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» … Freiheit gibt.«

      »Was für eine Freiheit soll das denn sein?« Evas Augen schwammen in Tränen. Mit ehrlicher Bewunderung sah Elena ihr dabei zu, wie sie die Tasche öffnete und ein Päckchen Taschentücher hervorkramte. Und das alles, ohne einen der Pfeilnägel abzubrechen. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, mich in einen anderen Mann zu verlieben als Manni. Er ist perfekt für mich. Was will ich denn mit so einem jungen Schnösel, der keine Ahnung hat, wie man eine Lady behandelt?«, schluchzte sie und tupfte die Tränen aus den Augenwinkeln. »Bei Manni fühle ich mich geborgen. Er beschützt mich und sorgt für mich. Seine Liebe ist wie ein warmer, weicher Mantel. Daran wird auch ein Rollstuhl nichts ändern. Warum kann er das denn nicht verstehen?«

      »Möglich, dass ihm diese Krankheit zum ersten Mal vor Augen geführt hat, dass ein so großer Altersunterschied nicht nur Vorteile hat«, gab Elena zu bedenken. »Vielleicht hat Manfred bis jetzt noch nicht darüber nachgedacht, wie es später einmal sein wird.«

      Es war Eva gelungen, die Flut zu stoppen. Sie warf den Kopf in den Nacken, dass das Vogelnest gefährlich schwankte. Trotzig wie ein kleines Mädchen schürzte sie die Lippen.

      »Aber ich habe darüber nachgedacht. Und mir macht es nichts aus, für ihn da zu sein, wenn er mich braucht. Genauso wie er für mich.«

      Schwester Elena lächelte.

      Es gefiel ihr, dass Manfred Tuck mit seiner Annahme doch nicht recht hatte. Manchmal war das Leben eben doch ein Groschenroman! »Wenn das so ist, haben Sie nur eine Wahl: Sie müssen um Ihren Mann kämpfen. Sie müssen ihm beweisen, dass Sie ihn wirklich lieben.« Sie holte Luft. »Im Moment hat er einfach nur Angst. Angst vor der Operation. Angst vor einer möglichen Behinderung. Angst davor, Sie zu ­verlieren. Diese Angst lässt ihn vergessen, wie sehr er Sie eigentlich liebt.«

      *

      Während einer Operation unterhielten sich Ärzte häufig nicht nur über Medizinisches. Sie sprachen auch gern über das Wetter. Je nach sportlicher Vorliebe über Fußball, Autorennen oder Leichtathletik. Auch Krankenhaus-Tratsch stand hoch im Kurs. Aus Erfahrung wusste Dr. Daniel Norden, dass es ein gutes Zeichen war, wenn über Pläne fürs Wochenende geredet oder Witze erzählt wurden. Das bedeutete, dass das Team nicht gestresst war. Dass der Eingriff gut lief.

      Was also hatte es zu bedeuten, dass an diesem Morgen tiefes Schweigen im OP herrschte? Das einzige Geräusch machten die Überwachungsgeräte. Hin und wieder seufzte ein Kollege. Fiel ein Operationsinstrument klappernd in eine Nierenschale. Mehr war nicht zu hören. Dr. Norden saß am Kopfende des Patienten und blickte durch ein Mikroskop auf das Operationsfeld.

      »Wie geht es ihm?«

      Dr. Räther hatte die Geräte eben erst gecheckt. Trotzdem sah sie gleich wieder auf die Zahlen, die schneller hin und her sprangen als die Kurse an der Börse. Sie legte die Hand auf die Stirn des Patienten. Auf seine Wange.

      »Bis jetzt ist alles normal.«

      Dr. Matthias Weigand wusste, was er zu tun hatte. Er sah hinüber zur Kollegin Lekutat.

      »Sie können jetzt das Kontrastmittel injizieren.«

      Die Lekutat stand am OP-Tisch. Sie reagierte nicht.

      »Kollegin Lekutat?«

      Ein Zucken.

      »Jaja, ist ja schon gut.« Sie griff nach der Spritze, gefüllt mit einer giftgrünen Flüssigkeit. Hob sie hoch und ließ den Inhalt langsam in den Zugang an Manfred Tucks Handgelenk laufen.

      Dr. Weigand konzentrierte sich wieder auf den Bildschirm über dem Operationstisch.

      »In zwei Minuten kann es losgehen.« Er hatte noch nicht ausgesprochen, als es passierte.

      Ein Keuchen, gefolgt von einem Klappern. Die Augen sämtlicher Anwesender richteten sich auf Christine Lekutat. Die Plastikspritze war ihr aus der Hand gefallen. Ihr rechter Arm hing herab.

