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denke ich, dass Sie Ihre Frau unterschätzen.« Noch einmal fühlte sie Manfred Tucks Puls. Er hatte sich wieder halbwegs beruhigt.

      »Geben Sie sich keine Mühe. Ich kenne meine Frau besser als jeder andere Mensch. Ich weiß, wie Eva tickt.« Manfred seufzte. »Leider.«

      *

      »Und? Schon was von Sophie gehört?«, erkundigte sich Dr. Daniel Norden. Er war auf dem Rückweg in sein Büro, als ihm Matthias Weigand über den Weg lief.

      »Nein, noch nicht.« Matthias schob den Kittelärmel zurück. »Ich verstehe gar nicht, warum das so lange dauert.«

      »Vielleicht ist sie mit ein paar Kollegen feiern gegangen.«

      »Oder aber sie steht mal wieder vor dem Schaufenster ihres Lieblingsjuweliers und hat die Zeit vergessen. Der ist nämlich nur ein paar Minuten Fußweg entfernt vom Ärztehaus.« Matthias trat von einem Bein auf das andere. »Ich rufe sie an.«

      »Auf keinen Fall.« Daniel hob die Hände. »Das würde ich nicht tun. Stell dir vor, du erwischst sie mitten in der Prüfung.«

      »Ausgeschlossen. Ich habe ihr selbst zugeschaut, wie sie das Handy ausgeschaltet hat.« Er zog das Mobiltelefon aus der Tasche und drückte ein paar Tasten. Ein Foto von Sophie, aufgenommen im Sommer am See, blinkte auf. »Bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal«, äffte er die Stimme des Anrufbeantworters nach und legte wieder auf. »Diese Warterei macht mich noch wahnsinnig.«

      »Ich kenne ein probates Mittel gegen diese Art von Wahnsinn.«

      »Ich bin gespannt.«

      »Arbeit.« Daniel lachte, klopfte seinem Freund und Kollegen auf die Schulter und setzte seinen Weg fort.

      An diesem Abend war er mit seiner Frau zum Essen verabredet und wollte pünktlich Feierabend machen.

      Ähnliche Pläne hatte auch Dr. Weigand. Hinter Sophies Rücken hatte er einen Babysitter organsiert. Einen Tisch in ihrem Lieblingsrestaurant reserviert. Er hatte Champagner und Torte bestellt. Aber was, wenn das Leben wieder einmal Kapriolen schlug? Lieber nicht daran denken! Blieb also nur der Rat seines Freundes.

      Mit Schwung betrat Dr. Weigand das Zimmer des Verwaltungsdirektors.

      »Endlich kümmert sich mal jemand um mich«, schallte ihm postwendend eine Beschwerde entgegen.

      »Sie haben jede Behandlung abgelehnt.«

      »Weil ich nicht geisteskrank bin. Am Ende verpassen Sie mir noch eine Libo … Labo … Lebitomie.«

      »Sie meinen wohl eine Lobotomie«, korrigierte Dr. Weigand den Verwaltungsdirektor. »Falls es Sie beruhigt: Dieser neurochirurgische Eingriff ins Gehirn wird in Deutschland seit den 1970er Jahren nicht mehr durchgeführt.«

      Dieter Fuchs schickte dem Chef der Ambulanz einen schiefen Blick.

      »Bei Ihnen kann man nie wissen. Aber wechseln wir lieber das Thema. Wissen Sie endlich, was mir fehlt?«

      Matthias kämpfte mit einer passenden Antwort. Daniel hatte ihm nicht verraten, dass die Mischung aus Nervosität und Ärger gefährlich werden konnte für den Patienten.

      »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass die Ergebnisse erst morgen früh kommen.« Er schaltete das mitgebrachte Tablet ein und öffnete die Patientenakte Dieter Fuchs.

      »Wieso erst morgen früh?«, wetterte der Verwaltungsdirektor unterdessen weiter. »Warum dauert das so lange? Man könnte den Eindruck bekommen, dass das Labor nicht sehr effizient arbeitet. Am Ende war meine Auslastungsanalyse doch richtig.«

      »Das sehen die Herrschaften vom Trägerverein anders«, erwiderte Matthias in aller Seelenruhe, während er auf dem Bildschirm vor und zurück wischte.

      Dieter Fuchs schluckte.

      »Wie meinen Sie das?«

      Dr. Weigand schaltete das Tablet aus und widmete sich wieder seinem Patienten.

