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Entdeckung nicht in den Keller gegangen, waren umgekehrt, hatten die Tür nicht geöffnet.

      „Frankie!“ sagte Kristin. Ich spürte, wie sie sich neben mich kauerte, mich in die Arme nahm. „Komm, nimm’s nicht so tragisch. Es ist doch eigentlich gar nichts passiert. Vielleicht gibt es ja doch noch eine ganz natürliche Erklärung für alles. Wer weiß, in ein paar Tagen lachen wir über die ganze Geschichte. Du darfst dich nicht so damit herumquälen!“

      „Es gibt keine natürliche Erklärung“, murmelte ich hinter vorgehaltenen Händen. „Nicht für den Traum – für die Tür nicht. Und auch nicht für die Geräusche. Es gibt keine!“

      Eine Weile herrschte Schweigen zwischen uns. Dann sagte Kristin: „Du, wir reden mit meinem Vater über alles. Vielleicht hat er schon mal von einem ähnlichen Fall gehört oder gelesen und weiß eine Erklärung.“

      Ich richtete mich auf und ließ die Hände sinken. „Nein!“ sagte ich. „Nein, wir sagen ihm nichts. Er würde bestimmt denken, daß ich verrückt und hysterisch bin und Zwangsvorstellungen habe! Vielleicht würde er sogar an meine Eltern schreiben, daß sie mich zu einem Nervenarzt schicken sollen, und…“

      Kristin fiel mir ins Wort. „Nein, so was würde er nicht tun! Da kennst du meinen Vater schlecht. Aber gut, wenn du nicht willst, daß wir es ihm sagen, lassen wir es eben. Und Sten und Magnus? Willst du es vor ihnen auch verheimlichen?“

      „Sie würden auch denken, daß ich durchgedreht bin“, sagte ich müde.

      „Aber Magnus’ Großmutter hat doch selbst gesagt…“, begann Kristin. Dann stockte sie und sah mich an. „Frankie, sollen wir zu ihr gehen und ihr alles erzählen? Aber nein, das gäbe bloß eine fürchterliche Tratscherei im Dorf. Mein Vater würde das sicher nicht wollen. Wir müssen versuchen, an etwas anderes zu denken. Wir müssen uns ablenken!“

      Sie sprang auf. „Paß auf, wir machen eine Radtour, das wird dir guttun. Und nachmittags rufen wir dann Sten oder Magnus an. Vielleicht haben sie Zeit, sich mit uns zu treffen.“

      Ich war richtig dankbar für den Vorschlag. Rasch holten wir die Fahrräder aus dem Schuppen hinter dem Haus. Als wir das Gittertor öffneten, kam uns Märta über den Waldweg entgegen. Sie hatte einen vollbeladenen Einkaufskorb auf dem Gepäckträger. Wir hielten den Torflügel für sie auf.

      Während Kristin ein paar Worte mit ihr wechselte, sah ich zum Haus zurück. Trotz des hellen Sommertags wirkte es dunkel und düster zwischen den hohen Bäumen. Kaum ein Sonnenstrahl drang durch das dichte Laubdach. Ein Haus, das ewig im Schatten lag, ein finsteres Haus mit dunkler Vergangenheit – ein Haus, das nichts vergessen hatte…

      Ich schauderte. Das Gittertor fiel quietschend ins Schloß. Kristin sagte: „Ich habe Märta gesagt, daß wir irgendwo unterwegs essen. Dann brauchen wir mittags nicht schon wieder zurück zu sein.“

      Im Wald war es still und friedlich, doch es dauerte lange Zeit, bis ich ruhiger wurde. Wir fuhren langsam zwischen den Bäumen dahin. Es roch nach Harz und Nadelbäumen. Zwischen dem Moos leuchtete ein Meer von Blaubeeren. Große, flechtenüberzogene Felsbrocken säumten den Wegrand, die Kristin „Trollsteine“ nannte. Über uns bildeten die Baumwipfel ein lichtes, hohes Dach aus Zweigen und Blättern, und auf dem Weg tanzten Sonnenkringel über Steine, Gras und Wurzeln. Die Birkenstämme glänzten silbrig zwischen Kiefern und Tannen. Irgendwo plätscherte ein Bach.

      Wir radelten über eine alte Steinbrücke und kamen an einen Wegweiser, auf dem Rävbo stand. „Dahin fahren wir!“ sagte Kristin. „Vielleicht gibt’s in Rävbo ein kleines Gasthaus, wo wir etwas zu trinken kriegen. Ich hab teuflischen Durst.“

      Ich merkte plötzlich, daß ich hungrig war. Ich hatte ja kaum etwas gefrühstückt, mein Magen war wie zugeschnürt gewesen. Jetzt, fern vom Pfarrhaus, erwachten meine Lebensgeister wieder. Mir war zumute, als hätte ich einen Bannkreis durchbrochen. Ich konnte wieder frei atmen. Den Gedanken an die nächtlichen Geräusche und die Tür zum Keller versuchte ich zu verdrängen; und je weiter wir fuhren, desto besser gelang es mir.

