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Willemer, Herr Pfarrer Zeitmann und Herr Obrist-Richter Raab etwas weniges, die beyde Einspänner aber von allem gegessen.

      Ich habe der Maleficantin von allen Speisen anerbieten lassen, die sie aber ausgeschlagen und dagegen ein Glaß puren Wassers gefordert und solches auch getrunken. Denen beyden Herrn Candidaten, weilen es herkömmlich, habe jedem einen Schoppen Wein und zwey Milchbrodt verabreichen lassen.

      Zwischen der zeit bekamen die gem. Weltlichen Richter ein Maas Wein und einen schwarzen Hospital Leibbrodt, die des Nacht die Wacht gehabte Soldaten aber drey Pfundt Edamer Käß, 1 schwartz Hospital Leibbrodt und 12 Maas Bier.

       Wie nun an dem Tisch wenig gegessen und getrunken worden, so wurde der gantze Rest des Essens den Gem. Weltl. Richtern übergeben.“

      Niemand nahm Anstoß an dem reichlichen und teuren Essen. Dass die der Hinrichtung nahe Kindsmörderin trotz mehrfacher Offerte die Speisen ausschlug, konnte allerdings als schlechtes Omen für die Vollstreckung ausgelegt werden. „Wer immer das Henkersmahl annimmt, schließt schweigend Urfehde (Frieden) mit denen, die Schuld an seinem Tod tragen“, so Hentig.

      Das Kernstück, gewissermaßen das Hauptgericht aller essbaren und trinkbaren Gaben war die Mahlzeit, die kurz vor dem Tod gereicht wurde. Sie ist das eigentliche, das klassische Henkersmahl. Es trägt einen besonderen Charakter, weil es dem Gefangenen eine erhebliche – letzte – Freiheit zugesteht. Es symbolisiert die Umkehrung aller Herrschaftsverhältnisse, wenn der Hilfloseste der Hilflosen, der Gefangene, vor dem Tode Macht erhält, den Speisezettel der Henkersmahlzeit selbst zu bestimmen. Wie in Rom Herr und Sklave, so tauschten in vielen Ländern Staat und Todgeweihter für kurze Zeit die Rollen. Die Henkersmahlzeit schloss so Frieden zwischen dem Gericht und dem Delinquenten, also auch zwischen dem Henker und dem Todeskandidaten.

      Die Sitte des Henkersmahls lässt sich bis zum Ausgang des 14. Jahrhunderts verfolgen. Kriminalhistoriker führen Belege an, wonach es in Ägypten als Bestätigung des Todesurteils galt, wenn der König dem armen Sünder Leckerbissen und Speisen von seiner Tafel erlaubte. Das Judentum kannten die Henkersmahlzeit in Gestalt eines betäubenden Trankes, der vor der Hinrichtung gereicht wurde. Neben den Berichten aus alter Zeit beweisen Aufzeichnungen aus asiatischen Ländern, dass unser Henkersmahl nichtchristlichen Wurzeln entspringt. In Persien wurden alle Wünsche des armen Sünders, was Essen und Trinken angeht, in großzügiger Weise erfüllt. Über Zeiten, Religionen und Kulturen hinweg blieb das Henkersmahl also ein Ritual der Versöhnung und des Friedensschlusses. Bis heute hat sich dieser Ritus erhalten. Er wurde aus früheren, roheren Zeiten übernommen.

      Aber ist es tatsächlich ein Akt der Versöhnung? Gibt man dem Delinquenten wenige Stunden vor seiner Hinrichtung mit der Henkersmahlzeit wirklich noch einmal Würde und Selbstbestimmung zurück? Handelt es sich tatsächlich um einen Friedensakt mit dem Täter oder einzig um ein Besänftigungsritual für die Lebenden? Der Autor Andreas Bernard hat in seinem Artikel Das letzte Gericht den Ursprung des Rituals auf unsere Zeit übertragen – und in Frage gestellt.

      „Auffällig ist“, so schreibt er, „wie sehr dieses Ritual gegen die gewohnte Ordnung des Gefängnislebens verstößt, gegen jene Regulierung des Alltags, der Arbeit und der Mahlzeiten, der auch die Todeskandidaten jahrelang ausgesetzt waren.“ Er zitiert Michel Foucault, der wie kein anderer den Strafcharakter des Gefängnisses eindringlich analysierte und dabei feststellte, „unaufhörliche Disziplin“ sei das Prinzip dieser Institution. Das „Einwirken auf das Individuum“ dulde keine Unterbrechung. In den Gefängnissen vollzieht sich seit jeher ein Gutteil dieser Disziplinierung über das Essen. Ein karger und unabhängig vom Willen der Insassen zusammengestellter Speiseplan soll zur Mäßigung beitragen, soll aus den Gesetzesübertretern wieder brauchbare Staatsbürger machen.

      „Was also bedeutet vor diesem Hintergrund die letzte Ausschweifung der Henkersmahlzeit“, fragt Bernard. Plötzlich darf der Delinquent seine Mahlzeit, auch wenn es seine finale ist, individuell zusammenstellen. Nicht mehr das Gefängnissystem mit seinem rigiden Organisationsablauf entscheidet, sondern der Todeskandidat allein. Ist es eine letzte Geste, ihm angesichts des nahen Todes noch einmal ein wenig Würde und Selbstbestimmung zurückzugeben? Oder ist eher das Gegenteil der Fall: die Justiz gibt mit der Erlaubnis zur individuellen Maßlosigkeit noch einmal zu verstehen, dass der Todeskandidat nun endgültig aus dem repressiven Ordnungssystem herausgefallen ist, eine letzte zugebilligte Ausschweifung vor der endgültigen Auslöschung.

