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davon eine weiche Birne bekommen hatte. Gelbrich war ebenso unentbehrlich wie unbeliebt, einer, der dazu neigte, ständig auf ungehobelte Art Stunk zu machen. Der Proletarier vom Dienst stammte noch aus der ersten Führungsgarnitur nach dem Zweiten Weltkrieg. Er war Leiter der Abteilung, die Sabotageaktionen in Westdeutschland vorbereitete. In seinem Fach war er tüchtig und somit unersetzlich.

      Ohnedies duldete der über den Dingen stehende General Lupus höchst unterschiedliche Männer in seiner Umgebung, die nur die eine Gemeinsamkeit aufwiesen, daß sie lupenreine, hochkarätige Kommunisten waren, ob sie es nun stets betonten wie der Genosse Gelbrich oder nie davon sprachen wie Laqueur, ein alter Hugenottensproß, als Ressortleiter von HVH VI für die Einschleusung von Ostagenten in den Westen verantwortlich; er sah aus wie ein gealterter Herrenreiter, der noch gut bei Fuß ist.

      Herbert Brosam war der Verbindungsmann zum Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und im grauen DDR-Einerlei ein ebenso buntschillernder Paradiesvogel wie der 45jährige Max Konopka, der als Spitzenmann im DDR-Ministerium für Außenwirtschaft heimlich die Wirtschaftsspionage im Westen dirigierte. Er genoß die besondere Gunst des Generals, und die brauchte er auch, denn sein wildes Privatleben hatte ihm das Etikett ›volkseigener Casanova‹ eingebracht. Irgendwie lebte der Agent ständig zwischen den Ehen, den eigenen wie den fremden.

      Sowohl Brosam wie Konopka hatten ihre Laufbahn unter General Lupus begonnen und waren nur Leihgaben an die Ministerien, Funktionäre mit Diplomatenpässen, und das schloß automatisch die Westgenehmigung ein. Brosam, der ›Genosse Kammgarn‹, nach den dunklen Anzügen benannt, die er fast immer trug, richtete in aller Welt DDR-Botschaften ein. Sein Pendant Konopka verhandelte mit westdeutschen Wirtschaftsführern und Vertretern der Bundesbehörden zum Beispiel auch über den zinslosen Warenkredit, ›Swing‹ genannt.

      Auf der Tagesordnung der Geheimbesprechung stand nur ein Punkt: die Klärung plötzlicher Einbrüche, die Pullach in einige Außenstellen der ostdeutschen Spionage-Fabrik gelungen war. Schlagartig und unerwartet. Referent war Ludwig Lipsky von HVA I (Politspionage in Westdeutschland), der, gestützt auf außergewöhnliche Vollmachten, im Auftrag des Generals drei peinliche Pannen untersucht hatte. Der Referent war bei der Aufklärung der denkbar geeignetste Mann, weil er zugleich in Personalunion die Abteilung X (Dokumentation) leitete.

      »Ich glaube, ich kann euch eine Wiederholung dieser unerfreulichen Vorgänge ersparen, Genossen«, begann er. »Ihr wißt, daß in Sindelfingen bei Stuttgart drei unserer besten, für einen Elektro-Konzern arbeitenden Männer aufgeflogen sind und fast gleichzeitig in Bonn eine unserer erfolgreichsten Quellen, eine Sekretärin im Auswärtigen Ausschuß, entlarvt wurde. Kurz danach ist bei einem Flugzeugkonzern in München einer unserer Perspektiv-Agenten überraschend hochgegangen.«

      Ludwig Lipsky, der Berichterstatter, stammte aus Leipzig. Er versuchte fast gewaltsam, seinen heimatlichen Dialekt zu verbergen, die Konsonanten härter und die Vokale weniger breit auszusprechen; es mißlang gründlich, und so sächselte ›Phimoses‹ – wie man ihn hinter seinem Rücken nannte – erst recht drauflos. Im Dienst war er wie eine Maschine; privat hatte Lipsky Hemmungen, da er an einer Vorhautverengung litt, die von Fall zu Fall operativ behandelt werden mußte. Um die Eingriffe hinauszuschieben, wurde der Spezialist der unsichtbaren Front medikamentös behandelt, und zwar mit einer roten Salbe, deren Penetranz mit der Zeit jedes Textilgewebe durchdrang: es hatte dem Leipziger den verhaßten Spitznamen eingebracht.

