlagfertigkeit und Führungsqualität ebenso wie sein Eintreten für die sozialen Belange seiner Mitarbeiter, die er selbst bei Versäumnissen nicht ohne weiteres fallen ließ. Solcherlei Berichte stimmten überein, was aber noch kein Beweis war, daß sie auch zutrafen.

      Lupus war im Schwäbischen geboren und als Sohn eines deutschen Arztes und Bühnenschriftstellers in Moskau aufgewachsen. Das bekannteste Drama seines Vaters trug den Titel Zyankali, und genauso giftig wie HCN waren auch die subversiven Ränke, die der Sohn für den zweiten deutschen Staat betrieb. Immer wieder gelang es ihm, Bonner Regierungsstellen zu unterwandern und schließlich einen Agenten sogar im Vorzimmer des Bundeskanzlers zu plazieren. Ein Jahrzehnt lang saß er in der BND Zentrale mit am Tisch: Der Regierungsrat Heinz Felfe und zwei weitere frühere SS-Männer hatten über 300 Minox-Filme mit 15661 Aufnahmen sowie 20 Tonbänder und zahllose Funkmeldungen an den Osten geliefert. Ein Jahrzehnt war das Camp durchsichtig gewesen wie ein Glashaus. Dieser Zustand war zwar beendet, aber eine Wiederholungsgefahr ist immer gegeben.

      General Alexander Lupus, der Westdeutschland zu einem Tummelplatz seiner Agenten gemacht hatte, war in Untergrundkreisen legendär. In Ostdeutschland selbst kannte ihn keiner. Sein Name wurde nie erwähnt, sein Foto nie gezeigt. Man wußte nur, daß er eine Nickelbrille trug, Geheimratsecken mit angegrauten Haaren hatte und dem Minister für Staatssicherheit, der es vom Polizistenmörder der Jahres 31 zum allmächtigen DDR-Polizeichef gebracht hatte, loyal ergeben war.

      Im März 1982 war sein Bild plötzlich im Neuen Deutschland zu sehen gewesen. Sein Bruder Konrad Lupus, der Präsident der Ostberliner Akademie der Künste, war gestorben, und der Untergrundstratege stand mit seinen Angehörigen am offenen Grab und ließ sich auch von zahlreichen westlichen Fotografen ablichten. Bei aller Trauer – man wußte, daß er seinem an Krebs verstorbenen Bruder sehr zugetan war – hätte er die Veröffentlichung verhindern können, in der DDR-Presse ohnedies und im Westen durch Aussperrung der ausländischen Fotografen von der Bestattung.

      Seitdem rätselten alle westlichen Geheimdienste darüber, was diese bewußte Zurschaustellung bedeutete: Sollte Lupus der Nachfolger seines 75 Jahre alten Ministers Mielke werden oder – wie nicht selten und vielleicht auch nicht unbegründet behauptet wurde – beim SED-Zetka in Ungnade gefallen sein und bald abgelöst werden?

      »Wenn an diesen Gerüchten etwas ist, Sir«, sagte ich zum großen Gregory, »dann bestünde die Möglichkeit, daß Lupus versucht, durch einen halsbrecherischen Alleingang seinen alten Glanz wieder aufzupolieren.«

      Der Vice zeigte sein mumifiziertes Lächeln.

      »Ich halte es jedoch für viel wahrscheinlicher, daß er der Nachfolger seines Ministers wird. Dann kommt sein Bild ohnedies in alle Zeitungen; er bleibt in seinem Fach, ist aber weitgehend der Schußlinie entzogen. Vielleicht möchte er vor seiner Beförderung noch ein besonderes Kabinettstückchen liefern.«

      »Zum Beispiel?«

      »Den Fall Sperber«, entgegnete ich, »abgesprochen mit Zetka und KGB, eine selbst arrangierte Durchstecherei, Agenten, die den Gegenspielern geopfert werden wie bei einem Schachspiel Bauern zugunsten der Offiziere. Ich traue Lupus trotz seiner menschenfreundlichen Fassade alles zu. Wir haben ja schließlich unsere Erfahrungen mit ihm. Wir wissen, daß er alle Möglichkeiten der Dreckslinie rücksichtslos ausnutzt und dabei gegebenenfalls seine Leute nicht schont.« Ich sah ihn an, bevor ich zuschlug: »Jeder Geheimdienst schlachtet gelegentlich seine Opfertiere.«

      »Kümmerliche Kaninchen«, schnaubte der Vice, »kein preisgekröntes Zuchtvieh. Bedenken Sie doch, Lefty: Die drei Agenten von Sindelfingen sind als Wirtschaftsspione für den Osten unersetzlich.«

      »Ein Spieler riskiert mitunter den Höchsteinsatz, um den Spitzengewinn zu erraffen«, erwiderte ich.

