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die erst seit dem 19. Jahrhundert Bestand hat und eher auf einer Rekonstruktion als auf einer historischen Tatsache beruht (cf. Henningsen 1966: 327).

      2.1 Wort- und Begriffsgeschichte

      Sowohl die Bezeichnung Enzyklopädie (fr. encyclopédie/it. enciclopedia) als auch die Sache selbst unterliegen dem Wandel:

      „Enzyklopädie“ ist eine dem historischen Wandel unterworfene Bezeichnung für eine Sache, die selbst in der Zeit sich wandelt, wobei einerseits die Bezeichnung das Bezeichnete vorprägt und damit eine gewisse Kontinuität der „Enzyklopädie“ […] gewährleistet, andererseits durch Umstrukturierung, Erweiterung und Einschränkung des Inhalts auch die Bedeutung des Wortes beeinflußt wird (Henningsen 1966: 274).

      Deswegen ist zwischen der Geschichte der Bezeichnung Enzyklopädie und der Entwicklung einer außersprachlichen Vorstellung von EnzyklopädieEnzyklopädie zu unterscheiden und das Zusammenspiel dieser beiden Komponenten zu berücksichtigen.

      Den Ausgangspunkt stellt die Wortgeschichte von fr. encyclopédie/it. enciclopedia dar. Anders als in einigen WörterbüchernWörterbuch angegeben, lässt sich die Bezeichnung nicht auf ein griechisches oder lateinisches Etymon zurückführen: „Ein Substantiv enkyklopaideia ist antik nicht zu belegen“ (Vogelgsang 2004: 19). Es handelt sich vielmehr um eine Neuschöpfung der Humanisten, die auf einer fehlerhaften Überlieferung beruht:

      Il termine […] nasce come corruzione dell’espressione greca enkuklios paideia, che troviamo usata in alcuni autori latini (Vitruvio, Plinio il Vecchio e Quintiliano), e che viene erroneamente riprodotta come parola unica, enkukliopaideia, in qualche manoscritto rinascimentale (Picone 1994: 15f.).

      Die Belegstellen in der Naturalis Historia des PliniusPlinius der Ältere und der Institutio Orationis des QuinitilianQuinitilian, Marcus Fabius zeigen, dass die Wendung enkuklios paideia ein pädagogisches Programm bezeichnet, wobei die „innere Zusammengehörigkeit des Wissenskanons“ hervorgehoben wird (Henningsen 1966: 284). Diese Bedeutung lässt sich in den griechischen Quellen jedoch noch nicht feststellen. Die frühesten Belege finden sich ab dem 4. Jahrhundert bei ZenonZenon von Kition, außerdem etwas später bei Dionysius von HalikarnassosDionysius von Halikarnassos und PlutarchPlutarch. In den griechischen Quellen ist mit enkuklios paideia jedoch keine allumfassende Bildung gemeint, sondern eine Art Grundbildung, „die ein Erwachsener benötigt, um mitreden zu können“ (Henningsen 1966: 308):

      Unsere modernen Vorstellungen von „Enzyklopädie“ im Sinne von „umfassendem Wissen bzw. „umfassender“ Bildung leiten sich nicht aus der antiken enkuklios paideia her. Die enkuklios paideia umfasste ursprünglich nur einen Teilbereich der zu lehrenden und zu lernenden Gegenstände (Henningsen 1966: 308).

      Erst in den römischen Quellen wird vermehrt der innere Zusammenhang des Wissens betont und in eben dieser Bedeutung wird der Ausdruck von den Humanisten rezipiert:

      Da man im 16. und 17. Jahrhundert, als das neue Wort sich in Europa verbreitete, vom Altertum vornehmlich durch die Römer und die Kirchenväter Kenntnis hatte, bei diesen aber schon die charakteristische Bedeutungswandlung von „landläufiger, gewöhnlicher (Vor-)Bildung“ zum „Kreis des Wissensinsgesamts“ sich vollzogen hatte, bot sich die Möglichkeit an, „encyclopaedia“ auf dem Umweg über „orbis doctrinarum“ auch direkt auf ὲγχύχλιος παιδεία zu beziehen (Henningsen 1966: 309).

      Der älteste Beleg für den Ausdruck encyclopaedia ist in einem Brief aus dem Jahre 1490 zu finden, in dem Franciscus PucciusPuccius, Franciscus dem Grammatiker PolitianPolitian zu dessen neuem Werk gratuliert und dieses als encyclopaedia bezeichnet (cf. Henningsen 1966: 283). Ab diesem Zeitpunkt verbreitet sich der Ausdruck in Europa und findet auch Eingang in die VolkssprachenVolkssprache. Der Erstbeleg im Französischen findet sich bei RabelaisRabelais, François (1537), der damit in Pantagruel 2,20 ironisierend auf ein Bildungsprogramm verweist. Etwas später tritt der Ausdruck bei Christoffe de Savignyde Savigny, Christoffe in Tableaux accomplis de tous les arts libéraux (1587) auf und referiert auf die Verbindung einzelner Künste und Wissenschaften (cf. Henningsen 1966: 286). Die frühesten Belege zeigen, dass mit encyclopédie zunächst „ein Wissensinsgesamt, dessen hervorstechendes Merkmal eine innige Verknüpfung des unter ihm Begriffenen ist“, gemeint ist und der Ausdruck erst später „ein Buch, das dieses Insgesamt zum Inhalt hat und „enzyklopädisch“ darbietet“ bezeichnet (Henningsen 1966: 303). Als einer der ersten, der encyclopaedia in einem Werktitel verwendet, gilt AlstedAlsted, Johann Heinrich, der eine umfassende Theorie der EnzyklopädieEnzyklopädie entwirft. Bekannt ist auch seine knappe Definition: „Encyclopaedia est methodica comprehensio rerum omnium in hac vita homini discendarum“ (Alsted nach Herren 2016), die in humanistischer Tradition den Zusammenhang, aber auch den Totalitätsanspruch der enzyklopädischen Bildung herausstellt.

