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ruhiger schlafen können und niemand, der mit Olivia etwas zu tun hatte, musste mehr befürchten, in den Fokus dieses Mannes zu geraten. Mit diesen positiven Gedanken setzte er die Sprechstunde fort.

      An diesem Nachmittag kamen neben den Patienten, die ihn sich als neuen Hausarzt ausgesucht hatten, die meisten Leute wegen Erkältungssymptomen. Einige war fest davon überzeugt, eine Grippe auszubrüten, und es kostete ihn viel Geduld, ihnen den Unterschied zwischen einem grippalen Infekt mit Husten und Schnupfen und einer Grippe, die sich mit plötzlichem hohem Fieber bemerkbar machte, zu erklären.

      Aber auch ein grippaler Infekt oder eine starke Erkältung schwächten den Körper, und er stellte an diesem Nachmittag einige Krankmeldungen aus. Als er kurz nach halb sechs einen Patienten zum Empfangstresen begleitete, weil er noch ein paar Rezepte unterschreiben musste, wurde Lydia gerade zu einem Feuerwehreinsatz gerufen.

      »Dachstuhlbrand in einem Forsthaus. Ich muss sofort los«, wandte sie sich an Danny, nachdem sie den Anruf, der über ihr Handy kam, beendet hatte.

      »Dann ab mit Ihnen, passen Sie auf sich auf!«, rief er Lydia nach, die so, wie sie war, in ihrer weißen Hose und dem weißen T-Shirt mit ihrer Handtasche unter dem Arm davonstürmte.

      »Hoffentlich endet das nicht in einem Waldbrand«, murmelte Sophia, während sie Lydia nachschaute.

      »Ich vertraue unserer Feuerwehr, die werden das verhindern«, sagte der junge Mann, der wegen eines bellenden Hustens gekommen war, noch auf sein Rezept wartete und Sophias Blick gefolgt war.

      »Stimmt, sie werden das verhindern«, gab Sophia ihm recht. Du brauchst ihr aber gar nicht länger nachzuschauen, sie hat ihr Herz längst verschenkt, dachte Sophia, als der junge Mann noch auf die Tür starrte, als sie schon längst hinter Lydia zugefallen war.

      Im Wartezimmer saßen inzwischen nur noch drei Patienten. Zwei ältere Frauen, die schon ein paar Mal bei ihm waren, und ein Mann, etwa Mitte vierzig, den er vorher noch nie gesehen hatte. Er wollte Sophia gerade bitten, auf ihre Liste zu sehen, wer als nächstes drankam, als Marius und seine Mutter, eine kleine zierliche Frau in Jeans und Pullover, die Praxis betraten. Das kurzgeschnittene Haar und die große Brille mit dem dunklen Rahmen verliehen Cordula Meier ein ungewöhnlich strenges Aussehen.

      »Sie können gleich reingehen, ich habe schon alles vorbereitet«, sagte Sophia und schaute auf die Tür des Ultraschallraumes gegenüber des Tresens.

      »Gut, dann kümmere ich mich zuerst um den Jungen. Hallo, Frau Meier, Marius. Kommen Sie bitte mit mir«, bat er Mutter und Sohn, die mit ängstlichem Blick auf ihn zukamen.

      »Guten Tag, Herr Doktor«, antwortete Cordula Meier leise und folgte ihm.

      *

      »Bin ich schwer krank, Herr Doktor?«, fragte Marius, als sie gleich darauf mit Danny allein in dem Raum mit dem Ultraschallgerät waren.

      »Nein, das denke ich nicht. Du hast zwar einen Mangel an Vitaminen und Spurenelementen, aber das kann in deinem Alter schon mal vorkommen. Ich will aber ganz sicher sein, deshalb werde ich mir deine Milz ansehen. Manchmal häufen sich dort die roten Blutkörperchen und der Körper wird nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt«, erklärte er dem Jungen.

      »Was muss ich ausziehen?«, fragte Marius, der die Untersuchung schnell hinter sich bringen wollte und die rote Baseballkappe, die er trug, schon auf die Fensterbank neben der Liege gelegt hatte.

      »Du musst nur dein T-Shirt ausziehen«, sagte Danny. »Ich muss dich noch mal fragen, wie es bei dir mit dem Essen aussieht.« Der Junge hatte zwar behauptet, er habe einen guten Appetit, aber da er wirklich sehr dünn war und sein Blutbild auch nicht dafür sprach, dass er sich ausreichend ernährte, wollte er es nun genau wissen.

      »Eigentlich isst er schon seit langem nur Nudeln mit Schinken, Kassler mit Kroketten und Brot mit Wurst oder mal einen Hamburger, aber ohne Salat«, antwortete Cordula anstelle ihres Sohnes.

