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hatte aber auch einen verwaltungstechnischen Grund, wie Bernard mutmaßte. In den letzten Jahren hatten die amerikanischen Gefängnisse nach und nach die freie Wahl der Speisen eingeschränkt. Machten sich um 1900 die Delinquenten noch einen letzten Spaß daraus, möglichst Außergewöhnliches und Luxuriöses in Auftrag zu geben, um die Gefängnisverwaltung gewissermaßen zum irdischen Finale noch einmal herauszufordern, gab es in Huntsville dagegen nur das, was in der Küche zur Verfügung stand. Sogar eine Bestellung wie „Shrimps mit Salat“ (Pedro Muniz, hingerichtet am 19.5.1998) wurde zurückgewiesen, weil keine Meeresfrüchte vorrätig waren. Die Henkersmahlzeit als unreglementierter Ausbruch aus der Ordnung der Gefängniskost gibt es nicht mehr. Alkoholische Getränke sind ohnehin seit der Wiedereinführung der Todesstrafe im Jahr 1976 verboten. Der Todeskandidat soll in vollem Bewusstsein seinem Schicksal entgegengeführt werden, ungetrübt von den beruhigenden Wirkungen des Alkohols. Selbst der traditionelle Wunsch nach einer „letzten Zigarette“, jahrhundertelang Sinnbild für die ablaufende Lebenszeit des Delinquenten, wird mittlerweile verwehrt.

      Dennoch, Delinquenten nehmen es sehr genau mit der Bestellung ihrer letzten Lieblingsspeisen. Menge und Zubereitungsart werden mitunter akribisch beschrieben, Sonderwünsche sorgsam formuliert, so, als wäre es eine letzte Möglichkeit, noch einmal etwas Persönliches, eine besondere Eigenart oder Vorliebe herauszustreichen:

      „Vier bis fünf Spiegeleier“ (Noble Mays, hingerichtet am 6.4.1995), „Pepperoni-Pizza, mittelgroß“ (Richard Brimage, Jr., 12.3.1997), „gebratenes Huhn, nur weißes Fleisch“ (Richard Foster, 24.5.2000), „zehn Quesadillas, fünf gefüllt mit Mozzarella, fünf gefüllt mit Cheddar“ (Jessy San Migule, 29.6.2000).

      Und es gibt Bestellungen, bei denen der Delinquent eine genaue Anordnung der Speisen auf dem Teller vorgibt, ganz so, als würde er jener Klarheit und Ordnung noch einmal Rechnung tragen, die seinen Alltag in den langen Gefängnisjahren bestimmten.

      „Das Dressing zum Salat soll separat serviert werden” (James Clayton, 24.5.2000), „die geschmolzene Butter zu den Honigsemmeln nicht auf dem Gebäck, sondern daneben“ (Orien Joyner, 12. 2000).

      Es gibt Wünsche, bei denen die Todeskandidaten am Vorabend ihrer Hinrichtung noch auf ihren Körper und auf Gesundheit und Fitness achten: Ronald O’Bryan etwa, hingerichtet am 31.3.1984, verlangt „Süßstoff statt Zucker zu seinem Tee“, Kenneth Dunn (10.8.1999) ein „Diet Cream Soda“, und Cornelius Goss (23.2.2000) möchte sogar nichts weiter als „einen Apfel, eine Orange, eine Banane, eine Kokusnuss und Pfirsiche“.

      Schließlich jene Menü-Wünsche, die opulent und maßlos erscheinen, so, als wolle der Delinquent Vorsorge treffen, noch einmal das Privileg der Ausschweifung wahrnehmen, etwa die

      „zwei Dutzend Rühreier“ von Robert Streetman (7.1.1988), die „zwölf Stücke gebratenes Huhn“ von Domingu Cantu, Jr. (28.10.1999) oder die Bestellung von David Castillo (23.8.1998): „24 Soft-Shell-Tacos, sechs Enchiladas, sechs Tostados, zwei ganze Zwiebeln, fünf Jalapenos, zwei Cheeseburger, ein Schokoladen-Milchshake, eine Packung Milch“.

      Nur knapp ein Zehntel der auf Bernards Liste aufgeführten 224 Todeskandidaten verweigerte die Bestellung einer Henkersmahlzeit und ließ sich nüchtern auf die Pritsche im Injektionsraum führen. Das letzte Mahl wird so neben dem Zellenwechsel sowie der großzügigen Gewährung von Besuchen der Angehörigen, Verwandten und Freunde als letztes Friedensangebot und Besänftigungsritual gewährt. Der Delinquent darf sich noch einmal zu essen wünschen, was immer er mag, so viel er will. „Ein paradoxes Privileg“, nennt das der Philosoph Wolfram Eilenberger. „Noch bevor die Nahrung verdaut ist, wird das Leben ausgelöscht sein. Um den Erhalt der Körperfunktionen kann es bei diesem Ritual also nicht gehen, viel eher um eine karnevaleske Distanzierung von der erahnten Unwürdigkeit des Geschehens. Ein gefangener Mensch ohne Recht auf die nackte Existenz wird in den letzten Stunden seines Lebens in den Stand königlicher Wahlfreiheit gehoben. Was soll das?“

      Eilenberger misstraut dem finalen Gunsterweis: „Ist es die schlichte Endgültigkeit der Handlung, die nach einer Geste der Versöhnung verlangt? Soll selbst der aus der Gemeinschaft der Lebenden bereits Ausgeschlossene einen letzten Moment sinnlicher Befriedigung erfahren?“ Würde freilich das letzte Mahl entfallen, bliebe nur noch das letzte Wort. Davon wird am Ende dieses Buches noch einmal die Rede sein, von den letzten Worten, gedacht als finale Botschaft an die Angehörigen der Opfer, den Richter, die Geschworenen, die Zeugen, die eigene Familie – oder doch vor allem an sich selbst?

      Was die letzten Worte des Nicolas Jacques Pelletier waren, der am 25. April 1792 gegen 15.30 Uhr in Paris vor den Augen Tausender Neugieriger zum Schafott geführt wurde, ist nicht überliefert. Aber dass dieser Tag ein großer Tag für die „humanen“ Reformer war, ist dokumentiert. Eine neue Technik des Tötens feierte ihre blutige Premiere: die Guillotine. Davon soll auf den nächsten Seiten berichtet werden.

INSTRUMENTE Die Technisierung des Tötens

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