      In der Folge werden auch Werke in die Tradition der Enzyklopädie gestellt, deren Titel zwar anders lauten, deren Konzeption aber dem etablierten Enzyklopädiebegriff entspricht:

      Viele als enzyklopädisch aufzufassende Texte (aus der Vormoderne) tragen nicht den Titel “Enzyklopädie”, sondern zum Beispiel “Schatzhaus”, “Goldgrube” oder “Marktplatz”. Umgekehrt können sich unter dem Titel “Enzyklopädie” ganz andere Werke verstecken (Herren 2016).

      Die zeitgenössische Vorstellung von einer Enzyklopädie ist in etwa durch die folgenden Merkmale geprägt: Das Werk enthält „eine geordnete Darstellung eines jeweils für wichtig erachteten und für einen grösseren Kreis von Wissbegierigen brauchbaren Gesamtwissens“ (Schenda 2002: 21). Zudem erhebt es den Anspruch, eine umfassende Darstellung des Wissens zu bieten (Totalitätsanspruch). Dabei kann dieses Wissen aus mehreren Gebieten stammen oder es wird ein Wissensgebiet vertieft dargestellt. Die Wissensinhalte werden in spezifischer Weise angeordnet. Dabei gibt es je nach Weltanschauung verschiedene Typen der DispositionDisposition, beispielsweise die Anordnung des Wissens nach der Schöpfungsgeschichte, in einem Wissensbaum oder nach dem Dewey-Dezimalsystem (cf. Michel 2002: 40–46). Enzyklopädien werden nicht als Ganzschrift gelesen, sondern konsultiert. Dieser Lesemodus wird über eine ZugriffsstrukturZugriffsstruktur auf die Inhalte, aber auch durch Register erleichtert. Enzyklopädien beziehen zudem Informationen aus zweiter Hand und stellen dieses zusammen (KompilationKompilation). Auf diese Weise wird das gespeicherte Wissen von der Wissensproduktion abgeschnitten. Jedoch versuchen andere Typen von Enzyklopädien an die Quelle der Wissensproduktion heranzuführen und stellen Plattformen des Diskurses dar (z.B. BayleBayle, Pierre, DiderotDiderot, Denis). In der OnlineenzyklopädieEnzyklopädie– Online-~ Wikipedia sind mit dem Artikel, der eine neutrale Darstellung der Information anstrebt, dessen DiskussionsseiteDiskussionsseite und VersionsgeschichteVersionsgeschichte verknüpft, die diskursive AushandlungsprozesseAushandlungsprozess zeigen. Im Gegensatz zu Wörterbüchern geben Enzyklopädien Informationen zu Sachverhalten, nicht zu Wörtern. Die Sachinformationen in Enzyklopädien werden häufig von ParatextenParatext begleitet, die das Werk präsentieren und inszenieren (Vorrede, Frontispiz) oder dessen Erschließung erlauben (taxonomische Ordnungsangaben, Marginalien, Inhaltsverzeichnis, Register) (cf. Herren 2016). Neben der vordergründigen InformationsfunktionInformationsfunktion spielen in Enzyklopädien auch weniger offensichtliche Ziele eine Rolle. Dazu gehören die systematische Anordnung kontingenter Inhalte und die Legitimierung dieser Ordnung, das Lob auf die göttliche Ordnung, oder das Lob auf den Fortschritt durch Erkenntnis und die Ermöglichung gesellschaftlicher Konversation durch die Bereitstellung salonfähiger Themen. Zudem können Enzyklopädien unterhalten, einen Ersatz für eine fehlende Bibliothek darstellen, Gegenständen Wertschätzung verleihen, Lebensweisheiten bestätigen, die allgemeine Bildung fördern, und nicht zuletzt dienen sie Kulturen dazu, sich ihrer selbst zu vergewissern (cf. Herren 2016).

      2.2 Von den Anfängen bis zur Aufklärung

      Schon in der römischen Antike wurden Texte verfasst, die den Inhalten und Zielen moderner Enzyklopädien nahestehen. Das Wissen wurde häufig in thematischen Kapiteln oder in ganzen Büchern präsentiert, die zumeist den Wissensgebieten aus den artes liberales gewidmet waren. Als römische Enzyklopädien gelten CatosCato, Marcus

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