       Gilt die Henkermahlzeit also mehr dem Delinquenten, dem man eine letzte Freude bereiten will, oder ist sie als Versöhnungsgeste derer zu verstehen, die die gewaltsame Tötung zu verantworten haben?

      Hans von Hentig ist dieser Frage nachgegangen. Seine ethnologischen Studien über dieses jahrtausendealte Ritual kommen zu dem Ergebnis, dass die Henkersmahlzeit zu keiner Zeit ein letzter Akt der Humanität war. „Unverbrüchlich halten die Völker an einer Maßnahme fest, die kein Gesetz vorschreibt, als ob sie ihnen mehr nütze als dem Delinquenten“. Eher sei die Henkersmahlzeit eine Art Besänftigungsritual. Der Hingerichtete soll, ähnlich wie die umsorgten Menschenopfer in archaischen Gesellschaften, vor der Exekution milde gestimmt werden, damit er nicht als Rachegeist wiederkehre. So sei „der alte, rätselhafte Widerspruch zwischen kalter Grausamkeit und zarter letzter Gunsterweisung“ zu verstehen, so von Hentig.

      In den US-Gefängnissen werden diese Versöhnungs- und Besänftigungsrituale noch heute praktiziert. „Der Weg durch die Pforte des Todes führt deshalb noch für eine kurze Zeit durchs Schlaraffenland“, wie Bernard konstatiert, um jenen „seelischen Zustand herzustellen, den der arme Sünder in die Geisterwelt mitnehmen soll“ (von Hentig).

      Und so finden sich in den sogenannten Todestrakten besonders wohnlich ausgestattete Räume, die mit gewöhnlichen Zellen nur wenig gemein haben. Es gibt pastellfarbene Wände, bessere Bettwäsche, mitunter TV-Geräte, gepflegtere Kleidung – und eben auch eine letzte individuelle Mahlzeit. Ein Refugium zwischen Leben und Tod – ein Ort der Entspannung. „Schmeicheln will man mit diesen Vorzügen nicht mehr dem lebendigen Körper des Delinquenten sondern schon seiner unsterblichen Seele. Die Henkersmahlzeit ist eine zu Lebzeiten verabreichte Grabbeigabe“, so Bernard.

      Deutlich wird: Das Ritual der Henkersmahlzeit ist auch heute noch kein finaler Akt der Humanität auf dem Weg in den Tod, sondern Teil eines möglichst reibungslosen Ablaufs. Mit der Bestellung und dem Verzehr seiner Lieblingsspeise gibt der Todeskandidat gewissermaßen sein Einverständnis zur vorgegebenen Dramaturgie und autorisiert seine bevorstehende Hinrichtung. Was aber geschieht, wenn der Delinquent die letzte Mahlzeit ablehnt, wenn er das vorgesehene Protokoll verweigert, wenn sich ein „Missklang in die Erbaulichkeit der Prozedur“ mischt, wie Hans von Hentig es nennt? Die Verweigerung der Henkersmahlzeit ist für das Gefängnissystem mehr als eine störende, stille Rebellion. Eine solche Entscheidung bringt nicht nur den stringenten Ablauf in Gefahr, sondern ist geeignet, innerhalb der Organisation für Unruhe zu sorgen. Der Delinquent signalisiert: Er will keinen Frieden mit seinen Richtern schließen. Er verweigert die symbolische Unterzeichnung seines Todesurteils. Die Gefängisdirektoren atmen also auf, wenn aus der Todeszelle eine Bestellliste kommt, sei sie auch noch so exotisch.

      Bernard hat für das Texas Department of Criminal Justice eine Liste erstellt, auf der alle „letzten Gerichte“ der in Texas hingerichteten Delinquenten aufgeführt wurden. Die Liste, die im Internet eingesehen werden kann, umfasst die Zeit vom 7. Dezember 1982 bis zum 12. Juli 2000, insgesamt 224 Personen, die in diesem Zeitraum durch eine Giftspritze in der Strafanstalt Huntsville hingerichtet wurden. Die Frage nach dem Lieblingsgericht, von Boulevardblättern ansonsten gerne Prominenten gestellt, wurde der Öffentlichkeit nun in neuer Lesart serviert. Von den Eigenheiten des Geschmackssinns erhofft man sich Auskünfte über die Identität des Menschen. In diesem Fall über die texanischen Todeskandidaten.

      In einem Interview sagte der Gefängniskoch von Huntsville, der vermutlich die meisten der auf dieser Liste aufgeführten Gerichte zubereitet hatte: „Ich glaube, das sind Speisen, mit denen die Verurteilten schöne Erinnerungen aus ihrer Jugend verbinden.“ Gab es Besonderheiten, die auf dieser Liste zu erkennen waren? Zunächst die unerwartete Gleichförmigkeit der Menüs. Burger, Steak oder Chicken – diese drei Gerichte machten weit mehr als die Hälfte

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