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ganz gut. Zumindest dachte ich das. Die Fragen waren manchmal verwirrend einfach. Ich habe mich kaum getraut zu antworten, weil ich dachte, es müsste mehr dahinter stecken.«

      »Ein beliebter Trick, um die Prüflinge zu verunsichern«, bemerkte Matthias und schenkte seiner Verlobten nach. Diesmal griff sie nicht sofort zum Glas.

      »Das war aber nur am Anfang so. Später sind die Prüfer auf den Themen herumgeritten und haben immer weiter gefragt, bis mir die Antworten ausgegangen sind.«

      »Schwer vorstellbar.« Daniel garnierte seine Worte mit einem Zwinkern.

      Dachte er an die erste Zeit mit der Assistenzärztin Sophie Petzold, fielen ihm Attribute wie frech, überheblich und respektlos ein. Kein anderer ihrer Kollegen hatte es je gewagt, seine Operationspraktiken in Abrede zu stellen. Sophie war die Erste und bislang Einzige gewesen. Damals hätte er ein Scheitern in der Prüfung als Lehre verstanden. Doch die Zeiten hatten sich geändert. Heute war er anderer Meinung.

      Sophie verzog den Mund.

      »Das dachte ich auch. Aber sie haben es tatsächlich geschafft. Vor allen Dingen diese Frau Dr. Kramer. Die hatte es auf mich abgesehen.« Auch das dritte Glas Champagner musste daran glauben. »Ihr habe ich es auch zu verdanken, dass ich noch kein Ergebnis habe.«

      Mit einem Stück Brot putzte Fee Öl und Essig vom Teller.

      »Das habe ich noch nie gehört. Normalerweise wird man aus dem Zimmer geschickt und erfährt kurz darauf das Ergebnis.«

      Sophie zuckte mit den Schultern.

      »Dummerweise wurde Frau Dr. Kramer zu einem privaten Notfall gerufen und musste fort, kaum dass ich die letzte Frage beantwortet hatte.«

      Fee putzte die öligen Finger an der Serviette ab. Sie griff nach der Hand ihrer Freundin und drückte sie.

      »Und wie geht es jetzt weiter?«

      »Jetzt hoffe ich darauf, morgen mein Ergebnis zu bekommen.« Diesmal nippte Sophie nur an ihrem Glas. Sie senkte den Kopf.

      Zeit für Ablenkung!

      »Jemand Lust auf ein Stück »Torta alla Zabaione«?«, fragte Matthias Weigand betont fröhlich in die Runde.

      Daniel und Fee blickten gleichzeitig auf ihre Teller. Ein paar einsame Olivenkerne und ein Zweig Rosmarin. Mehr war nicht übrig von den Köstlichkeiten.

      »Warum nicht? Süßes hebt bekanntlich die Stimmung.«

      »Dann sollten wir unserem Verwaltungsdirektor auch mal ein paar Süßigkeiten zukommen lassen«, bemerkte Matthias, während er Torte auf die Teller verteilte. »Vielleicht hilft es ja was.«

      »Wie geht es ihm denn?« Sophie versenkte die Gabel in dem weißen, fluffigen Traum.

      »Ihr beide sitzt quasi im selben Boot. Er hat keine Ahnung, was ihn erwartet.«

      Daniel dankte Matthias und wischte einen Klecks Eigelbsahne vom Tellerrand.

      Er bemerkte die fragenden Blicke.

      »Sigmund Beckmann vom Trägerverein hat mich informiert, dass Fuchs abgelöst werden und seine Tochter die Stelle der Verwaltungsdirektorin erhalten soll.«

      Fee verschluckte sich am Tortenstück. Sie hustete, bis ihr die Tränen über die Wangen liefen.

      »Wenn er das hört, passiert ein Unglück«, krächzte sie endlich. »Diese Schmach wird er nicht überstehen«

      »Das klingt ja so, als hättest du Mitleid mit ihm«, stellte Matthias überrascht fest.

      Wie recht er hatte! Fee war selbst verwundert über diese Erkenntnis.

      »Irgendwie schon. Aber vielleicht kann ich das Schlimmste verhindern«, murmelte sie versonnen und schob ein weiteres Stück Torte in den Mund.