      »Milan essen Mittag Thailand«, stammelte sie. Drehte sich um und machte ein paar Schritte. Zog das rechte Bein hinter sich her. Bevor einer der Kollegen eingreifen konnte, verdrehte sie die Augen und fiel um. Wie ein nasser Sack klatschte sie auf den Boden.

      Einen Moment lang stand die Zeit im Operationssaal still. Sogar die Geräte schienen eine Pause zu machen.

      »Matthias, du übernimmst!« Daniel Nordens Stimme zerriss die Stille.

      Mit einem Schlag war alles wieder da. Die Überwachungsgeräte piepten, das Beatmungsgerät schnaufte und pumpte. Daniel kniete neben Christine Lekutat. Er riss ihr die Maske vom Gesicht. Der hängende Mundwinkel war ein weiteres Indiz.

      »Verdacht auf Schlaganfall. Schwester Kathrin, informieren Sie die Radiologie! Außerdem brauchen wir eine Liege. Schnell!«

      Eilige Schritte quietschten auf dem Fliesenboden. Die Schiebetür zum OP öffnete sich. Leise Stimmen wehten herüber. Metall klapperte.

      »Ihr anderen macht weiter«, wies Daniel seine Kollegen an. »Ich schicke eine Vertretung.«

      Es brauchte zwei Schwestern und einen Pfleger, um Dr. Lekutat auf die Liege zu wuchten. Daniel Norden wischte sich den Schweiß von der Stirn.

      »Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich vorher ein paar Mal ins Training gegangen«, schimpfte er auf dem Weg in die Radiologie.

      Im Operationssaal herrschte dagegen Stille. Der Zwischenfall hatte nicht gerade für Erleichterung gesorgt. Besorgtes Tuscheln von links und rechts.

      »Konzentration bitte, Herrschaften!«, mahnte Dr. Weigand seine Kollegen. Er hatte den Platz des Klinikchefs eingenommen. Blickte konzentriert durch das Mikroskop. »Frischer Neurotupfer für mich.«

      »Der Tumor ist dargestellt.«

      Wieder schoben sich die Türen auf. Der Neurochirurg Milan Aydin fuhr herein. Er hatte den Rollstuhl gegen ein elektrisches Modell getauscht, ganz auf seine Bedürfnisse abgestimmt.

      Doch an diesem Tag konnte er sich nicht recht darüber freuen, seine Kollegen um ein ganzes Stück zu überragen.

      Die Nachricht von Dr. Lekutats Zusammenbruch hatte ihn schwer getroffen. Auch wenn er unmöglich Schuld daran haben konnte. Oder etwa doch?

      »Das Monitoring sieht gut aus«, erklärte Dr. Räther mit einem Blick auf den Bildschirm, auf dem die Hirnströme des Patienten dargestellt waren.

      »Dann ist jetzt Showtime!« Matthias atmete tief durch. »Ich schalte um auf Blaufilter.« Angestrengt blickte er durch das Mikroskop. »Da ist er!«

      »Wunderschön!« Dr. Aydin starrte auf den Bildschirm. »Ein Wunder der Natur.«

      »Ehrlich gesagt finde ich einen Regenbogen schöner«, erwiderte Matthias. »Und harmloser. Tumorpinzette!« Er streckte die Hand aus.

      Fühlte das kühle Metall durch den Handschuh. Führte das Instrument mit ruhiger Hand. Stück für Stück arbeitete er sich vorwärts.

      Ein Alarm zerriss die Konzentration. Er zog eine Augenbraue hoch.

      »Was ist los?«

      Ramona Räther wusste Bescheid.

      »Das Monitoring zeigt Auffälligkeiten.«

      »Soll ich stoppen?«

      »Wäre gut.« Mit einer Taschenlampe leuchtete sie in die Pupillen des Patienten. »Er krampft.« Der Beweis folgte, kaum dass sie ausgesprochen hatte. Sie drückte ein Medikament in den Zugang an seiner Hand. »Ganz ruhig, Herr Tuck. Sie schaffen das«, sprach sie beruhigend auf den schlafenden Mann ein. Sie schämte sich nicht dafür, gab es doch Beweise genug, dass das Unterbewusstsein der Patienten durchaus aufnahmefähig war. »Gleich ist es vorbei.«

      Sie hatte nicht zuviel versprochen. Manfreds Gliedmaßen entspannten sich zusehends.

      Dr. Weigand atmete auf.

      »Schweiß.«

      Eine Schwester trocknete seine die Stirn.

      »Danke.«

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