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Birke, deren Stamm zum Teil von einem dicht gewachsenen Schmetterlingsstrauch verdeckt wurde.

      »Und was jetzt?«, wollte Marius wissen, nachdem er ihr gefolgt war.

      »Du bist ein paar Zentimeter größer als ich, was für einen Jungen in deinem Alter ungewöhnlich ist, da ihr doch erst später als wir Mädchen an Größe zulegt.«

      »Tja, da kannst du mal sehen, es gibt immer Ausnahmen«, entgegnete Marius, der sichtlich stolz auf seine Größe war.

      »Dann zeig mir, was du draufhast, du Ausnahme. Steig in die Birke und sieh nach, was im Sprechzimmer vor sich geht«, forderte Ophelia ihn auf, in die Gabelung des zweistämmigen Baumes zu klettern, die etwa einen Meter über dem Boden lag.

      »Kein Problem«, sagte Marius, zog sich geschickt an einem Ast hoch und stand gleich darauf zwischen den beiden Stämmen der Birke, hoch genug, um über den Schmetterlingsstrauch hinwegzusehen.

      »Kannst du etwas erkennen?«, wollte Ophelia wissen, die zu ihm hochschaute.

      »Der Doc sitzt hinter seinem Schreibtisch, und der Mann, der ihm gegenübersitzt, ist eindeutig dieser Typ von dem Foto«, bestätigte Marius Ophelias Verdacht, während er auf das Fenster des Sprechzimmers schaute.

      »Was tun sie?«

      »Sie unterhalten sich.«

      »Es sieht also nicht so aus, als wäre der Doc bedroht?«

      »Nein, alles im grünen Bereich«, versicherte Marius dem Mädchen.

      »Okay, dann sagen wir jetzt meiner Mutter Bescheid. Hoffentlich ist Frau Seeger noch bei uns.«

      »Thea Seeger, die Kommissarin?«, fragte Marius.

      »Von ihr habe ich das Foto, das ich dir gezeigt habe«, klärte Ophelia ihn auf. »Beeilen wir uns, auch wenn es im Sprechzimmer gerade friedlich aussieht, der Kerl ist schließlich irre. Wer weiß, was dem in den nächsten Minuten noch einfällt.«

      »Weiß Doktor Norden eigentlich, wer der Mann ist?«, wollte Marius wissen, als er mit Ophelia durch den Garten lief.

      »Ich habe ihm das Foto von Frau Seeger per App geschickt.«

      »Dann ist er wenigstens gewarnt«, sagte Marius und drehte sich noch einmal zu Dannys Haus um, bevor er Ophelia durch den Durchgang in der Hecke auf das Grundstück der Mais folgte.

      *

      Danny hatte sich nichts anmerken lassen, nachdem die Nachricht von Ophelia auf seinem Handy eingegangen war. Das Telefon lag wie immer in der obersten Schublade seines Schreibtisches, die er ein Stück geöffnet hatte, als die Nachricht eintraf. Er hatte das Surren das Telefons genutzt, um Arnold Berheim erneut zu sagen, dass er zu einem Hausbesuch musste. Aber wieder hatte Arnold so getan, als habe er es überhört.

      Das Foto hatte seine Vermutung, dass Arnold der Mann war, der Olivia verfolgte, bestätigt. Der Qualität des Fotos nach zu urteilen stammte es von einer Überwachungskamera. Er ging davon aus, dass Thea Olivia wegen dieses Fotos aufgesucht hatte und Ophelia es ihm geschickt hatte, damit auch er wusste, wie dieser Mann aussah. Leider konnte er nicht davon ausgehen, dass sie da draußen ahnten, wie nah ihm Arnold bereits gekommen war, deshalb musste er einen Weg finden, ihnen genau das mitzuteilen.

      Da er nun wusste, mit wem er es zu tun hatte, war ihm klar, dass er auch weiterhin vorsichtig mit diesem Mann umgehen musste, damit er sich nicht zu einer unüberlegten Tat hinreißen ließ. Eines stand fest, Arnold Berheim war nicht zu ihm gekommen, weil er einen ärztlichen Rat brauchte.

      Es bestand auch kein Zweifel mehr daran, dass die Hauptpersonen in dieser Geschichte von der großen Liebe, die Arnold ihm seit einer gefühlten Ewigkeit in aller Ausführlichkeit schilderte, Arnold und Olivia waren. Auch wenn er Olivias Namen bisher nicht ausgesprochen hatte.

      Noch wusste Danny nicht, woher die beiden sich kannten, ob sie sich überhaupt schon einmal persönlich begegnet waren. Er ging aber davon aus, dass das meiste in dieser Geschichte der Fantasie seines Gegenübers entsprungen war. Bevor er einen weiteren Versuch startete, Arnold loszuwerden, musste er wissen, wie hoch seine Aggressionsschwelle war. Ob er Widerspruch duldete oder sich sofort angegriffen fühlte.

