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Ursprünglich spiegelte sich in den körperlichen Torturen das dem Delinquenten vorgeworfene Verbrechen. Dabei kam es zu komplexen Verbindungen und Analogien, die für das Selbstverständnis dieser Zeit höchst beziehungsreich waren. Zum einen gab es unehrenhafte, schändliche Tötungsarten, wie etwa das Erhängen für mehr oder weniger heimlich verübte Verbrechen wie Diebstahl oder Einbruch. Und es gab ehrenhafte, nicht verletzende Strafen wie das Enthaupten für Taten, die in aller Öffentlichkeit begangen wurden, etwa Totschlag. Die Unterschiede der angewandten Strafpraktiken wurden vor allem im Gnadenakt deutlich. Es ging hier nicht allein darum, dem möglichen Tod zu entkommen, sondern beispielsweise von der Strafe des Räderns oder des Erhängens zur Strafe durch das Schwert begnadigt zu werden.

      Ohnehin gab es sichtbare Unterschiede bei Strafen für Männer und Frauen. Das Erhängen, das Rädern und die Vierteilung waren typische Männerstrafen, während Frauen zumeist den Tod durch Ertränken, Verbrennen oder auch lebendig Begraben erlitten.

      Schließlich gab es – im vorherigen Kapitel wurde darauf verwiesen – komplexe Verbindungen von mehreren Strafen. Eine Aneinanderreihung von Martern konnte der Hinrichtung vorausgehen oder aber am toten Körper nachträglich vollzogen werden. Beispielsweise war es keine Ausnahme, bei schweren Delikten die Enthauptung mit dem Rädern zu verbinden oder den gerade Enthaupteten danach zu verbrennen. Derartige Prozeduren resultierten aus dem Versuch, alle begangenen Verbrechen durch je eine Strafe zu ahnden. Dabei wurden die Martern am toten Körper genauso akribisch vorgenommen wie die am lebendigen Leib. Ging es doch weniger darum, dem Verbrecher besondere Schmerzen zuzufügen, als die Anzahl grässlicher Verbrechen angemessen zu sühnen. Jedes Verbrechen verlangte im Prinzip eine eigene Strafe. Eine Gemeinsamkeit freilich gab es: Alle Hinrichtungsrituale können als Reinigungsrituale bezeichnet werden. Es ging um die völlige Auslöschung und Vernichtung des Delinquenten. Die Hinrichtung von Menschenhand durch den Henker wurde durch Naturgewalten »vollendet«: durch die Erde, das Feuer, das Wasser, denen besonders reinigende Kräfte zugesprochen wurden.

      Die brachialen Strafpraktiken änderten sich deutlich gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Zwar gab es nach wie vor die Androhung härtester Todesstrafen wie Rädern oder Verbrennen, aber sie wurden deutlich seltener verhängt. Zum einen ließen die Gerichte in Zweifelsfällen zunehmend Gnade vor Recht ergehen, was mit weniger grausamen Bestrafungen, häufig auch mit dem Verzicht des Vollzugs der Todesstrafe einherging, zum andern bedurfte die Vollstreckung einer besonderen Bestätigung der überregionalen Gerichtshöfe. Die grässlichsten Hinrichtungsarten, außer dem Rädern, das es seltsamerweise bis weit ins 19. Jahrhundert gab, wurden kaum mehr oder immer weniger praktiziert.

      Mit der „Verweltlichung“ der Strafpraxis und einer auf Theatralik, Einschüchterung und moralische Erbauung angelegten Hinrichtungspraxis wurden diese reinigenden Rituale alsbald vor allem durch die abschreckende Schwertstrafe ersetzt. Vom Töten durch Gottes Hand zur Hinrichtung im Namen des Volkes: Das markiert den Beginn einer unendlichen Reformgeschichte staatlichen Tötens. Sie dauert bis heute an. Auf den folgenden Seiten wird davon die Rede sein.

      Zuvor noch ein Exkurs, der beispielhaft zeigen soll, wie wichtig in allen Epochen eine für alle Beteiligten verbindliche Dramaturgie war. Einerseits, damit die Obrigkeit nicht in Frage gestellt wurde, andererseits als Teil der Abschreckung. Dazu gehörte auch, nach Urteilsverkündung durch allerlei Gunstbezeugungen so etwas wie eine würdevolle, störungsfreie Hinrichtung zu ermöglichen. Ein letztes Friedensangebot angesichts des nahen sicheren Todes – beispielsweise durch die sogenannte Henkersmahlzeit.

       Das letzte Mahl – Ein Friedensangebot

      Öffentliche Hinrichtungen, das dokumentieren die bisherigen Schilderungen anschaulich, waren keine spontanen Aktionen, sondern ein oft zwar grausames, doch immer strenges, rechtsgültiges Zeremoniell. Zu allen Zeiten erstellte man genaue Pläne, in welcher Folge zum Beispiel ein Arme-Leute-Zug aufgestellt werden sollte, wie die Hinrichtungsstätte durch Soldaten geschützt werden konnte, wie viel Volk als Zuschauer zugelassen werden sollte, damit der Scharfrichter aber seiner Arbeit noch unbehindert nachgehen konnte, oder wie die Kleidung des Delinquenten auf seinem letzten Gang auszusehen hatte. Diese äußerlichorganisatorischen Einzelheiten machten jedoch nur einen Teil der Vorbereitungen aus. Viel wichtiger war die Einstimmung des Delinquenten auf seinen nahen Tod. Denn ohne die subjektive Einwilligung des armen Sünders war eine würdevolle Hinrichtung kaum durchführbar.

