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Moment lang herrschte betretenes Schweigen. Rose’ Gesicht war unbewegt, doch ich vermutete, dass ihre Gedanken rasten. Ehe sie etwas sagen könnte, ging Irina zum Tisch zurück und ließ sich auf ihrem Platz nieder. »Setzt euch. Wir haben noch einiges zu besprechen.«

      Während wir an unseren Getränken nippten, segelten drei Blau­meisen im Sturzflug durch die offene Tür in den Raum und umkreisten die Gastgeberin mit schrillem Gezwitscher. Irina hörte ihnen einen Moment aufmerksam zu, dann verdrehte sie die Augen. »Ich habe euch doch gesagt, ihr sollt sie in Ruhe lassen.« Sie griff über den Tisch, zog eine reich verzierte Schatulle zu sich und öffnete sie.

      »Eine der Katzen«, erklärte sie uns mit vielsagendem Blick. »Sie wollen sie einfach nicht in Ruhe lassen.« Sie griff in das Kästchen, holte eine Handvoll Körner daraus hervor und streute sie direkt auf die Tischplatte. Die Vögel ließen sich flatternd nieder und begannen, nach dem Futter zu picken. Aus dem Gebälk flog auch die Bachstelze wieder herunter und gesellte sich zu den Meisen.

      »Zurück zu deinem Problem.« Irina deutete demonstrativ auf meine Unterarme. »Wie ich bereits sagte, habe ich dir nur Zeit erkauft. Die Hexe, der das Grimoire gehört, ist bedeutend mächtiger als ich. Ihren Fluch kann ich nicht brechen.«

      Ich stellte die Ellenbogen auf den Tisch und stützte das Kinn in meine Hände. »Und was kann ich dann tun?«

      »Wir«, korrigierte Rose und rückte näher an mich heran. »Was können wir tun?«

      Irina begann damit, die Pflanzenreste vor sich einzusammeln und in einen Tonkrug zu werfen, der neben ihr auf dem Boden stand.

      »Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Zunächst einmal könntet ihr nach der Hexe suchen, die den Fluch ausgesprochen hat, und sie dazu bringen, ihn aufzuheben.«

      »Wir haben ohnehin vor, dieses Monster zur Strecke zu bringen.« Rose deutete mit ihren Fingern einen Kehlenschnitt an.

      Irina lächelte säuerlich. »Das wäre die andere Möglichkeit. Ein Vorhaben, das leicht nach hinten losgehen kann. Die Zauber einer Hexe sterben zwar für gewöhnlich mit ihr, aber bei Flüchen muss man vorsichtig sein. Es gibt welche, die bereits mehr als ein Jahr­hundert überdauert haben.«

      Mein Mund wurde trocken. »Wir wissen ohnehin nicht, wo sie sich aufhält. Wir suchen bereits seit mehreren Monden nach ihr, ohne auch nur eine Spur zu finden.«

      »Sie zu finden ist auch nicht, was ich euch raten würde. Statt­dessen solltet ihr zu einer Hexe gehen, die ebenso mächtig ist wie sie. Oder mächtiger.« Sie legte die Hände vor sich auf die Tischplatte. Eine der Meisen begann, auf ihrem Arm herumzuspazieren, doch das störte Irina nicht. »Ich fürchte, davon gibt es nicht viele. Und noch weniger, die auch bereit wären, euch zu helfen.«

      »Ich hasse Magie«, entfuhr es Rose. »Das wird ja noch komplizierter, als ich bereits dachte.«

      Bisher hatten wir nur selten Hexen gejagt, und wenn, dann waren das immer solche gewesen, auf die man uns angesetzt hatte. Solche also, die sich nicht darum scherten, dass andere Leute wussten, was sie waren.

      »Wo finden wir die, die stark genug sind?«, fragte ich deshalb.

      Irina zögerte. »Die Königin von Albion würde mir zwar sicher widersprechen, aber die mächtigsten Hexen der Welt leben in meinem Heimatland.«

      Rose verschluckte sich fast an ihrer Antwort. »Wir sollen nach Afrika reisen?«

      »Nicht nach Afrika«, widersprach Irina. »Obwohl es dort auch einige sehr mächtige Magiewirker gibt. Ich meine das Land meiner Mutter. Ich mag so manches bei den Geistheilern aus Nubien gelernt haben, die Wurzeln meiner Kräfte liegen jedoch im Zarenreich.«

       Na wunderbar!

      Rose warf mir einen bedeutungsschwangeren Blick zu. Ich seufzte. »Das trifft sich gut.«

      Irina schürzte überrascht die Lippen. »So?«

      »Wir denken darüber nach, dorthin zu reisen.«

      »Was wollt ihr im Zarenreich? Ihr wisst, solche wie euch sieht man dort nicht gern.«

      Damit meinte sie nicht unsere Arbeit als Dämonenjägerinnen.

