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unsere Herzspezialistin und somit eine sehr erfahrene Ärztin ist?«

      »Na und? Auch Herzspezialisten sind nur Menschen«, erwidere Sophie lapidar und ohne hochzusehen.

      »Und was hätte Dr. Linhardt deiner Ansicht nach tun sollen?«, fragte Matthias weiter.

      »Ich hätte es zuerst mit einer medikamentösen Fibrinolyse versucht. Das Risiko einer PTA war einfach zu hoch.«

      Matthias Weigand spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. »Das ist ja mal wieder typisch. Frau Doktor Petzold weiß alles besser.«

      »Natürlich.« Sophie klappte die Zeitschrift zu und warf sie auf den Tisch. Sie fixierte ihren Verlobten wie ein Torero den Stier. »Im Gegensatz zu euch alten Hasen bin ich durch meine Facharztausbildung auf der Höhe der Zeit.«

      Das war ja wohl die Höhe!

      In dem Maß, in dem sich Matthias Weigands Magen verknotete, zogen sich seine Mundwinkel nach unten. Hatte sie denn wirklich nichts gelernt aus den Auseinandersetzungen der Vergangenheit? Sollte alles werden wie früher? Alles umsonst gewesen sein? Er sah Sophie zu, wie sie aufstand und zum Kühlschrank ging.

      »Jetzt fang bloß nicht schon wieder damit an!«, schimpfte er. »Nicht umsonst war ich neulich erst auf der Jahresversammlung der Internisten und nehme laufend an Fortbildungen teil.«

      Sophie wandte ihrem Verlobten den Rücken zu. Sie studierte den Inhalt des Kühlschranks, als hätte sie nie Faszinierenderes gesehen.

      »Trotzdem denke ich, dass ich durch meine gerade erst abgeschlossene Ausbildung am Puls der Zeit bin«, erwiderte sie ungerührt. Nahm einen Joghurt zur Hand, studierte das Etikett und stellte ihn wieder zurück. »Im Gegensatz zu euch bin ich in den Genuss modernster Unterrichtsmethoden gekommen, konnte zahlreiche Operationen durch Video-Konferenzen live verfolgen und verschiedenste Behandlungsmethoden an einem Computermodell simulieren.«

      »Das bedeutet aber noch lange nicht, dass du ein besserer Arzt bist als wir anderen.«

      »Stimmt auffallend. Wenn, dann bin ich eine bessere Ärztin.«

      Etwas an Sophies Stimme ließ Matthias aufhorchen.

      »Sag mal …« Er packte sie an den Schultern und drehte sie zu sich herum. »Du nimmst mich auf den Arm!«

      In diesem Moment hielt Sophie es nicht länger aus. Sie prustete los und lachte, bis ihr die Tränen über die Wangen liefen.

      »Reingefallen! Reingefallen!«, freute sie sich und klatschte in die Hände wie ein kleines Mädchen. »Jetzt sind wir quitt.«

      »Was habe ich dir denn getan, dass du mich dermaßen an der Nase herumführen musst?«, verlangte Matthias zu wissen. Noch wusste er nicht, ob er wütend oder erleichtert sein sollte.

      Sophie stemmte die Hände in die Hüften und schob das Kinn vor.

      »Das war die Retourkutsche dafür, dass du mir zum Facharzt nur ein lausiges Namensschild geschenkt hast statt der Kette, die ich mir so sehr gewünscht habe.«

      Daher also wehte der Wind!

      Matthias lachte und schloss seine Verlobte in die Arme.

      »Was bist du doch für ein freches, kleines Luder. Und ich dachte schon, ich hätte dich wenigstens ein bisschen gezähmt.«

      »Das willst du doch gar nicht«, raunte Sophie an seinem Hals.

      »Stimmt auch wieder.« Er löste sich aus der Umarmung und trat einen Schritt zurück.

      Erst jetzt spürte Sophie etwas Kühles am Hals. Sie hob die Hand.

      »Was ist … Aber … Was hast du getan?« Sie musste nicht in den Spiegel sehen, um zu wissen, was Matthias ihr klammheimlich um den Hals gelegt hatte.

      »Weißt du eigentlich, dass du der größte Spielverderber aller Zeiten bist?« Er beugte sich vor und rieb seine Nasenspitze an ihrer. »Nach der Reklamation von gestern Abend hatte ich vor, dir die Kette heute Abend bei einem romantischen Abendessen zu Hause zu überreichen. Ganz so, wie du es dir gewünscht hast. Aber wenn du so ungeduldig bist …«

      Weiter kam er nicht. Sophie fiel ihm um den Hals und küsste ihn, als gäbe es kein Morgen mehr. Diesmal beschwerte sich Matthias nicht. Ihm war es egal, wann sie ihn küsste. Hauptsache, sie tat es. Und sie tat es mit Leidenschaft.