      »Kein Gemüse, kein Obst?«, fragte Danny, während er mit dem Untersuchungskopf des Ultraschallgerätes behutsam über Marius‘ Ober- und Unterbauch fuhr, um sich neben der Milz auch die Leber anzusehen.

      »Nur selten, ganz selten«, fügte Cordula mit einem tiefen Seufzer hinzu. Sie saß auf dem Stuhl am Fußende der Liege und schaute auf die Bilder, die auf dem Monitor des Ultraschallgerätes zu sehen waren.

      »Wie sieht es mit Käse aus?«, fragte Danny.

      »Mag ich nicht«, erklärte Marius und rümpfte die Nase, als würde ihm schon allein bei dem Gedanken an Käse übel.

      »Er lässt sich einfach nicht dazu bewegen, etwas anderes als seine Lieblingsgerichte zu essen. Abgesehen von Chips und Schokolade, das mag er schon«, sagte Cordula.

      »Wie es aussieht, kommst du nicht umhin, deine Essgewohnheiten zu ändern, um deine Müdigkeit loszuwerden und um weitere Folgen deiner einseitigen Ernährung zu vermeiden«, wandte sich Danny nun direkt an Marius.

      »Sie meinen, ich muss Salat und so etwas essen?«, entgegnete Marius ungläubig.

      »Salat, Gemüse, Obst und wenigstens hin und wieder ein Stück Käse. Dein Körper leistet im Moment Schwerstarbeit. Er will wachsen, aber dazu braucht er viele verschiedene Nährstoffe. Falls du ihm die auf Dauer verweigerst, macht er schlapp«, erklärte ihm Danny.

      »Das klingt jetzt aber echt bedrohlich, Herr Doktor.«

      »Es ist bedrohlich für deine Gesundheit. Ich werde dir erst einmal eine Vitaminkur und ein Eisenpräparat verschreiben. Das ist aber nichts für den Dauergebrauch. Während dieser Kur musst du deine Ernährung umstellen.«

      »Bei uns gibt es jeden Tag Gemüse. Salat und Obst haben wir auch immer da, aber er hat es bisher halt immer verweigert«, meldete sich Cordula zu Wort.

      »Schon gut, ich habe es verstanden. Ich muss mehr Grünzeug essen«, murrte Marius, der sich mit den Papiertüchern, die Danny ihm reichte, das Gel abwischte, dass Danny für die Untersuchung auf seinen Bauch aufgetragen hatte.

      »Ja, das musst du unbedingt tun, Marius. Deine Milz und deine Leber sind übrigens unauffällig«, sagte Danny.

      »Das heißt, er ist nicht ernsthaft krank?«, hakte Cordula nach.

      »Nein, ich denke nicht, da auch die Urinprobe unauffällig war, ohne Hinweis auf eine innere Blutung. Sie sollten aber in den nächsten Tagen noch eine Stuhlprobe vorbeibringen, damit wir auch im Magen-Darmbereich eine Blutung ausschließen können.«

      »Stuhlprobe? Echt jetzt?«, fragte Marius erschrocken.

      »Du bekommst das hin«, entgegnete Danny lächelnd. »In vier Wochen kommst du dann bitte wieder her und lässt dir von Sophia oder Lydia Blut abnehmen, damit wir sehen können, ob deine Werte sich verbessert haben.«

      »Okay, dann gehe ich zu Sophia«, sagte Marius.

      »Verrätst du mir auch warum?«, fragte Danny.

      »In dem Computerspiel, das ich gerade angefangen habe, muss eine Prinzessin gerettet werden. Sophia sieht ihr ähnlich«, erzählte Marius, nachdem er sein T-Shirt wieder angezogen hatte.

      »Verstehe«, sagte Danny und tauschte einen kurzen Blick mit Cordula, die in sich hineinlächelte. Dass ihr Sohn nicht ernsthaft erkrankt war, hatte ihre Gesichtszüge entspannt und sie sah auf einmal viel jünger aus als noch vor ein paar Minuten. Er bat die beiden, mit ihm zum Empfangstresen zu kommen, damit er Cordula aufschreiben konnte, was sie für die Vitaminkur besorgen musste.

      Während Danny Cordula einen Ernährungsplan für Kinder in der Pubertät in die Hand drückte und kurz mit ihr darüber sprach, schaute Marius Sophia zu, die im Wartezimmer die alten Zeitschriften einsammelte und neue auslegte. Die beiden Frauen, die dort saßen, zeigten sich sofort interessiert, holten sich jede eine der neuen Ausgaben und schlugen sie auf.

      »Mann, Alter, guck woanders hin«, murmelte Marius, als er sah, wie der Mann mit dem militärisch kurzen Haarschnitt, der noch im Wartezimmer saß, Sophia nachschaute.

      »Schatz, wir gehen.« Cordula legte

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