      *

      In dieser Nacht schlief Manfred Tuck schlecht. Schuld daran war nicht nur die drohende Operation. In erster Linie lag es an seiner Trennung von Eva. Wie konnte sich etwas, von dem er zutiefst überzeugt war, so falsch anfühlen? So weh tun? Er war dankbar, als das Leben in der Klinik wieder erwachte. Schritte und Stimmen wehten von den Fluren herein. Essenswagen rumpelten vor der Tür. Was hätte er jetzt für eine Tasse Kaffee gegeben! Wahrscheinlich nur deshalb, weil er wusste, dass er an diesem Morgen weder Kaffee noch sonst irgendetwas bekommen würde, was mit Frühstück zu tun hatte.

      »Einen wunderschönen guten Morgen, Herr Tuck.« Die gut gelaunte Stimme des Klinikchefs dröhnte ihm im Ohr.

      »Danke, ich habe schon bessere erlebt.«

      Dr. Norden trat ans Bett. Überprüfte Puls und Blutdruck.

      »Das verstehe ich. Damit Sie sich nicht noch länger Sorgen machen, bereite ich Sie jetzt auf den Eingriff vor.« Daniel zog einen Hocker ans Bett. Aus der mitgebrachten Nierenschale nahm er ein Päckchen und riss es auf.

      Manfred lugte über seine Schulter.

      »Macht das normalerweise nicht eine Schwester?«

      »Ich wollte das gern selbst übernehmen.« In traumwandlerischer Sicherheit legte er einen Zugang am Handrücken seines Patienten.

      Stille.

      »Das trifft sich gut. Dann kann ich Sie um einen Gefallen bitten.«

      »Was kann ich für Sie tun?«

      »Ich habe noch keine Patientenverfügung.« Manfred lächelte wie ein Schuljunge. »Das ist wie mit dem Testamentschreiben. Manche Dinge schiebt man vor sich her. Als ob man deshalb früher sterben würde.«

      Eine Patientenverfügung also! Manfred Tucks Wunsch überraschte Dr. Norden nicht. Inzwischen gehörte es in der Klinik zum guten Ton, schon bei der Aufnahme nach so einem Schriftstück zu fragen. Hatte ein Patient noch keine Vorsorge getroffen und wollte das Versäumnis nachholen, stellte die Klinik ein entsprechendes Formular bereit. Er bat Manfred um ein paar Minuten Geduld und kehrte wenig später mit den Unterlagen zurück. Zum Glück war er früh genug gekommen, dass sie die Fragen in aller Ruhe durchgehen konnten. Häkchen für Häkchen setzte der Klinikchef in die dafür vorgesehenen Kästchen.

      Bis er bei der letzten Frage angekommen war.

      »Keine Beatmung«, erklärte Manfred Tuck.

      Daniels Kugelschreiber schwebte über dem Formular.

      »Sind Sie sicher?«

      »Absolut.«

      Dr. Norden setzte den Haken.

      »Gut. Dann fehlt nur noch Ihre Unterschrift.« Er hielt seinem Patienten Klemmbrett und Kugelschreiber hin.

      Ein kurzes Kratzen, und das Werk war vollbracht. Erschöpft sank Manfred zurück in die Kissen.

      »Meinetwegen können Sie jetzt loslegen.«

      Es klopfte. Die Tür öffnete sich.

      »Besuch für Sie, Herr Tuck«, verkündete eine Schwester.

      Eine Frau in Jeans und schwarzem Pullover trat ein. Wie ein Vogelnest saß das blonde Haar auf ihrem Kopf. Das runde Matrjoschkagesicht war ungeschminkt. Die Schatten um die Augen verrieten eine schlaflose Nacht. Um ein Haar hätte Manfred seine eigene Frau nicht wiedererkannt.

      »Eva? Wie siehst du denn aus?«

      Sie lächelte nicht.

      »Wie heißt es so schön? Das Äußere spiegelt das Innere wieder.«

      Solche Worte aus Evas Mund? Damit hatte selbst Daniel Norden nicht gerechnet.

      Manfred wischte sich über die Augen.

      »Hast du nicht verstanden, was ich gestern gesagt habe? Ich will dich nicht mehr sehen.«

      Unbeirrt trat Eva ans Bett.

      »Was ist das?« Sie hatte das Formular auf der Bettdecke entdeckt.

      »Eine Patientenverfügung.«

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