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Roßkopf irgendwann zu viel. Nach dem Realschulabschluss bricht er in der elften Klasse ab. Er kommt einfach nicht mehr mit, hat des intensiven Trainings wegen zu viele Fehlstunden, um dem Stoff noch folgen zu können. Ihm ist die Zeit in der Halle wichtiger als die im Klassenzimmer. »Die jungen Spieler trainieren nicht mehr genug«, sagt er heute, »spielen schon zu früh zu viele Turniere und vergessen, eine Basis zu legen.« Bei ihm war das anders. Er sucht von Beginn an die ständige Verbesserung, nicht einfach nur die schnellen Erfolge.

      Mit der FTG Frankfurt gelingt in der Saison 1985/86 der Aufstieg in die erste Liga. Früh lernt er, den gemeinsam errungenen Triumph zu schätzen. Ein Gefühl, das er bei seinen späteren Vereinen immer wieder erleben wird. Doch mit der Freude über den vermeintlichen Aufstieg mischt sich die Enttäuschung über die finanziellen Schwierigkeiten des Vereins. Die FTG kann den Platz in der ersten Liga nicht annehmen. Damit bricht die Mannschaft auseinander, denn die Spieler haben sich unter Helmut Hampl so gut entwickelt, dass die meisten von ihrem Können her in die erste Liga gehören. Auch Roßkopf sieht sich zum Wechsel gezwungen, denn noch ein Jahr in der zweiten Liga würde seine Entwicklung bremsen. Mit Freude wäre er in seiner Heimat geblieben, der Abschied fällt nicht leicht. Zu Hampl sagt er, gern werde er zurückkommen, wenn in Hessen mal ein Verein in der ersten Bundesliga etabliert sein sollte. Er wird sein Versprechen viele Jahre später wahrmachen.

      Als der Branchenprimus aus Düsseldorf anklopft, hat Roßkopf bereits ein Angebot aus Jülich vorliegen, der Wechsel ist fast klar. Doch die Anfrage der Borussia kann er nicht ausschlagen. Nach dem Engagement bei Frankfurt unter Helmut Hampl und dem Umzug ins Deutsche Tischtennis-Zentrum nach Duisburg ist dies der dritte Glücksfall der frühen Phase in Roßkopfs Karriere. Düsseldorf ist schon damals die erste Adresse in Tischtennis-Deutschland, mehrfacher Deutscher Meister und Pokalsieger. Hans Wilhelm Gäb, Eberhard Schöler, Wilfried Micke, Wilfried Lieck, Peter Hübner, Jochen Leiß, Ralf Wosik, Desmond Douglas – ein kurzer Auszug der Spieler, die in Düsseldorf unter Vertrag standen. Auch Steffen Fetzner ist dort gelandet und bereits einmal mit der Borussia Meister geworden. Spitzenspieler ist 1986 der Schwede Jörgen Persson, der im Frühjahr Europameister geworden ist; als Trainer hat man im selben Jahr den jungen Kroaten Mario Amizic verpflichtet, der zuvor Zoran Primorac in die internationale Elite geführt hat. Geleitet wird der Verein von Wilfried Micke, der alle Fäden in der Hand hält, starken Einfluss auf die Mannschaft nimmt und professionelle Strukturen garantiert. Die Voraussetzungen für Tischtennis der Extraklasse könnten nicht besser sein.

      Roßkopfs Leben spielt sich nun zwischen Rhein und Ruhr, Düsseldorf und Duisburg ab. Alles in seinem Umfeld ist auf eine Karriere als Tischtennisprofi ausgerichtet, und 1986 hat niemand mehr echte Zweifel, dass Rossi es schaffen wird. Er hat nicht nur in Deutschland viele überzeugt. Der Franzose Jacques Secretin, Europameister von 1976, bezeichnet seinen Landsmann Jean-Philippe Gatien und Jörg Roßkopf als größte Talente des Kontinents. Besonders die stabile Psyche Roßkopfs und seine Härte in der Vorbereitung haben viele im Tischtenniszirkus beeindruckt. Noch sind die Verdienstmöglichkeiten zwar überschaubar, viele Akteure in der ersten Liga bestreiten oder erlernen nebenbei einen Beruf, doch der Markt entwickelt sich positiv. Vorreiter ist Ralf Wosik, der als Profi alle Energie dem Tischtennis widmet und damit gut über die Runden kommt.

      Roßkopf geht seinen Weg kompromisslos. Ein »Spiegel«-Artikel über ihn und Steffen Fetzner aus den späten achtziger Jahren ist mit »Volles Risiko« überschrieben und meint damit die Einstellung der beiden, unbedingt in den Profisport einsteigen zu wollen. Auch Michael Bachtler wird zitiert, der für die absoluten Spitzenspieler in Deutschland ein Jahreseinkommen von bis zu 200.000 Mark prophezeit. Roßkopf selbst hat während seiner gesamten Jugendzeit nicht ein einzige Mal wirkliche Bedenken, dass er es nicht nach oben schaffen könnte. Unsicherheit und Selbstzweifel scheint er nicht zu kennen. »Es ging immer weiter, ich habe immer Erfolg gehabt und einen Schritt nach dem anderen genommen, sodass ich kaum Zeit hatte, über all das kritisch nachzudenken«, erinnert er sich.

