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„Eigentlich glaube ich nicht an Spukerei.“

      Ich atmete auf. Magnus wandte sich an seine Großmutter. „Han tror inte på spökeri“, übersetzte er.

      Sie lachte. Es klang nicht fröhlich, sondern wie das Lachen eines Menschen, der es besser weiß. Sie gab eine Antwort, die Sten offenbar ärgerte, denn er wurde rot und sagte nichts mehr.

      „Was hat sie gesagt?“ fragte ich Kristin, die neben mir saß, halblaut.

      „Wer Spuk leugnet, ist unwissend oder hat Angst, meint sie“, erklärte Kristin.

      Bald darauf gingen wir. Magnus’ Großmutter begleitete uns zur Tür. Beim Abschied gab sie mir die Hand – weshalb gerade mir und nicht den anderen? Wieder sah sie mich eindringlich an, sagte etwas, warf Magnus einen fordernden Blick zu und wartete offenkundig darauf, daß er mir ihre Bemerkung übersetzte.

      „Ihr sollt vorsichtig sein“, erklärte er. „Du sollst auf dir aufpassen, Frankie. Wenn du Probleme hast und kein Ahnung, wohin du dir wenden sollst, kannst du zu sie kommen. Das hat sie gesagt.“

      Die alte Frau nickte. Ich lächelte sie an – wahrscheinlich war es mehr eine Grimasse als ein Lächeln – und dachte bei mir: Wieso sollte ich zu ihr gehen? Wir sprechen ja nicht einmal die gleiche Sprache. Ich habe doch Kristin, ich bin nicht allein. Was soll mir schon geschehen?

      Ich ahnte nicht, wie recht sie hatte, und daß ich eines nicht allzu fernen Tages noch an ihr Angebot denken sollte.

      9

      Ein paar Tage lang geschah nichts. Das Wetter blieb trüb und regnerisch. Magnus und Sten mußten wieder zur Schule und hatten wenig Zeit. Am dritten Abend nach dem Besuch bei Magnus’ Großmutter holten die beiden uns im Pfarrhaus ab, und wir fuhren in einen Nachbarort, etwa eine Viertelstunde von Lilletorp entfernt, um ins Kino zu gehen.

      Ein alter Film von Ingmar Bergman wurde gezeigt, Wilde Erdbeeren, auf schwedisch Smultronstället. Für mich war es kein rechtes Vergnügen, da der Film natürlich ohne Untertitel lief. Ich gab es bald auf, Kristin und Magnus zu fragen, was dieser oder jener Darsteller gerade gesagt hätte.

      „Das war so: Der alte Mann hat auf seine Jugendzeit zurückgedacht“, erklärte mir Magnus später, als wir noch in einer kleinen Kneipe saßen und etwas tranken. „Er war ein harter Mensch geworden, ein erfolgreichen Mann, und hat sich durch den Gedächtnis an sein Jugendzeit verändert – du verstehst? Er wurde… wie sagt man gleich? Menschlicher.“

      Wir redeten noch eine Weile über den Film, und ich verstand jetzt so manches, was mir vorher unbegreiflich gewesen war. Dann schlug Sten vor, wir sollten noch in eine Disco gehen, und wir stimmten sofort zu; Kristin, weil sie so gern tanzt, und ich, weil ich noch nie in einer schwedischen Diskothek gewesen war – doch nicht nur deswegen. Ich fürchtete mich mittlerweile vor jeder neuen Nacht im Pfarrhaus und war froh über jede Stunde, die ich anderswo verbringen konnte.

      In der Disco herrschte ein Höllenlärm. Die Lautsprecher waren voll aufgedreht. Natürlich wurden vor allem Abba-Schlager gespielt; aus „Patriotismus“, wie Magnus meinte. Er sagte allerdings, er persönlich könne die Gruppe nicht leiden, weil sie „Plastik-Musik“ mache. Wir konnten uns nur schreiend unterhalten und gaben bald jedes Gespräch auf. Statt dessen tanzten wir viel; und es war irgendwie selbstverständlich, daß Kristin mit Sten tanzte und Magnus mit mir.

      Das Tanzen tat mir gut. Ich hatte das Gefühl, daß sich dabei die Anspannung löste, von der ich schon seit Tagen erfüllt war. Es freute mich auch, als ich merkte, daß Magnus kein anderes Mädchen ansah als mich, obwohl ich noch selten so viele hübsche Mädchen auf einmal gesehen hatte.

      „Die Schwedinnen sehen wirklich gut aus“, sagte ich, als ich einmal mit Kristin zusammen in die Toilette ging. Sie lachte und erwiderte: „Klar. Sieh mich an!“

      Magnus und Sten brachten uns mit den Mopeds zum Pfarrhaus zurück. Bestimmt wachte Professor Zetterlund vom wütenden Motorengeknatter auf, falls er überhaupt schon geschlafen hatte; vielleicht machte er sich Sorgen wegen unseres späten Nachhausekommens. Es war immerhin schon nach Mitternacht.

