Скачать книгу

auf den Vulkanausbruch, der sie mit Lava und Asche überschütten würde. Aber nichts dergleichen geschah. Vorsichtig öffnete sie die Augen wieder. Blinzelte zu Dieter hinüber.

      Der Verwaltungsdirektor saß am Tisch. Seine Hände lagen nebeneinander auf den Unterlagen. Sie zitterten leicht. Er sah nicht etwa aus dem Fenster und bewunderte das Wolkenspiel am Himmel. Stattdessen fixierte er einen Fleck an der Wand. Ein Muskel über dem Augenlid zuckte.

      »Meine Tochter. Beckmann will meine Tochter, nicht wahr?«, fragte er nach einer gefühlten Ewigkeit.

      »Ja. Allerdings bin ich mir sehr sicher, dass Sie an einem Burnout-Syndrom leiden. Wir arbeiten mit einer psychosomatischen Klinik zusammen, die sich auf solche Fälle spezialisiert hat. Ich kann Ihnen anbieten, Sie an die Kollegen zu überweisen. Dort sind Sie in den besten Händen. Können sich erholen und nebenbei in Ruhe ein neues Betätigungsfeld suchen. Und das alles, ohne dass Ihr Ruf beschädigt wird.«

      Wieder Schweigen. Eine halbe Ewigkeit lang. Fees Pause war längst vorbei. Doch darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen.

      »Das klingt nach einem Plan.« Endlich wandte Dieter Fuchs den Kopf und sah sie an. »Ich bin einverstanden. Leiten Sie alles Notwendige in die Wege. Und jetzt gehen Sie wieder an Ihre Arbeit. Ich glaube nicht, dass Sie für das hier bezahlt werden.«

      War das der Dank für all ihre Bemühungen? Für die schlaflose Nacht? Doch dann bemerkte Fee ein Blitzen in seinen Augen, das vorher nicht da gewesen war. Mehr Dank konnte sie von Dieter Fuchs nicht erwarten.

      *

      Der Überwachungsmonitor tutete leise vor sich hin. Unermüdlich fuhren die Linien über den Bildschirm.

      Das Beatmungsgerät schnaufte wie ein Blasebalg. Dr. Norden stand am Bett seines Patienten. Er drehte am Rädchen der Infusion. Betrachtete den schlafenden Manfred. Die Maske mit dem Beatmungsschlauch bedeckte das halbe Gesicht. Eigentlich hätte er schon längst entfernt werden sollen. Wäre da nicht ein Problem gewesen.

      »Herr Tuck!« Daniel klopfte sanft auf Manfreds Wange. »Hallo, Herr Tuck. Können Sie mich hören?«

      Schwester Elena stand neben ihm.

      »Und?«

      »Immer noch nichts«, seufzte Daniel Norden. »Ich habe gerade noch einmal mit Dr. Räther telefoniert. Die Narkose verlief ohne Komplikationen. Bis auf diesen einen Krampfanfall war Herr Tuck stabil.« Wieder der Blick hinab auf den schlafenden Mann. »Warum will er nicht aufwachen?«

      »Manchmal dauert es eben ein bisschen«, versuchte Schwester Elena, ihren Freund zu trösten. »Manchmal denke ich, diese schnelllebige Zeit hat uns viel zu ungeduldig werden lassen. Dabei gibt es Dinge, die einfach ihre Zeit brauchen.«

      Dr. Norden rang sich ein Lächeln ab.

      »Ich würde dir wirklich gern recht geben, wäre da nicht diese Patientenverfügung.«

      Elena schluckte.

      »Was genau steht darin?«

      »Im Augenblick erinnere ich mich nur an einen Punkt: Wenn er nicht allein atmen kann, soll ich die Geräte abschalten.«

      »Oh, nein.« Elena schlug die Hand vor den Mund. Der schlafende Manni verschwamm vor ihren Augen. Vermischte sich mit ihrer Erinnerung an Eva. Nicht auszudenken, was sie dazu sagen würde.

      »Wir müssen seine Frau informieren.« Daniel Nordens Stimme verriet seine Erschütterung.

      »Ich kümmere mich darum«, versprach Elena und wollte sich schon auf den Weg machen, als er sie zurückhielt.

      »Christine Lekutat sollte gleich aus dem OP kommen. Ich will hören, wie es gelaufen ist.« Es war ihm anzusehen, dass ihm diese Worte nicht leicht fielen. Dass er etwas Zeit gebraucht hätte. Zeit, um innezuhalten. Nachzudenken. Zu trauern. Zu verarbeiten. Doch an einem Ort wie diesem durfte man keine Zeit verlieren. Nicht hier, wo Menschen auf Hilfe hofften. Wo eine Minute über Leben und Tod entscheiden konnte. »In etwa einer halben Stunde bin ich zurück. Denkst du, das reicht für einen Abschied?«

      Elena biss sich auf die Unterlippe.

