Скачать книгу

bot mir die Hand, und ich nahm sie an.«

      »So gehe zu ihr. Die Menschen sind niemals dienstfertiger, als nach einer Versöhnung. Die ausgetilgte Feindschaft erscheint ihnen wie eine eben geheilte Wunde, die man mit Schonung anrühren muß, und Setchem ist Deines Blutes und von weichem Herzen.«

      »Sie ist nicht reich,« gab Katuti zurück. »Jede Palme in ihrem Garten kommt von ihrem Gatten und gehört ihren Kindern.«

      »Auch Paaker war bei Dir?«

      »Gewiß nur auf Antrieb seiner Mutter,« sagte Katuti. »Er haßt meinen Schwiegersohn.«

      »Ich weiß es,« murmelte der Zwerg, »aber wenn Nefert ihn bitten wollte?«

      Entrüstet fuhr die stolze Wittwe auf. Sie empfand, daß sie dem Zwerge zu viel gestattet habe, und befahl ihm, sie allein zu lassen.

      Nemu küßte ihr Gewand und fragte schüchtern:

      »Soll ich vergessen, was Du mir vertrautest, oder gestattest Du, daß ich weiter auf Deines Sohnes Rettung sinne?«

      Katuti blieb einige Augenblicke unschlüssig, dann sagte sie.

      »Was ich zu unterlassen habe, hast Du klug begründet; vielleicht zeigt Dir ein Gott, was ich thun soll. Jetzt laß mich allein!«

      »Bedarfst Du meiner morgen früh?« fragte der Kleine.

      »Nein!«

      »So fahr' ich in die Nekropole und opfere.«

      »Geh',« sagte Katuti und schritt mit dem verhängnißvollen Briefe dem Hause entgegen.

      Nemu blieb allein zurück. Nachdenklich schaute er zu Boden und murmelte vor sich hin:

      »Sie dürfen nicht der Ehrlosigkeit verfallen, jetzt nicht: sonst geht Alles verloren. Was ist diese Ehre?! Alle kommen ohne sie auf die Welt, die Meisten von uns gehen, ohne sie zu kennen, als gute Leute zu Grabe. Nur Einige, die reich sind und müßig, verfilzen mit ihr die schlichten Fäden ihrer Seelen, wie die Kuschiten ihr Haar mit Fett und Balsam, bis es zur Kappe 81 wird, die sie entstellt und auf die sie so stolz sind, daß sie sich lieber die Ohren, als das Unding abschneiden lassen. Mir ahnt, mir ahnt . . ., aber eh' ich wieder den Mund aufthue, gehe ich zu meiner Mutter, die mehr weiß als zwanzig Propheten.«

      Zwölftes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Bevor die Sonne des folgenden Tages aufgegangen war, ließ sich Nemu mit dem kleinen weißen Esel, den ihm des Rosselenkers Mena verstorbener Vater vor vielen Jahren geschenkt hatte, über den Nil setzen. Er benutzte die kühle Stunde, welche dem Erscheinen des Tagesgestirns vorausgeht, zu seinem Ritte durch die Nekropole.

      Wohl vertraut mit Weg und Steg, vermied er die zu dem Ziele seiner Wanderung führende Straße und trabte dem Berge zu, welcher das Thal der Königsgrüfte von der Nilebene trennt.

      Vor ihm öffnete sich ein herrliches Halbrund von himmelhohen Kalkfelsen, der Hintergrund des stattlichen Terrassentempels, welchen die stolze Vormünderin zweier Könige des gestürzten Pharaonenhauses, die große Hatasu, ihrem eigenen Angedenken und der Göttin Hathor errichtet hatte.

      Nemu ließ das Heiligthum zu seiner Linken liegen und ritt den steilen Bergpfad, den nächsten aus der Ebene in das Thal der Königsgräber führenden Weg, hinan.

      Unter ihm lag, in all' seinen Theilen zu überschauen, der Terrassenbau Hatasu's und vor ihm die still in der kühlen Dämmerung schlummernde Nekropole mit ihren Häusern und Tempeln und Kolossen, der breite glänzende, von weißen Segeln und Morgennebeln überwehte Nil und im fernen, von der aufgehenden Sonne gerötheten Osten die Wohnstadt Theben mit ihren Riesentempeln.

      Aber der Zwerg sah nichts von dem herrlichen Bilde zu seinen Füßen. In Gedanken versunken, ließ er, weit vorgebeugt über den Hals seines Esels, das keuchende Thierchen nach seinem Gefallen bald klimmen, bald ruhen.