      Man brauchte, so man ihn aus der Fassung bringen wollte, nur auf den roten Punkt an einer pikanten Stelle zu starren; andererseits brachte ihn die bemühte Art, in der seine Kampfgefährten daran vorbeisahen, auch wieder durcheinander. Phimoses flüchtete wegen seiner persönlichen Unbill so ausschließlich in die Dienstgeschäfte, daß er nur noch die BRD-Spionage kannte – und dir rote Salbe! »Das Ziel meiner Untersuchungen, zu der mir alle Möglichkeiten zur Verfügung standen, war, die Fehlerklärung, ob es zwischen ihnen einen Zusammenhang gibt. Ich habe«, zählte der Berichterstatter umständlich auf, »insgesamt siebzehn Zeugen vernommen und mit Hilfe unserer Abteilung Neun und Zehn Meldungseingänge und Befehlsausgänge überprüft.« Er warf einen Blick auf General Lupus und dann auf die Männer am runden Tisch. Er stellte mechanisch fest, daß Brosam, der hektische Nichtraucher, wild an seiner Zigarettenattrappe zog und Lungenzüge imitierte. »Ich konnte keinerlei Unregelmäßigkeiten feststellen. Die Nachrichtenübermittlung ging nach dem gleichen System vor sich, das sich in unzähligen anderen Fällen bewährt hat. Es ist auch seit diesen – sagen wir mal – diesen Unglücksfällen nicht geändert worden und funktioniert reibungslos. In allen drei Fällen waren verschiedene Führungsoffiziere im Einsatz, sie hatten untereinander keinen Kontakt, kannten sich nicht einmal. Auch die Betroffenen wußten nichts voneinander. Im Fall Sindelfingen ist einer unserer Leute durch seinen Übereifer dem Werkschutz aufgefallen. In Bonn dürfte ein Kurier beobachtet worden sein, als er einen toten Briefkasten leerte. Von ihm aus verfolgte der Verfassungsschutz dann die Spur zum Büro; in dem unsere Kundschafterin arbeitete, sie wurde von uns gewarnt und konnte sich im letzten Moment in die DDR absetzen.« Lipsky sprach, als hätte er die Pfeife zwischen den Lippen, deren steter Gebrauch ihm einen schiefen Mund eingebracht hatte. »In München scheint einer der Beteiligten im Suff geschwatzt zu haben, und das ausgerechnet gegenüber einem BND-Mann.«

      Brosam fummelte an seiner mustergültig sitzenden Krawatte herum. Lemmers vom Zentralkomitee schien ausschließlich darauf bedacht zu sein, keine Regung auf seinem Gesicht erkennen zu lassen. Konopka, der vielbeschäftigte, kämpfte gegen seine Schläfrigkeit, und Laqueur blieb auch noch beim Zuhören ein Gentleman, der Aufmerksamkeit zeigte, ob es ihn nun anödete oder nicht.

      »Selbstverständlich haben wir die Vorkommnisse auch vom Computer analysieren lassen«, fuhr Lipsky fort. »Die elektronische Datenauswertung hat nur bestätigt, daß jeder der Fälle anders gelagert ist und als Panne für sich bewertet werden muß. Keinerlei Hinweis auf eine undichte Stelle. Nicht einmal Fahrlässigkeit konnte festgestellt werden. Und ein Vergleich aller Fakten läßt sogar den Schluß zu, daß selbst menschliches Versagen auszuschließen ist. Ihr kennt ja das Problem, Genossen: Ihr könnt mustergültige Autofahrer sein und am Steuer eines Wagens in tadellosem Zustand, ohne eigene Schuld verunglükken.«

      Er sah wieder Lupus an; der General nickte ihm zu.

      »Ich möchte noch sagen, daß der Genosse Lipsky einen minutiösen Bericht von fast zweihundert Seiten angefertigt hat, den ich unter Verschluß halte«, erklärte er dann. »Jeder von Ihnen kann ihn in meinem Büro jederzeit einsehen.«

      »Habt ihr noch Fragen, Genossen?« übernahm Lipsky wieder seinen Part.

      »Dreimal also dasselbe, und das innerhalb von vierzehn Tagen«, entgegnete Konopka, der seine Schläfrigkeit abgeschüttelt hatte. »Da ist ja wohl ziemlich häufig höhere Gewalt, oder?«

      »Stimmt«, antwortete Phimoses, »aber an den Tatsachen ist nun nicht zu rütteln.«

      »Lauter Zufälle«, stellte Lemmers, der Apparatschik, fest und erlaubte sich eine Art Witz: »Ich nehme an, daß wir selbst am besten wissen, wie man Zufälle herstellt.«

      »Bleiben wir bei der Sache«, erwiderte Lipsky leicht ungehalten. »Ich habe von Generaloberst Lupus die Order erhalten, die Tatsachen zu untersuchen, nicht jedoch Folgerungen aus ihnen zu ziehen.« Da er saß, konnte niemand auf den roten Punkt starren, und so wirkte Phimoses sicherer als sonst. »Um solche zu erörtern, sind wir ja schließlich hier zusammengekommen.«

      »Ich verstehe nicht, was dieser ganze Quatsch soll, Genossen!« polterte Gelbrich los. »Der Fall ist doch wohl klar wie eine Regenpfütze und läßt nur zwei Auslegungen zu: Entweder hat der Genosse Lipsky einen Bock geschossen – reg dich nicht auf, Ludwig, jeder von uns hier weiß doch, wie gründlich du arbeitest«, besänftigte er Phimoses, bevor der Referent hochschießen konnte. »Oder wir müssen den Mann suchen, und zwar hier im Haus, der den Zusammenhang zwischen den drei Pleiten im Westen …«

      »Hier im Haus?« unterbrach ihn Brosam gereizt. »Das ist doch wohl gewaltig weit hergeholt, Gelbrich.«

      »Ich geh’ sogar weiter«, stieß Gelbrich noch brutaler zu. »Jeder von uns hier im Raum könnte, zumindest theoretisch, die undichte Stelle sein.« Es sah ihm ähnlich, als einziger auszusprechen, was

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