      »Die Suche nach der Kindsmörderin. Gerüchten zufolge hat sie es geschafft, einen Prinzen zu verführen.«

      Irina nickte versonnen. »Die anstehende Hochzeit des jungen Zarewitsch. Aber er heiratet die Häuptlingstochter eines Steppen­kriegerstammes.«

      »Das haben wir auch gehört. Da uns das Grimoire allerdings nicht weiterhilft«, verlegen zupfte ich an meinen Ärmelsäumen, »hielten wir es für das Beste, uns bei der Hochzeit einzuschleichen, um die adeligen Gesandten aus den anderen Königreichen genauer in Augenschein zu nehmen.«

      »Fast alle werden da sein, heißt es«, fügte Rose hinzu. »Es wird ein großes Hochzeitsfest.«

      »Hexen sind im Zarenreich hoch angesehen. Kaum jemand dort hängt dem neuen Glauben an, der sich hier überall breitzumachen scheint und die Alte Kunst dämonisiert. Es ist ein gefährlicher Ort aus vielerlei Gründen. Aber ein guter, um Hilfe bei Muireanns Problem zu finden.«

      Ich wusste nicht, ob ich erleichtert oder beunruhigt sein sollte. »Können wir uns einfach an den ersten Stadtwächter wenden, dem wir dort begegnen, und ihn fragen, wo wir eine Hexe finden?«

      »O nein. So einfach wird das nicht werden. Und wie ich bereits sagte, auch nicht ungefährlich.«

      »Wir lassen uns nicht so schnell Angst einjagen.« Rose gab sich selbstbewusst wie immer.

      Irina beugte sich vor und lächelte. Sie zeigte dabei alle Zähne. Sie blitzten weiß wie Schnee in ihrem dunklen Gesicht. »Oh, vielleicht solltet ihr das. Es gibt nur eine Hexe im Zarenreich, von der ich mit Sicherheit weiß, dass sie die Macht besitzt, euch zu helfen.« Sie machte eine kunstvolle Pause. Dann fügte sie mit gesenkter Stimme hinzu: »Habt ihr je von der Baba Yaga gehört?«

      Die Hüterin der Toten

      Die Baba Yaga galt als eine der mächtigsten Hexen der Welt. Ihre Landsleute fürchteten und verehrten sie gleichermaßen. Angeblich lebte sie tief verborgen in den Wäldern des Zarenreiches. Das hielt sie jedoch nicht davon ab, als Helferin, Mahnerin oder Strafende in Erscheinung zu treten. Manche berichteten davon, dass sie auf dem Rücken eines Flammenpferdes durch frostklirrende Wälder ritt. Andere behaupteten, sie hätten sie in einem riesigen Mörser über den Himmel fliegen sehen und anderen Unsinn. Ihre Hütte soll auf Hühnerbeinen stehen und sich fortbewegen können. Angeblich besaß sie Zähne aus Eisen und der Brunnen hinter ihrem Haus soll randvoll gefüllt sein mit dem Blut leichtsinniger Jungfrauen. Sie galt als die Torhüterin zur Unterwelt und soll mit den Toten sprechen können. Ich hatte sie bisher für nicht mehr als ein Schreckgespenst gehalten, mit dem man Kindern Angst einjagte.

      »Die Baba Yaga gibt es wirklich?«

      Irina lächelte. »Oh, es gibt sie wirklich, dessen seid euch gewiss. Ob sie euch helfen wird, steht auf einem anderen Blatt. Wenn die Baba Yaga etwas ist, dann unberechenbar.«

      Rose begann, mit ihren Fingern auf der Tischplatte zu trommeln. »Das beruhigt mich nicht gerade.«

      »Dann bist du eine kluge Frau.«

      »Wie finden wir sie?«, fragte ich.

      »Keiner kennt den Weg zu ihr, heißt es. Und niemand wird sie finden, wenn sie nicht gefunden werden will.«

      »Das hilft uns nicht weiter«, murrte Rose.

      »Anders als hier sind die Hexen im Zarenreich eine eingeschworene Gemeinschaft. Die Baba Yaga ist so etwas wie ihre Anführerin. Sie hält ihre schützende Hand über sie und es heißt, sie genießt das Vertrauen des Zaren.«

      Mit der Hand verscheuchte sie die Vögel, die begonnen hatten, sich um die letzten Körner zu streiten. Wild flatternd stoben sie vom Tisch und flogen hinauf zur Decke, wo Blumenkübel mit Schnüren an den Balken

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