      Das Verhältnis zwischen Verurteiltem und Scharfrichter bestimmte wesentlich den Ablauf und Ausgang einer Hinrichtung. Es galt, mögliche Störfaktoren auszuschalten. Ein Verurteilter hatte zwar kaum die Chance, dem Tod zu entkommen, aber er konnte den Interessen der Obrigkeit empfindlich entgegenwirken, das geplante große Theater der abschreckenden Strafe erheblich stören, indem er sich nicht in die vorgesehene Rolle einfügte. Ein widerspenstiger Delinquent, der anhaltend seine Unschuld beteuerte oder gar sein Schuldgeständnis öffentlich widerrief, gefährdete nicht nur das Ansehen der Obrigkeit, sondern den Glauben an die Gerechtigkeit selbst. Wenn es ihm gar gelang, das zuschauende Volk gegen den Scharfrichter aufzuwiegeln, konnte es passieren, dass der Verurteilte nicht als schuldiger armer Sünder, sondern vielmehr als Held oder Märtyrer gefeiert wurde.

      Das Ziel der Obrigkeit war also eine würdevolle und zugleich abschreckende Hinrichtung, die zwar Mitleid erlaubte, aber jede Sympathie für den Delinquenten unterband und vor allem den Scharfrichter zum Symbol des gesetzestreuen Rächers erhob. Eine für alle Beteiligten verbindliche Dramaturgie war also notwendig, damit die Würde des Gerichts ebenso wenig in Frage gestellt wurde wie die Abschreckungsfunktion des Hinrichtungszeremoniells.

      Dazu gehörte, die mit dem Geständnis errungene Einwilligung des Delinquenten nach der Urteilsverkündung aufrechtzuerhalten und durch allerlei Gunstbezeugungen des Gerichts zu stärken. So konnte ihm für die letzten drei Tage im Gefängnis eine bessere Unterkunft gewährt werden, auch konnte ihm erlaubt werden, neue – mitunter selbstgewählte – Kleidung zu tragen. Vor allem erhielt der Verurteilte besseres Essen und ausreichend zu trinken. Denn: „Mahl und Trinken gehören zur glücklichen Hinrichtung und zum christlichen Tod, wie die Bereitschaft zu sterben, das Geschick des Scharfrichters und die Versicherung des armen Sünders, dass er niemand grolle.“

      Besonders das letzte Mahl, das dem Verurteilten vor der Hinrichtung gewährt wurde, diente dazu, dem Delinquenten das Sterben zu erleichtern und seine Einwilligung zur Hinrichtung abermals zu festigen. Die sogenannte Henkersmahlzeit konnte der Delinquent allein einnehmen oder gemeinsam mit dem Scharfrichter; es konnte aber auch das letzte Mahl des Todeskandidaten mit mehreren Personen, etwa dem Henker, dem Richter und dem Geistlichen sein. Verschiedene Rituale der Henkersmahlzeit, wie sie im alten Nürnberg, aber auch in anderen mittelalterlichen Städten wie Frankfurt, Basel, Stuttgart, Eger, Köln oder Breslau stattfanden, hat Hans von Hentig in seinen Studien über Henkermahlzeiten eindrucksvoll dokumentiert.

      Etwa in den Kellern des Nürnberger Lochgefängnisses, dort waren zwölf Zellen. In den beiden hintersten Zellen war der Ort, wo dem Verurteilten an den drei Tagen vor der Hinrichtung ein üppiges Mahl gereicht wurde, dessen Gänge genau festgelegt waren. So wurde dem zum Tode Geweihten eine Flasche Wein zur Labsal und Erquickung aufgetragen. In den Städten gab es bei der Ausgabe von Speis und Trank unterschiedliche Prozeduren: Waren es in Eger fünf Tage gutes Essen bis zum Tode und dazu noch Lichter, wurde in Frankfurt das letzte Mahl aus einem Hospital geliefert, so anlässlich der Hinrichtung der bereits genannten Kindsmörderin Susanna Brandt 1772 in Frankfurt. Bei von Hentig findet sich das Protokoll ihrer üppigen Henkersmahlzeit:

      „Ein Tisch wurde in dem Hauptzimmer gedeckt, und durch löbl. Hospital-Amt besorgte Essen und Wein aufgetragen. Dieses hat, wie ich höre, dem alten Herkommen nach bestanden: 1.) in einer guten gersten Supp, 2.) in einer Schüssel blau Kraut, 3.) einer Schüssel Bratwürste von 3 Pfundt, 4.) 10 Pfundt Rindfleisch, 5.) 6 Pfundt gebackene Karpfen, 6.) 12 Pfund gespickten Kalbs-Braten, 7.) einer Schüssel confect, 8.) 30 Milchbrodt, 9.)2 schwarze Hospital Leibbrodt und 10.) 8 1/2 Maas 1784er Wein.

      Am Tisch haben Persohnen gesessen: Unterzeichneter, Herr Pfarrer Willemer und Herr Obrist-Richter rechter Hand, Herr Pfarrer Zeitmann und die beyde Herren Göring und Göckler linker Hand, dabey hat serviret der bender löblichen

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