      Seine Vorbilder damals sind zwei Schweden; die Kombination ihrer Stärken beschreibt den Spieler Roßkopf hervorragend. »Das war zuerst Stellan Bengtsson«, sagt er. »Der war bekannt für seinen unermüdlichen Trainingseifer.« Die meisten Jugendlichen suchen sich ein Idol aus, weil es gut aussieht, verrückte Sachen macht, auf den Titelblättern der Zeitschriften ist oder besonders cool erscheint. Roßkopf wählt jemanden, der über seine Einstellung zum Erfolg gelangt. Bengtsson gewann 1971 Gold bei der WM und 1972 bei der EM und spielt in den achtziger Jahren lange in der Bundesliga. »Als zweites Erik Lindh«, fährt Roßkopf fort, »weil er ein sehr modernes Spiel hatte, sehr nah am Tisch spielte und früh den Ball nahm.«

      Nach seinem Durchbruch in der Bundesliga und Nationalmannschaft traf Roßkopf zwar nicht mehr auf Bengtsson, aber immer wieder auf den fünf Jahre älteren Lindh. Sein einprägsamstes Erlebnis ist die knappe Niederlage gegen sein Idol bei der WM 1987 in Neu Delhi. Im Viertelfinale der Mannschaftswettbewerbe traf die deutsche Mannschaft auf die favorisierten Schweden und hielt das Spiel bis zu einem 4:4 offen. Das Duell des 17-jährigen Roßkopf gegen Erik Lindh musste die Entscheidung bringen. »Das war schon schwierig damals«, erinnert er sich. »Immerhin ging es um den Einzug ins Halbfinale, und dann musste ich gegen mein Idol antreten.« Das Spiel ging mit einem bitteren 19:21 im dritten Satz an den Schweden. »Wir saßen da auf der Bank und haben fast geweint«, erinnert sich Michael Bachtler. Dennoch war es für Roßkopf etwas Besonderes zu merken, dass er mit den Spielern, die er einst bewundert hat, plötzlich auf Augenhöhe mithalten konnte. Er hat sich die Einstellung eines Bengtsson und den aggressiven Spielstil Lindhs zu Eigen gemacht und ist so selbst zum Vorbild tausender Nachwuchsspieler geworden.

      Dem jungen Roßkopf kommt bei Borussia Düsseldorf auch die Erfahrung der dort spielenden gestandenen Profis zugute. Mannschaftskollege Ralf Wosik etwa lebt ihm vor, was es heißt, Tischtennis beruflich zu spielen. Auch der frischgebackene Europameister Jörgen Persson, drei Jahre älter, weist ihm den Weg. Der Schwede hat auch international große Erfolge gefeiert und setzt ebenfalls alles auf die Karte Tischtennis. Bei der Borussia lernt Roßkopf zudem früh, mit extremem Druck umzugehen. Mit Jülich liefert sich Düsseldorf damals regelrechte »Hassduelle«, die Spieler werden von den Zuschauer angepöbelt, die Stimmung bei den ausverkauften Spielen kocht. Das ist schon etwas anderes als in der zweiten Liga. In den Vereinen, bei den Spielern und vielen Zuschauern ist Tischtennis eine Lebenseinstellung, viele Klubs wie Steinhagen, Grenzau, Lübeck oder Reutlingen haben eine lange Tradition.

      Die Zeiten sind damals noch andere. Roßkopf steigt in einer Phase ein, als der Sport vor seinem großen Boom steht – dessen Träger er bald werden sollte. Die ersten Jahre aber spielt er noch gegen die alte Generation des Tischtennis. Die Mannschaftsduelle in der Bundesliga gehen – wie bis heute in den Amateurklassen – bis neun gewonnene Einzel- oder Doppelspiele über viele Stunden, entfalten eine ganz andere Intensität als heute. Auch die Identifikation der Spieler und Fans mit einem Verein ist noch ausgeprägter. Damals lernt Roßkopf Erfolge mit der Mannschaft schätzen, die oft schöner sind als individuelle Titel, denn man bereitet sich zusammen vor, kämpft zusammen und kann am Ende – läuft es gut – auch gemeinsam feiern. Während der Saison geht man schon mal mit den Mannschaftskameraden einen trinken, am nächsten Tag treffen sich alle wieder in der Halle zum Training. Roßkopf ist ein geselliger Typ, ihm liegt das. In einer funktionierenden Gemeinschaft fühlt er sich wohl.

      Schon in dieser frühen Phase seiner Karriere erlebt er viel, sammelt wichtige Erfahrungen, positive wie negative. Gemeinsame Siege zu erringen ist ebenso wichtig, wie nach einer Niederlage mit schlechter Mannschaftsleistung vom Manager in der Kabine zur Sau gemacht zu werden. In der Bundesliga reift Roßkopf zu einem internationalen Star. Über die FTG Frankfurt nimmt er den Weg nach Düsseldorf, um dort für den Vorzeigeverein Deutschlands an die Platte zu gehen. Das ist das Maximum, was ein junger Spieler erreichen kann und entspricht damit zu hundert Prozent Roßkopfs Philosophie. »Mich hätten damals nur eine Verletzung oder irgendwelche privaten Probleme stoppen können«, sagt er heute.

      Sicher gehört auch immer eine Portion Glück dazu, in wichtigen Momenten die richtigen Leute und Entscheidungen zu treffen. Roßkopf hatte dieses Glück mit Helmut Hampl, seinem wichtigen Förderer in den Jugendjahren, später mit Zlatko Cordas sowie

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