      Als er die halbe Höhe des Berges erreicht hatte, vernahm er das Geräusch der Schritte eines sich ihm mehr und mehr nähernden Wanderers.

      Der rüstige Schreiter hatte ihn bald eingeholt und entbot ihm den Morgengruß, welchen er freundlich erwiederte.

      Der Bergpfad war schmal, und als Nemu bemerkt hatte, daß der ihm folgende Mann ein Priester war, hielt er an einer ebenen Stelle des Weges sein Eselein an und sagte ehrerbietig. »Wandre vorüber, heiliger Vater, denn Deine beiden Füße schreiten schneller als meine vier Hufe.«

      »Eine Leidende bedarf meiner Hülfe,« erwiederte der Arzt Nebsecht, Pentaur's Freund, den wir im Setihause und am Krankenlager des Paraschitenmädchens kennen gelernt haben, und schickte sich an, dem langsamen Reiter den Vortritt abzugewinnen.

      Da erhob sich über den purpurnen Horizont des Ostens die glühende Sonnenscheibe und aus dem Heiligthum zu Füßen der Wanderer klang ein frommer, vielstimmiger Männergesang zu ihnen empor.

      Nemu glitt von seinem Esel und nahm die Stellung eines Betenden ein. Der Priester folgte seinem Beispiele, aber während der Zwerg seine Augen der Wiedergeburt des Sonnengottes am Berge des Ostens andächtig zukehrte, weilten die seinen am Boden und eine seiner hoch erhobenen Hände senkte sich und griff nach einer seltenen am Wege liegenden versteinerten Muschel.

      Nach einigen Minuten erhob sich Nebsecht und Nemu folgte ihm nach.

      »Ein schöner Morgen,« sagte der Zwerg; »die heiligen Väter da unten sind heute früher auf wie gewöhnlich.«

      Der Arzt lächelte zustimmend und fragte: »Gehörst Du in die Nekropole? Wer hält sich hier Zwerge?«

      »Niemand,« antwortete der Kleine, »aber ich gebe Dir Deine Frage zurück. Wer von Denen, die hier hinter den Bergen wohnen, ist so vornehm, daß ein Arzt aus dem Setihause seine Nachtruhe für ihn opfert?«

      »Die ich besuche, ist gering, aber ihr Leiden ist groß,« sagte Nebsecht.

      Nemu schaute ihn verwundert an und murmelte:

      »Das ist edel, das ist . . .« aber er sprach diesen Satz nicht aus, sondern schlug sich vor die Stirn und rief: »Du gehst im Auftrage der Prinzessin Bent-Anat zu dem überfahrenen Paraschitenkinde. Ich wußt' es ja, einen vornehmen Beigeschmack muß die Speise haben, für welche die Herren so früh aufstehen. Wie geht es dem armen Kinde?«

      In den letzten Worten lag so viel warme Theilnahme, daß der Arzt, welcher den Vorwurf des Zwerges nicht unberechtigt fand, freundlich antwortete:

      »Nicht schlecht; sie wird erhalten werden können.«

      »Den Göttern sei Dank,« rief Nemu, während der Andere an ihm vorüberging.

      Mit verdoppelter Eile stieg Nebsecht den Berg hinauf und hinunter und hatte längst an dem Lager der verwundeten Uarda in der Paraschitenhütte Platz genommen, als Nemu sich der Wohnung seiner Mutter Hekt, der Zauberin, von welcher Paaker den Liebestrank empfangen, näherte.

      Die Alte saß vor der Thür ihrer Höhle.

      Neben ihr lag ein Brett mit Querhölzern versehen, zwischen denen ein kleiner Knabe also ausgestreckt war, daß sie seinen Kopf und seine Sohlen berührten.

      Hekt verstand die Kunst, Zwerge zu machen; das Spielzeug in Menschengestalt wurde gut bezahlt und das Kind auf der Marterbank mit seinem hübschen Gesichtchen versprach zu einer werthvollen Waare zu werden.

      Sobald die Zauberin den Nahenden bemerkte, beugte sie sich über den Knaben, nahm ihn mit sammt dem Brett in die Arme, trug ihn in ihre Höhle und sagte streng:

      »Wenn Du Dich rührst, Junge, so gibt es Schläge. Jetzt laß Dich binden.«

      »Nicht binden!« bat der Knabe. »Ich will still sein und ruhig liegen.«

      »Streck' Dich!« befahl die Alte und schnürte das weinende Kind mit einem Seile an das Brett. »Wenn Du still bist, so geb' ich

Скачать книгу