      »Kann man je Zeit genug für ein letztes Mal haben?«

      *

      Entgegen seiner Hoffnung musste Dr. Norden nicht lange im Vorraum des Operationsbereichs warten.

      »Und? Wie sieht es aus?«, fragte er die Herzspezialistin Katharina Linhardt, die den Eingriff bei Dr. Lekutat vorgenommen hatte.

      Er trat neben sie ans Waschbecken und sah ihr dabei zu, wie sie sich die Hände wusch.

      »Der Eingriff ist gut verlaufen. Wir konnten die Engstelle aufweiten und die Durchblutung in vollem Umfang wiederherstellen.«

      Daniel atmetet auf.

      »Immerhin etwas.«

      Sie stellte das Wasser ab und nahm dankend das Handtuch, das er ihr reichte.

      »Ihnen muss ich ja sicher nicht erzählen, dass das Problem damit nicht behoben ist.« Das weiche Frottee fühlte sich gut an auf der gestressten Haut.

      Schade, dass es so etwas nicht auch für das Gemüt gab. Einen wildfremden Patienten zu behandeln, war die eine Sache. Einen Kollegen, mit dem man schon viele Schlachten geschlagen hatte, eine ganz andere.

      »Wir wissen noch nichts über die Schäden, die der Schlaganfall angerichtet hat«, fuhr Katharina fort. »Außerdem haben die Untersuchungen ergeben, dass es um zwei ihrer Herzkranzgefäße nicht allzu gut bestellt ist. Am liebsten hätte ich das gleich noch mitgemacht.« Sie zielte. Das Handtuch landete im Korb für die Schmutzwäsche. »Wenn ich keine Lust mehr auf Herzen habe, wechsele ich zum Basketball«, sagte sie ohne ein Lächeln.

      Im Normalfall war Dr. Norden für jeden Scherz zu haben. Diesmal war er mit den Gedanken aber woanders. Er kannte das Problem, von dem Katharina Linhardt sprach.

      »Manchmal weiß man gar nicht, welchen Feind man zuerst angreifen soll.«

      Wie Sahne sprudelte die Handcreme aus dem Spender auf Katharinas Haut. Einen Moment lang wähnte sich Daniel in einem Orangenhain. Leider verflog der Duft viel zu schnell wieder.

      »Wussten Sie, dass statistisch gesehen die Hälfte der Patienten nach einem Schlaganfall auf Hilfe angewiesen ist?«, fragte Dr. Linhardt.

      »Können Sie sich die Kollegin Lekutat als Pflegefall vorstellen?«

      »Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Pflegekraft freiwillig länger als ein paar Tage bei ihr bleibt«, erwiderte Katharina schmunzelnd.

      Endlich lächelte auch Daniel.

      »Gut möglich, dass Sie recht haben.« Seite an Seite machten sie sich auf den Weg zum Klinikkiosk. Nach diesem Schock hatten sie sich eine Stärkung verdient.

      Katharina entschied sich für Kaffee mit Hafermilch und Vollkorn-Karottenkuchen.

      Daniels Miene sprach Bände.

      »Ein Glück, dass die Kollegin Lekutat das nicht sieht. Ein passender Spruch wäre Ihnen sicher.«

      »Dabei würde es Christine nicht schaden, sich ein paar Gedanken über ihre Ernährung zu machen. Sonst ist alles, was wir tun, vergebliche Liebesmühe.«

      »Eines nach dem anderen.« Ungeachtet des strengen Blicks löffelte Daniel Zucker in seinen Kaffee. »Zuerst einmal müssen wir sie überhaupt wieder auf die Beine bekommen.« Er nippte am Kaffee. Süß und stark, mit einem schönen Nussaroma, genau wie er es mochte. »Wie wollen Sie weiter verfahren?«

      »Sobald sie aufgewacht ist und wir wissen, wie sie den ersten Eingriff überstanden hat, kümmere ich mich um ihr Herz. Natürlich hoffe ich, dass wir das Problem der Herzkranzgefäße mit Stents in den Griff bekommen.«

      »Die Alternative wären Bypässe.«

      »So weit wird es hoffentlich nicht kommen«, erwiderte Dr. Linhardt und schob ein Stück Karottenkuchen in den Mund.

Скачать книгу