      »Die Sekretärin des Auswärtigen Ausschusses ermöglichte der SED-Regierung Einblicke bereits in die Konzepte der Bonner Ostpolitik – und das nun schon seit vielen Jahren.«

      »Die Agentin wurde gewarnt und ist in die DDR entkommen«, konstatierte ich.

      »Das stimmt zwar«, entgegnete der Mann auf der anderen Seite des Schreibtisches, »aber eine ungemein wertvolle Nachrichtenquelle ist dadurch für immer versiegt.«

      »Vielleicht gibt es längst eine zweite, die die erste entbehrlich macht«, versetzte ich.

      »Als Kassandra sind Sie große Klasse«, erwiderte Gregory gereizt und lenkte sofort wieder ein. »Ein Jammer, daß so ein gewitzter Mann wie Sie uns verlassen will«, sagte er elegisch und setzte dann penetrant hinzu: »Zum Glück erst in drei Wochen. Keine Angst, Lefty, unser Abkommen über Ihren Wechsel in den Auswärtigen Dienst gilt noch immer, aber es wäre mir lieb, wenn Sie uns bis dahin helfen würden, das Dunkel um diese verdammt undurchsichtige Affäre zu lichten.«

      »Das würde ich gern tun«, antwortete ich betont freundlich, »aber ich darf Sie daran erinnern, daß ich bis zu meinem Ausscheiden Ende des Monats noch Urlaub habe und ab ersten Juli meinen Dienst bei der US-Botschaft in Mehlen bei Bonn antreten muß.«

      Der große Gregory stieg aus seiner guten Laune wie Frau Potiphar aus ihrem geblümten Morgenmantel, aber er wurde nicht attraktiver dabei. »Nun hören Sie mir einmal gut zu, Sie Möchtegern-Aussteiger«, wies er mich zurecht. »Ich habe Ihrer Versetzung keinen Stein in den Weg gelegt, weil Sie Verdienste um unsere Organisation haben und weil ich der Meinung bin, daß Sie uns auch weiterhin von Nutzung sein können. Es ist Ihnen doch wohl klar, daß wir einen Mann wie Sie nicht einfach ziehenlassen. Ich setze als selbstverständlich voraus, daß Sie uns insoweit noch erhalten bleiben, als man Sie bei den US-Auslandsmissionen als Abwehr-Mann verwenden wird.«

      In seinem Gesicht mit der pergamentfarbenen Haut konturierte sich ein mageres Lächeln. »Es ist nur ein halbes good bye, das wir Ihnen gewähren.« Er stieß zu wie ein Turmfalke: »Und das auch erst in drei Wochen; Mit dem Außenminister werde ich eine spezielle Urlaubslösung für Sie persönlich besprechen.« Er stand auf, nahm das Dossier und verschloß es sorgfältig in seinem Office-Tresor. »Ich gebe zu, daß ich Sie ein bißchen plötzlich aus Ihren Träumen gerissen habe; die Zeitverschiebung, der Klimawechsel und nunmehr Deutschland-West, statt Fernost. Was sein muß, muß sein. Ich will Sie nicht drangsalieren, Lefty.« Er sprach ohne Bedauern und ohne Wärme. »Auch wenn es Sie momentan hart trifft, wird es Sie bald trösten.« Über sein von den Jahren angefressenes Gesicht lief ein Lächeln wie Salzsäure. »Ich kann Ihnen bestätigen, daß Sie bei Ihrem Ferienabenteuer in Indonesien nicht viel versäumt haben – trotz der bemerkenswert zarten Pfirsichhaut von Miß Miles.«

      Es war ein Knockout, und mir wurde schwindlig.

      Vanessa mußte mich genauso hereingelegt haben wie dieser abgefeimte Puppenspieler. Meine Gefühle machten bankrott, und ich konnte momentan nicht mehr tun als zu verbergen, wie heftig der Schock war: Diese dunkelblauen Augen, klar und rein wie ein Bergsee,

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