      Rävbo war ein winziges Dorf, eigentlich mehr ein Weiler, mit vier Höfen und einer Imbißstube, in der es außer Saft und Limonade nur Würstchen mit Kartoffelbrei gab, also „korv med potatismos“. Ich konnte sogar ein bißchen über den komischen Ausdruck lachen, als wir unter einer Birke im Freien saßen, die Würstchen aßen, Limonade dazu tranken und unsere erhitzten Gesichter vom Wind kühlen ließen.

      „Jetzt geht’s dir wieder besser, wie?“ sagte Kristin.

      Ich nickte. „Ja. Wenn wir nur nicht wieder ins Pfarrhaus zurück müßten!“

      Kristin tröstete mich. „Ich bin doch bei dir.“

      Das stimmte; doch es war auch so, daß ihre Anwesenheit mich daran hinderte, einfach von hier fortzugehen. Aber das sprach ich nicht aus. Die Bedienung kam aus der Imbißstube und sagte etwas, worauf Kristin ganz begeistert war und rief: „Du, Frankie, sie backt jetzt Waffeln, und wir können welche haben! Schwedische Waffeln sind einfach ein Gedicht, sage ich dir!“

      Das „Gedicht“ wurde uns eine Viertelstunde später im Freien serviert. Jede von uns bekam eine große, halbmondförmige Waffel, noch heiß, mit Sahne und Blaubeermarmelade darauf.

      Es schmeckte wirklich göttlich. Hinterher hatten wir Sahneschnurrbärte und blaue Zähne, saßen wie aufgeblähte Frösche da und rührten uns nicht von der Stelle.

      Kristin stöhnte. „Teufel, bin ich satt! So voll war mein Bauch schon lange nicht mehr.“

      Eine Weile sahen wir friedlich durch das Laubdach der Birke zum Himmel auf, und ich dachte: Jetzt rühre ich mich nicht mehr vom Fleck! Das Pfarrhaus und alles, was damit verbunden war, schien sehr fern, wie zurückgelassen in einem anderen Land, einem Land, das ich am liebsten aus meinem Gedächtnis gestrichen hätte.

      Da sagte Kristin: „Jetzt suchen wir uns eine Telefonzelle und rufen Sten und Magnus an!“

      Ich sagte gar nichts. Nicht einmal an Magnus mochte ich denken. Er war zu eng mit all dem verknüpft, was ich vergessen wollte.

      Doch ich widersprach nicht. Ich wußte ja, daß wir nicht hierbleiben und einfach alles aus unserem Leben streichen konnten, was geschehen war.

      Wir zahlten, stiegen auf unsere Fahrräder und stellten fest, daß es in Rävbo keine Telefonzelle gab. Dafür fanden wir einen Wegweiser an der Landstraße, der anzeigte, daß es links nach Lilletorp und rechts zu einem Ort namens Ekeby ging.

      Wir machten halt. „Wer weiß, ob Ekeby nicht genauso ein Nest ist wie Rävbo“, sagte Kristin. „Da finden wir vielleicht auch kein Telefon. Am besten radeln wir jetzt gemütlich nach Lilletorp zurück und sehen dort gleich selbst nach, ob Sten und Magnus zu Hause sind.“

      Sie sah mich von der Seite an. „Mach doch nicht so ein Gesicht, als würde ich dich in die Verbannung schicken, Frankie! Wir müssen schließlich irgendwann wieder nach Hause zurück.“

      Ich sagte bitter: „Du hast gut reden. Du schläfst nachts wie ein Stein und hörst keinen Ton, hast auch keine seltsamen Träume und denkst, daß ich mir im Grund alles nur einbilde…“

      Dabei starrte ich Kristin an und merkte, daß meine verzweifelte Lage richtig feindselige Gefühle gegen sie, meine beste Freundin, in mir auslösten, wie ich sie nie vorher gekannt hatte.

      „Aber Frankie!“ sagte sie erschrocken. „Sieh mich nicht so an, als wäre ich dein Feind! Und jetzt versprich mir eines: Wenn du nachts wieder Geräusche hörst oder etwas Gruseliges träumst, weckst du mich sofort auf, einverstanden? Dann fühlst du dich nicht so allein gelassen, und wir sind beisammen und können gemeinsam überlegen, was wir tun sollen… Versprichst du mir das?“

      „Ja“, erwiderte ich. „Ich hab mir das schon vorgenommen. Allein könnte ich es nicht durchhalten. Ich würde sowieso am liebsten auf und davonlaufen.“

      Schweigend fuhren wir nach Lilletorp zurück. Ich glaube, Kristin ahnte noch immer nicht, wie ernst mir damit war, und

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