      »Das wissen Sie nicht?«, schützte er Unwissenheit vor. »Ach, und ich dachte, Sie hätten die Tabletten aus Angst vor dem Termin genommen.«

      »Wie bitte?« Sämtliche Farbe wich aus Dieter Fuchs‘ Gesicht. »Welcher Termin?«

      Matthias blickte verwirrt drein. War es möglich, dass Fuchs noch nichts von der Entscheidung des Trägervereins mitbekommen hatte? Obwohl die Spatzen die bittere Wahrheit längst von den Dächern respektive durch die Flure der Behnisch-Klinik riefen.

      »Am besten, Sie setzen sich mit Dr. Beckmann vom Trägerverein in Verbindung. Er kann Ihnen genau sagen, um was es geht. Sie wissen doch, wie das in einer Klinik so ist. Da kursieren immer nur Halbwahrheiten.«

      Das Klingeln des Telefons befreite ihn aus der unangenehmen Situation.

      »Wenn ich sonst nichts für Sie tun kann, wünsche ich Ihnen einen schönen Abend«, verabschiedete er sich.

      Auf dem Weg zur Tür nestelte er das Mobiltelefon aus der Kitteltasche. Es war Sophie! Endlich!

      *

      Durch die Durchreiche der Küche wehten Rufe ins Restaurant. Töpfe, Geschirr und Besteck klapperten. Wie das Summen eines Bienenvolks erfüllte das Gewirr aus Stimmen die Luft. Ab und zu riss ein Lachen aus und flatterte durch die Gaststube.

      Der Duft nach einem Urlaubsabend in Italien ließ nicht nur Daniel und Fee das Wasser im Mund zusammenlaufen.

      »Ein Besuch bei Enzo ist immer wie ein Kurzurlaub«, murmelte Fee und schob ein Stück ölglänzende Paprikaschote in den Mund.

      »Genau das war der Plan, warum ich dich heute hierher entführt habe.« Ein Teller mit Antipasti stand vor ihm. Vom Balsamico dunkelbraun gefärbte Zwiebeln. Silbrige Sardinen. Streifen vom Fenchel auf Orangenscheiben, die leuchteten wie die untergehende Sonne.

      Doch Daniel schien das Wunder vor sich nicht zu bemerken. Ein Glas Weißwein in der Hand saß er da und bewunderte seine Frau.

      Sie hörte auf zu essen. Zog eine Augenbraue hoch.

      »Was ist? Warum schaust du mich so an?«

      »Weil es mir gefällt, mit wie viel Genuss du isst.«

      Belustigtes Lachen. Fee spießte eine Cocktailtomate mit Rucola auf und wedelte mit der Gabel vor seinem Gesicht herum.

      »Wenn du dich nicht beeilst, bekommst du nichts mehr.« Ein Haps, und die Tomate verschwand in ihrem Mund.

      »Dann bestelle ich mir einfach was Neues.«

      »Das könnte schwierig sein im Moment.« Fee nickte hinüber zu Kellnerinnen und Obern, die sich vor dem Tresen versammelt hatten.

      Daniel drehte sich um.

      »Oh, sieht nach einem Geburtstag aus.«

      Die Wunderkerzen auf der Torte sprühten Funken. Der Korken knallte. Champagner sprudelte in zwei Gläser.

      »Wie kannst du mir das antun? Vor allen Leuten! Dabei wusstest du doch gar nicht, ob ich bestehe. Kannst du mir nicht still und ­heimlich einfach ein hübsches Schmuckstück schenken, wie andere Männer das machen? Zum Beispiel diese Sternenkette von meinem Lieblingsjuwelier?«

      Sowohl Daniel als auch Fee kannten diese Stimme.

      »Gewitter im Anmarsch«, stellte Daniel fest.

      »Eher ein Tornado. Sieht nicht so aus, als hätte sie die Prüfung bestanden«, schloss Fee aus Sophies Leichenbittermiene. Sie sah zu, wie ihre Freundin auf den Ober zutrat. Ihm das Glas aus der Hand nahm und es in einem Zug leerte. »Sollen wir fragen, ob sie sich zu uns setzen wollen?«

      »Gute Idee. Das könnte Matthias vor einem handfesten Ehekrach bewahren.« Daniel schob den Stuhl zurück und stand auf.

      Er wurde begrüßt wie ein Retter in größter Not. Zumindest von Matthias Weigand. Wenig später saßen sie zu viert am Tisch.

      »Und? Wie ist es gelaufen?« Todesmutig stellte Daniel Norden

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