      *

      Mit quietschenden Bremsen hielt Dr. Milan Aydin den Rollstuhl vor dem Krankenzimmer an. Er sah von links nach rechts. Ein Glück! Keine Menschenseele war zu sehen. Das konnte ihm nur recht sein. Niemand musste erfahren, was er jetzt tat. Ein Stoß, und die Tür öffnete sich so weit, dass er ins Zimmer fahren konnte. Ein weiterer Stoß, und sie fiel mit leisem Klacken ins Schloss. Erst dann rollte er ans Bett, in dem Christine Lekutat lag und schlief. Ein stiller Eisberg in einer blinkenden, piependen Stadt.

      »Hallo, Kollegin!« Obwohl er nicht sicher war, ob seine Worte wirklich zu ihr vordrangen, war er nervös. Seine raue Stimme verriet ihn. Wie seltsam, das quirlige Kraftpaket so still daliegen zu sehen! »Ich wollte mal nach Ihnen sehen.« Milan räusperte sich. »Ihnen von der Operation erzählen, vor der Sie sich erfolgreich gedrückt haben. Stellen Sie sich vor: Dem Patienten geht es gut. Er ist aufgewacht. Und obwohl der Kollege Weigand den Eingriff geleitet hat, funktioniert Herr Tuck wieder einwandfrei. Ist das nicht erstaunlich?« Milan lachte leise. »Wirklich schade, dass Sie das alles verpassen.« Das Lachen wurde zum Lächeln und versickerte schließlich ganz. Er betrachtete das Gesicht der Kollegin, rund und blass wie ein Laib Butterkäse. Über ihrem Kinn klebte ein Pflaster. Es hielt den Beatmungsschlauch an seinem Platz. Das war ein klarer Vorteil unattraktiver Menschen: Sie konnte nichts entstellen. Im nächsten Moment schämte sich Milan für diesen Gedanken. Schließlich war er hergekommen, um sich bei Christine Lekutat zu entschuldigen. Vielleicht war er wirklich zu hart gewesen. Hätte er ihr wenigstens die Freundschaft anbieten sollen, statt sie knallhart abzuservieren?

      Er war so vertieft in seine Gedanken, dass er den Besucher nicht bemerkte, der das Zimmer betrat.

      Im ersten Moment wunderte sich Dr. Norden. Bis er sich an das Gespräch zwischen Aydin und der Herzspezialistin Linhardt erinnerte. Er trat neben seinen Kollegen und warf einen Blick auf die Werte auf dem Geräteturm.

      »Und? Irgendwas Neues?«

      Milan zuckte zusammen. Doch er hatte sich schnell wieder im Griff.

      »Ach, Chef, Sie sind es. Ich bin zufällig vorbeigekommen und dachte, ich schaue mal rein.«

      Daniel verkniff sich einen Kommentar. Im Augenblick gab es wichtigere Dinge als Kliniktratsch.

      »Die Kollegin Linhardt ist mit mir einer Meinung, dass wir Dr. Lekutat langsam aufwachen lassen sollten. Assistieren Sie mir?« Daniel drehte am Rädchen der Infusion.

      Mist! Er saß in der Falle. Eigentlich hatte er seinen Besuch zumindest vor Christine verheimlichen wollen.

      »Natürlich, Chef.« Milan zupfte ein Papiertuch aus dem Spender und hielt ihn unter den Beatmungsschlauch.

      Eine behutsame Bewegung und Christine atmete allein weiter. Daniel legte die Beatmungsutensilien in eine Nierenschale. Er setzte das Stethoskop auf die Ohren und hörte Dr. Lekutats Lunge ab.

      »Atmung unregelmäßig«, murmelte er vor sich hin. »Beruhigt sich aber langsam.« Er hängte das Stethoskop um den Hals. Sah hinüber zu den Geräten. »Der Puls könnte auch gleichmäßiger sein.« Er zog die kleine Taschenlampe aus der Brusttasche. Leuchtete zuerst in das linke, dann in das rechte Auge der Kollegin. »Reflexe sind da!« Immerhin war das eine gute Nachricht.

      Milan atmete erleichtert auf.

      »Dann … Na, dann kann ich ja jetzt gehen … Ich meine fahren.« Er nickte dem Chef zu. Rollte rückwärts auf die Tür zu. Öffnete sie mit der Linken und verschwand ohne ein weiteres Wort.

      Was sagte man dazu? Doch Daniel Norden hatte im Augenblick Wichtigeres zu tun, als darüber nachzudenken. Er zog einen Hocker ans Bett und setzte sich an Christines Seite. Musterte ihr Gesicht. Bemerkte

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