      Er hoffte, dass Olivia diesen Mann zumindest so gut kannte, dass sie ihm etwas dazu sagen konnte. Er musste den passenden Moment abwarten, um unbemerkt eine Nachricht über die App senden zu können. Arnold aber war misstrauisch, er verfolgte jede seiner Handbewegungen, so als ahnte er, was er vorhatte.

      »Hören Sie mir noch zu?«, fragte Arnold plötzlich sichtlich gereizt.

      »Tut mir leid, Herr Berheim, ich muss jetzt wirklich los«, versuchte Danny es erst noch einmal mit dem Hausbesuch als Fluchtmöglichkeit und ließ sich von Arnolds zurechtweisenden Blick nicht einschüchtern.

      »Ich bin aber noch nicht fertig. Ein paar Minuten haben Sie sicher noch.« Arnold stand auf, ging zum Fenster und zog die beiden blauen Stoffvorhänge zu, die das Zimmer in den heißen Monaten auch vor starker Sonneneinstrahlung schützten. Dass er dabei die ganze Zeit eine Hand in der Hosentasche hatte, sorgte bei Danny für ein mulmiges Gefühl.

      »Bitte, sprechen Sie weiter«, sagte er, nachdem sich Arnold wieder hingesetzt hatte. Vielleicht hatte er ja zu viele Krimis gesehen, aber dieser Griff in die Hosentasche sollte ihm offensichtlich suggerieren, dass sein Gegenüber bewaffnet war.

      Ob es wirklich so war, konnte er nicht mit Sicherheit sagen, aber dass er die Vorhänge zugezogen hatte, deutete nicht daraufhin, dass Arnold freundschaftliche Gefühle für ihn hegte. Es war eine Machtdemonstration. Arnold Berheim wollte ihm damit zeigen, dass er die Situation kontrollierte. Er brauchte dringend Hilfe von außen, und jetzt hatte er auch eine Idee, wie er das hinbekommen konnte.

      Er musste keine Nachricht tippen, wenn er über das Handy einen Kontakt herstellen wollte. Die App, die er auf Ophelias Rat hin installiert hatte, eröffnete ihm eine weitaus einfachere Möglichkeit. Er musste nur das Icon anklicken und schon konnte er Fotos und Tonaufnahmen verschicken.

      *

      »Was machen wir jetzt, Mama? Wer weiß, was dieser Irre mit Doktor Norden vorhat. Mittlerweile sind auch die Vorhänge im Sprechzimmer geschlossen.« Ophelia lief aufgeregt durch das Esszimmer und sah immer wieder aus dem Küchenfenster hinüber auf das Nachbargrundstück, während Marius am Tisch saß und von den Schokokeksen aß, die Olivia in einer Glasschüssel auf den Esstisch gestellt hatte.

      Nachdem Ophelia und Marius Olivia und Thea erzählt hatten, dass Arnold bei Danny im Sprechzimmer saß, hatte Thea versucht, Lydia zu erreichen. Sie hatte gehofft, der Feuerwehreinsatz sei bereits beendet und Lydia könnte ihr den Schlüssel für die Praxis bringen, damit sie ins Haus kamen. Aber Lydia war nicht zu erreichen. Sie hatte auch bei Sophia zu Hause angerufen, aber wie ihre Mutter ihr sagte, war Sophia noch unterwegs und hatte ihr Handy nicht bei sich. Obwohl Ophelia ihr versichert hatte, dass Valentina zu ihrer Schwester gefahren war, hatte sie trotzdem auch bei ihr angerufen. Aber Valentina meldete sich nicht.

      »Dann müssen wir eben die Tür aufbrechen«, sagte Ophelia.

      »Das machen wir erst, wenn wir alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft haben.«

      »Welche Möglichkeiten haben wir?«, fragte Marius und schob den nächsten Keks in den Mund. »Ich habe Eisenmangel. Schokolade soll helfen, habe ich gelesen«, sagte er, als Thea ihn schmunzelnd anschaute.

      »Nur zu, junger Mann«, entgegnete sie lachend.

      »Leute, ich habe da etwas.« Ophelia schaute auf das Foto, das gerade über die App auf ihrem Handy eintraf. »Okay, was will er uns sagen?« Sie legte das Telefon auf den Tisch, damit alle das Foto sehen konnten. Es zeigte Danny, der am Schreibtisch saß und den Zeigefinger wie zufällig an seine Lippen hielt.

      »Merkwürdige Perspektive«, stellte Marius fest.

      »Stimmt, das Handy liegt offensichtlich in einer Schreibtischschublade«, gab Ophelia ihm recht.

      »Stopp!«, rief Thea, als gleich darauf eine Sprachnachricht von Danny eintraf und Ophelia sie annehmen wollte.

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