      Er zeigte sich jedenfalls nicht, als wir ins Haus traten und auf Zehenspitzen durch den Flur schlichen, während das Geräusch von Magnus’ und Stens Mopeds in der Ferne verklang.

      Kristin war furchtbar redselig. Wir lagen im Bett, und mir schwirrte noch der Kopf von der lauten Musik. Sie aber schwärmte von Sten. „Ist er nicht einsame Klasse?“ fragte sie. „Hast du gesehen, daß er ein Grübchen im Kinn hat?“

      Ich sagte, nein, das hätte ich nicht, und sie erkundigte sich, wie ich Magnus fände.

      „Nicht schlecht“, sagte ich vorsichtig.

      „Na ja, er sieht vielleicht nicht ganz so toll aus wie Sten, aber nett ist er, das muß man ihm lassen.“

      Ich dachte, daß Magnus mir auch äußerlich besser gefiel als Sten, äußerte es aber nicht. „Und ich sag dir, er ist verliebt in dich!“ fügte Kristin triumphierend hinzu, als wäre das ihr persönliches Verdienst.

      Ich merkte, daß ich rot wurde. Zum Glück war es dunkel im Zimmer. „Quatsch!“ sagte ich.

      „Doch, ich schwör’s dir. Er hat dich den ganzen Abend nicht aus den Augen gelassen. Schwer verliebt und all so was, Frankie!“

      Ich mußte kichern. „Was du dir immer alles einbildest“, sagte ich, konnte aber nicht verhindern, daß mich ein angenehmer Schauer durchrieselte.

      Kristin redete schon weiter. Sie setzte ihr Loblied auf Sten fort, aber ich hörte nicht mehr richtig zu. Ich dachte an Magnus. Dann wurde es plötzlich still im Zimmer. Kristin war über ihrem eigenen Redestrom eingeschlafen.

      Auch ich war müde; doch zugleich erfüllte mich eine seltsame Rastlosigkeit, die mich am Einschlafen hinderte. Wie schon seit Tagen hatte ich Angst, in Schlaf zu fallen; es war das Gefühl, im Schlaf machtlos zu sein, allem hilflos ausgeliefert, was im Pfarrhaus geschehen mochte.

      Ich drehte mich von einer Seite auf die andere. Der Mond stand hinter dem Ostfenster, eine schmale, verschwommene Sichel, über die Wolkenfetzen hinwegzogen. Die Baumwipfel bewegten sich leicht im Wind. So vieles ging mir durch den Sinn. Ich konnte die Gedanken einfach nicht vertreiben.

      Ich versuchte es mit einer Atemübung, die eine Gymnastiklehrerin uns verraten hatte und zu der man das Wort „Ruhe“ benutzt. Man denkt sich „Ru“ beim Einatmen, „he“ beim Ausatmen und versucht dabei, sich innerlich gewissermaßen fallenzulassen.

      Ich merkte, daß es gar nicht einfach war, tief und regelmäßig zu atmen, doch mit der Zeit entspannte ich mich, und die Gedanken zerrannen. Ich spürte fast körperlich, wie ich fiel – ich fiel in eine Art Dämmerzustand zwischen Wachsein und Schlaf.

      Alles war still… Ruhe…

      Gerade als ich im Begriff war, die Schwelle zum Schlaf zu überschreiten, hörte ich das Geräusch.

      Ich schreckte hoch. Es war fast, als hätte ich im Unterbewußtsein bereits darauf gewartet. Das Rascheln meines Kopfkissens übertönte für einen Augenblick alles andere. Doch dann hörte ich es wieder.

      Es war jenes Gleiten und Scharren, das ich schon einmal vernommen hatte – die gleichen gedämpften Geräusche aus der Tiefe des Hauses.

      Das Blut pochte in meinen Schläfen. Ich konnte es förmlich hören, so angespannt lauschte ich. Dieses Gleiten – es klang, als würde ein Gegenstand über den Boden gezerrt.

      Dann trat wieder Stille ein. Doch ich wußte, daß es noch nicht vorüber war. Ich war ganz sicher, daß noch etwas folgen würde – etwas Schlimmeres.

      Mein rechtes Bein war eingeschlafen. Es prickelte darin wie von tausend Ameisen, als ich es bewegte. Eine Wolke verdunkelte den Mond. Alles war still. Dann begann jemand zu weinen.

      Ich hörte es deutlich; es gab keinen Zweifel: das dünne, jämmerliche Weinen eines

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